Normen
AsylG 1968 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
AsylG 1968 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 15. Juni 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 16. August 1994 einen Asylantrag gestellt hat, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. September 1994, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.
Mit dem nunmmehr angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Begründend stützte sich die belangte Behörde auf § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit
Artikel 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er unter Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention fällt.
Gemäß Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 1 der genannten Konvention wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt (und demnach als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist), nicht mehr angewendet werden, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat. Selbst wenn daher der Beschwerdeführer - wie er geltend macht - als Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 anzusehen gewesen wäre, wäre für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, wenn dieser Ausschließungsgrund vorliegt.
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich dadurch, daß er sich nach seiner Einreise nach Österreich von der türkischen Botschaft in Wien einen Reisepaß habe ausstellen lassen, wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt. Die Ausstellung eines Reisepasses stelle eine der Formen dar, in denen ein souveräner Staat seinen im Ausland weilenden Bürgern seinen Schutz angedeihen lasse, weil durch die Innehabung eines solchen Passes dokumentiert werde, daß es sich bei dem Betreffenden nicht um einen Staatenlosen, sondern um eine Person handle, hinter der ein Völkerrechtssubjekt stehe, welches ihr gegebenenfalls konsularischen und diplomatischen Schutz angedeihen lassen könne. Dafür, daß der Beschwerdeführer seinen Paßausstellungsantrag nicht freiwillig gestellt haben könnte, fehle jeglicher Hinweis.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon zu wiederholten Malen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der belangten Behörde ausgeführt, daß die Ausstellung eines Reisepasses in der Regel - soferne nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird - als eine der Formen angesehen werden muß, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. November 1994, Zl. 94/19/0032, und vom 2. März 1995, Zl. 94/19/0432).
Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer, der mit dem von der belangten Behörde herangezogenen Ausschlußgrund des § 2 Abs. 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 erstmals durch den angefochtenen Bescheid konfrontiert wurde, sich in der Beschwerde gegen die Auffassung gewandt, er habe sich durch die Beantragung und Ausstellung des Reisepasses wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt, und ausgeführt, er sei deshalb gezwungen gewesen, sich von der Botschaft seines Heimatlandes einen Reisepaß ausstellen zu lassen, weil ihm seitens des zuständigen Standesbeamten zu verstehen gegeben worden sei, daß er bei ihm auf dem Standesamt ohne Reisepaß nicht heiraten könne. Daß Standesämter bei Eheschließungen einen Reisepaß verlangten, sei gängige Behördenpraxis.
Mit diesem Vorbringen, mit dem er, da ihm im Verwaltungsverfahren der von der belangten Behörde erstmals im angefochtenen Bescheid herangezogene Ausschlußgrund nicht vorgehalten wurde, nicht dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot unterliegt, macht der Beschwerdeführer geltend, er habe nicht aus freien Stücken, sondern unter dem Zwang, als Ausländer in Österreich nur im Besitz eines Reisepasses heiraten zu dürfen, die Ausstellung eines Reisepasses seines Heimatlandes erwirkt. Diese Ausführungen, denen nicht von vornherein Unschlüssigkeit entgegengehalten werden kann - wobei sich aus den Verwaltungsakten ergibt, daß der Beschwerdeführer nach der am 5. Mai 1994 erfolgten Ausstellung seines Reisepasses tatsächlich am 1. Juni 1994 vor dem Standesamt der Landeshauptstadt Graz die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen hat -, sind für die Frage, ob die Erwirkung des Reisepasses freiwillig erfolgte und ob damit tatsächlich beabsichtigt war, sich wieder unter den Schutz des Heimatlandes zu stellen, von maßgeblicher Bedeutung. Die angeführte Absicht und die Freiwilligkeit zählen neben der tatsächlichen Erlangung des Schutzes des Heimatstaates zu den Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention gegen einen Flüchtling (vgl. das vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge herausgegebene Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rdz. 119). Insbesondere könnte im Beschwerdefall dem Umstand, daß - für den Fall des Zutreffens seiner Ausführungen - dem Beschwerdeführer eine standesamtliche Eheschließung deswegen verweigert wurde, weil er keinen Reisepaß vorweisen konnte, erhöhte Bedeutung für die Beurteilung der Freiwilligkeit der Paßbeschaffung und des vom Beschwerdeführer damit verfolgten Zweckes zukommen, weil ihm dann ja die Gründung einer Familie in der vom Staat hiefür vorgesehenen Form versagt worden wäre. Diese Gesichtspunkte hat die belangte Behörde, da sie den Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheid zu dem von ihr erstmals angewendeten Ausschließungsgrund gar nicht gehört hat, nicht beachtet und demzufolge auch keine Ermittlungen zur Erhebung des in dieser Hinsicht maßgeblichen Sachverhaltes angestellt. Bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers könnte aber nicht mehr ohne weiteres davon gesprochen werden, er habe sich durch die Erwirkung eines Reisepasses freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt.
Es ergibt sich somit, daß auch infolge Verletzung des Parteiengehörs Ermittlungen zu einem für die Frage des Vorliegens des angewendeten Ausschlußgrundes bedeutsamen Sachvorbringen unterblieben sind, weshalb auch der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben ist.
Der in der Unterlassung derartiger Ermittlungen und in der Nichtbeachtung des Parteiengehörs gelegene Verfahrensmangel erweist sich als wesentlich, weil die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf das Beschwerdevorbringen zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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