VwGH 94/18/0904

VwGH94/18/090423.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. I, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. September 1994, Zl. SD 768/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20;
VwRallg;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs4;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 30. September 1994 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer sei zuletzt im Besitz eines bis 25. Juni 1992 gültig gewesenen Sichtvermerkes gewesen. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei seit diesem Zeitpunkt nicht rechtmäßig. Seine Ausführungen, er habe sich seit Mitte 1992 bemüht, eine Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, gingen schon deshalb ins Leere, weil er nicht nur eine solche Aufenthaltsberechtigung nicht erhalten, sondern weil er nicht einmal einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes gestellt habe. Abgesehen davon hätten Rechtsauskünfte, daß bei Fehlen einer bestehenden Aufenthaltsberechtigung Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem am 1. Juli 1993 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz nur vom Ausland aus gestellt werden könnten, der von diesem Zeitpunkt an geltenden Rechtslage entsprochen. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr, wie er ausführt, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt habe, vermöge dies, solange er eine Aufenthaltsbewilligung nicht erhalte, seinen Aufenthalt nicht zu einem rechtmäßigen zu machen. Der Beschwerdeführer lebe ebenso wie seine Mutter seit langem in Österreich und wohne bei seinem Bruder, sodaß jedenfalls kein Zweifel bestehe, daß ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinne des § 19 Fremdengesetz (durch die Ausweisung) vorliege. Da der Beschwerdeführer jedoch im gegenwärtigen Zeitpunkt im Inland über keine Aufenthaltsbewilligung verfüge, weiters eine Antragstellung in diesem Fall nicht die Bewilligung ersetze und er verpflichtet sei, das Bundesgebiet zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes, nämlich zur Beendigung des illegalen Aufenthaltes, zu verlassen, habe die Erstbehörde zu Recht die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele als dringend geboten angesehen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die - zutreffende - Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer seit Ablauf seines bis 25. Juni 1992 gültig gewesenen Sichtvermerkes sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, wird in der Beschwerde nicht bekämpft. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte jedoch die belangte Behörde - bei Beachtung der gesetzlichen Verfahrensvorschriften sowie bei Beachtung der "inhaltlichen Normierungszwecke" - zum Ergebnis kommen müssen, daß über die Ausweisung erst nach Vorliegen einer Entscheidung im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu entscheiden sei. Diesem auf § 17 Abs. 4 Fremdengesetz Bezug nehmenden Vorbringen ist zu entgegnen, daß - wie der Beschwerdeführer auch einräumt - nur ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eine Entscheidung über eine Ausweisung hindert. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auch im Falle eines nicht rechtzeitig gestellten Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung - welcher als (Erst-)Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu werten ist - kommt mangels Vorliegens einer "echten Lücke" (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6, Rz. 136) nicht in Betracht.

2. Der Beschwerdeführer bekämpft die Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (konkret: zum Schutz der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten sei. Er meint, sich im Jahr 1992 bemüht zu haben, einen Sichtvermerk zu erhalten, was aufgrund persönlicher Umstände einige Zeit in Anspruch genommen habe. Er sei von den Behörden offensichtlich unrichtig oder nicht verständlich belehrt worden, habe dann am 12. September 1994 bei der österreichischen Botschaft in Budapest einen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung eingebracht und gegen den abweislichen Bescheid fristgerecht Berufung erhoben. Er habe "unter Ausschöpfung aller mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten" versucht, den Status zu erlangen, um sich rechtmäßig in Österreich aufzuhalten. Darüber hinaus bringt er vor, von 1977 bis 1992 fast durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen zu sein und hier seinen Lebensmittelpunkt gegründet zu haben. Seine Eltern seien ebenfalls seit 1977 in Österreich aufhältig und hier stets einer angemeldeten und zulässigen Beschäftigung nachgegangen. Er habe hier die Vorschule besucht, anschließend vier Jahre Volksschule sowie vier Jahre Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang. Er habe seine komplette Lehrlingsausbildung in Österreich 1992 abgeschlossen, stehe derzeit in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis bei einer namentlich genannten Firma und sei im Besitz eines bis 1996 gültigen Befreiungsscheines.

Mit diesem - in der Gegenschrift unbestritten gebliebenen - Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine unrichtige Anwendung des § 19 Fremdengesetz durch die belangte Behörde auf. Gemäß dieser Bestimmung ist dann, wenn durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, eine solche Maßnahme nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die belangte Behörde bejahte zwar in der Begründung des angefochtenen Bescheides das Vorliegen eines relevanten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers unter Hinweis auf den Umstand, daß dieser ebenso wie seine Mutter seit langem in Österreich lebe und bei seinem Bruder wohne, beachtete jedoch die bereits in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 23. Februar 1994 und in seiner Berufung vom 21. Juni 1994 enthaltenen und oben dargelegten Umstände nicht ausreichend zugunsten des Beschwerdeführers. Wenn auch nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Mai 1995, Zl. 95/18/0748, u. v.a.) den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukommt, stehen vorliegend einer Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz das aus einem nahezu fünfzehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich resultierende hohe Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers und seine stark ausgeprägten privaten und familiären Bindungen im Inland entgegen.

Wenn die belangte Behörde unter diesen Umständen dennoch bei Anwendung des § 19 Fremdengesetz die Ausweisung des Beschwerdeführers als dringend geboten erachtete, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

3. Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den - in diesem Ausmaß begehrten - Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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