VwGH 94/13/0236

VwGH94/13/023625.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehene Beschwerde des Dr. R in W gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. August 1994, Zl 6/1-1230/94-04, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
BAO §276 Abs1;
BAO §308 Abs1 idF 1987/312;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
BAO §276 Abs1;
BAO §308 Abs1 idF 1987/312;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der ehemals den Beruf eines Rechtsanwaltes ausübende Beschwerdeführer hatte gegen seinen ihm gegenüber erlassenen Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheid für 1991 berufen. Mit Berufungsvorentscheidung hatte das Finanzamt über diese Berufung entschieden. Die Frist zur Antragstellung auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz lief nach gewährter Fristverlängerung am 30. Mai 1994 ab. Am 31. Mai 1994 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist "zur Stellung des Antrages auf Verlängerung der Frist zur Stellung des Antrages auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz" über die angeführte Berufung zu bewilligen. Gleichzeitig brachte er einen mit 30. Mai 1994 datierten Fristverlängerungsantrag um zwei Tage mit der Begründung ein, "gestern und heute haben sich unerwartet viele Gratulanten bei meiner Mutter eingefunden, um zum Geburtstag zu gratulieren, daß ich daneben zu keinerlei Tätigkeit fähig war. Meine Mutter ist am 29. Mai 1901 geboren".

Im Wiedereinsetzungsantrag führte er aus, daß er durch die "im Fristverlängerungsantrag geschilderten besonderen und außergewöhnlichen Belastungen", die ihm die zahlreichen Gratulanten bereitet hätten, so erschöpft gewesen sei, daß er sich erst um 23.42 Uhr "wieder in Bewegung zu setzen vermochte". Trotz aller Bemühungen habe er die Frist um zwei Minuten versäumt. Die bis zum 30. Mai 1994, 23.42 Uhr, "währende völlige und unüberwindliche Erschöpfung stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis" dar, das ihn an der Einhaltung der Frist zur Stellung des Fristverlängerungsantrages gehindert habe. Zum Beweis der für seine "hochgradige Erschöpfung offenbar kausalen Belastung durch die Gratulanten" seiner Mutter, deren Zahl "unvorhergesehen und wohl auch unabwendbar war", berief sich der Beschwerdeführer auf acht Zeugen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine gegen den über diesen Wiedereinsetzungsantrag ergangenen abweisenden Bescheid eingebrachte Berufung ab. Als Begründung führte sie aus, daß es sich bei der durch die unerwartet große Zahl von Gratulanten hervorgerufene völlige und unüberwindliche Erschöpfung weder um ein unvorhergesehenes noch um ein unabwendbares Ereignis gehandelt habe. Es möge zwar zutreffen, daß sich unerwartet viele Gratulanten eingefunden hätten, dennoch sei dies nicht unvorhergesehen eingetroffen, weil "im Fall einer Einladung grundsätzlich einzuberechnen ist, daß die Einladung auch angenommen wird". Das "Ereignis" sei auch nicht unabwendbar gewesen, weil es dem Beschwerdeführer freigestanden wäre, eine geringere Anzahl von Besuchern einzuladen. In dem Erschöpfungszustand könne ein derartiges Ereignis nicht erblickt werden, weil der Beschwerdeführer seit längerer Zeit an mehreren schweren Erkrankungen (endogene Depressionen und Diabetes mellitus Typ I) leide, die in der Folge zu einer entsprechend geringeren Belastbarkeit führten. Der Beschwerdeführer hätte daher entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergreifen müssen, weshalb den Beschwerdeführer "auch kein minderer Grad des Versehens" an der Versäumung der Frist treffe.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt deshalb Bescheidaufhebung.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 308 Abs 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Dem Wortlaut und dem Sinn des § 308 Abs 1 BAO in der zitierten Fassung entsprechend soll das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verhindern, daß einer Partei, die gegen ein unverschuldet oder nur leicht fahrlässig im Sinne des § 1332 ABGB bzw nicht auffallend sorglos verschuldet unvorhergesehen oder unabwendbar eintretendes Ereignis nichts unternehmen kann, wegen der prozessualen Folgen dieses Ereignisses die Prüfung ihres materiellen Anspruchs verweigert wird. Ein Ereignis ist unabwendbar, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindern konnte (objektives Kriterium), auch wenn sie dessen Eintritt voraussah. Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab, vgl das hg Erkenntnis vom 31. Oktober 1991, 90/16/0148, mwN).

Als entsprechendes Ereignis machte der Beschwerdeführer eine völlige und unüberwindliche Erschöpfung geltend, die es mit sich gebracht habe, daß er sich erst wieder um 23.42 Uhr "in Bewegung zu setzen" vermochte und deshalb das vorbereitete Fristverlängerungsansuchen bis 24.00 Uhr nicht mehr zur Post bringen konnte.

Hinsichtlich dieses Ereignisses ist aber der belangten Behörde zuzustimmen, wenn sie es unter Berücksichtigung der unbestrittenen Erkrankung des Beschwerdeführers weder als unvorhergesehen noch als unabwendbar beurteilt.

Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer im Wiedereinsetzungsantrag, aus welchem sich bereits die Wiedereinsetzungsgründe ergeben müssen (vgl Stoll, BAO Kommentar, S 2974), in keiner Weise die Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit des entsprechenden Ereignisses glaubhaft gemacht hat, bestreitet der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde weder seine von der belangten Behörde erwähnte geringere Belastbarkeit noch, daß es ihm unter Berücksichtigung seiner Erkrankung nicht möglich gewesen wäre, den in der Folge eingetretenen Erschöpfungszustand vorherzusehen. Der Beschwerdeführer meint lediglich, daß dieser unabwendbar gewesen sei, weil ihm keine Möglichkeit zu Gebote gestanden wäre, den Eintritt eines solchen Erschöpfungszustandes abzuwenden. Der Beschwerdeführer führt - erstmals in der Beschwerde - aus, wenn überhaupt, hätte er den bevorstehenden Erschöpfungszustand erst erkennen können, als dieser durch das unabwendbare Eintreffen immer weiterer Gratulanten bereits unabwendbar geworden war. Dem ist einerseits das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot und andererseits der Umstand entgegenzuhalten, daß es dem Beschwerdeführer durchaus möglich und zumubar gewesen wäre, nach den ersten Anzeichen von Ermüdung weitere ankommende - im übrigen nicht "geladene" Gratulanten - unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand nicht (mehr) zu empfangen, zumal der Beschwerdeführer in der Berufung darauf hingewiesen hatte, daß auch seine bettlägerige Mutter vor Überanstrengung geschützt werden mußte. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der (verspäteten) Gratulanten, die am 30. Mai 1994, dem Tag, an welchem der Geburtstag seiner Mutter bereits abgelaufen war, erschienen. In diesem Zusammenhang ist dem Beschwerdeführer zwar einzuräumen, daß die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte die Gratulanten eingeladen - soweit man den Zeitpunkt der "Einladung" auf einen länger vor dem tatsächlichen Erscheinen gelegenen Zeitpunkt bezieht -, im Akteninhalt keine Deckung findet. Diesem Umstand kommt aber schon deswegen keine Bedeutung zu, weil nicht die große Anzahl der insoweit nicht geladenen Gratulanten, sondern - wie oben bereits ausgeführt - der durch diese lediglich verursachte Erschöpfungszustand des Beschwerdeführers das die Fristversäumung verursachende Ereignis darstellt.

Richtig ist auch, daß im angefochtenen Bescheid - isoliert betrachtet - ausgeführt wird, daß den Beschwerdeführer kein minderer Grad des Versehens an der Versäumung der Frist trifft. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des angefochtenen Bescheides ist jedoch zweifelsfrei zu erkennen, daß die belangte Behörde damit einen nicht NUR minderen Grad des Versehens, somit sehr wohl ein einen minderen Grad eines Versehens übersteigendes Verschulden zum Ausdruck gebracht hat. Unter Berücksichtigung der angeführten Erwägungen ist eine Rechtswidrigkeit der anderweitig nicht gerügten diesbezüglichen Beurteilung durch die belangte Behörde nicht zu erkennen. Ebenfalls den bereits genannten Gründen ist zu entnehmen, daß die von der belangten Behörde erwähnten Vorsorgemaßnahmen - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht in einem (etwa drei Tage) früheren Tätigwerden des Beschwerdeführers oder in der Betrauung eines berufsmäßigen Parteienvertreters gesehen werden müssen. Nicht die belangte Behörde hat es unterlassen, mögliche Vorsorgemaßnahmen aufzuzeigen, sondern der Beschwerdeführer ist insgesamt seiner Obliegenheit nicht nachgekommen, bereits im Antrag auf Wiedereinsetzung glaubhaft zu machen, daß er durch ein unvorhersehenes oder unabwendbares Ereignis unverschuldet oder nur leicht fahrlässig verschuldet verhindert war, den (grundsätzlich) keiner Begründung bedürfenden Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz selbst oder auch ein allfälliges Ansuchen zur Hemmung des Ablaufes der Frist für einen derartigen Antrag zu stellen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.

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