VwGH 94/10/0137

VwGH94/10/013720.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich in Wien, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Juli 1994, Zl. II/3-1274/11, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages (mitbeteiligte Partei: A-GmbH in X), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
NatSchG NÖ 1977 §25 Abs1;
NatSchG NÖ 1977 §4;
UmweltschutzG NÖ 1984 §11 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
AVG §8;
NatSchG NÖ 1977 §25 Abs1;
NatSchG NÖ 1977 §4;
UmweltschutzG NÖ 1984 §11 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ersuchte mit mehreren Schreiben die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen (in der Folge: BH) um Mitteilung, ob für den umfangreichen Materialabbau durch die mitbeteiligte Partei die dafür erforderliche naturschutzbehördliche Bewilligung vorliege. Die mitbeteiligte Partei betreibe im Raum Aspangberg-Zöbern mehrere Grubenfelder im Tagbau, in denen großflächig Kaolin abgebaut werde. Der vorgenommene Abbau führe, insbesondere durch die fehlende bzw. mangelhafte Rekultivierung, zu einer schweren Beeinträchtigung des inneren Gefüges des Landschaftshaushaltes sowie des Erholungswertes der Landschaft für die Nahbevölkerung und den Fremdenverkehr.

Mit Schreiben vom 17. Juli 1990 stellte die Beschwerdeführerin bei der BH gemäß § 25 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 5500-3 (in der Folge: NÖ NSchG), den Antrag, die mitbeteiligte Partei zu verpflichten, den geschaffenen Zustand den Interessen des Naturschutzes bestentsprechend abzuändern. Die Beschwerdeführerin gehe davon aus, daß der bisher von der mitbeteiligten Partei durchgeführte Abbau naturschutzrechtlich konsenslos erfolgt sei.

Da die BH nicht entschied, richtete die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. Jänner 1991 einen Devolutionsantrag an die belangte Behörde.

Die belangte Behörde veranlaßte am 4. Juni 1992 die Durchführung eines Lokalaugenscheines, wobei ein Vertreter der Beschwerdeführerin im wesentlichen die Auffassung vertrat, daß im gegenständlichen Fall ein bewilligungspflichtiger Tatbestand gemäß § 4 Abs. 1 NÖ NSchG vorliege, weshalb ein Verfahren gemäß § 25 leg. cit. beantragt worden sei. Eine dauernde und maßgebende Beeinträchtigung des inneren Gefüges des Landschaftshaushaltes und des Erholungswertes könne nur dann hintangehalten werden, wenn von der mitbeteiligten Partei ein Landschafts- bzw. Rekultivierungsplan vorgelegt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Nach der Begründung verlagerten sich die Abbautätigkeiten durch die mitbeteiligte Partei vom derzeitigen Tagbau III im Grubenfeld Aspang-Zöbern I zum neu aufzuschließenden Tagbau IV im Grubenfeld Aspang-Zöbern II, das mit dem alten Tagbau III direkt verbunden sei. Das neue Grubenfeld Aspang-Zöbern II, dessen sechs Grubenmaße von der Berghauptmannschaft Wien mit Bescheid vom 9. November 1988 verliehen worden seien, liege innerhalb des von der NÖ Landesregierung mit Verordnung vom 29. Oktober 1982 über ein regionales Raumordnungsprogramm für die Planungsregion Wiener Neustadt-Neunkirchen (LGBl. Nr. 8000/75-0) festgelegten Rohstoffsicherungsgebietes. Der entsprechende Hauptbetriebsplan 1990 sei von der Berghauptmannschaft Wien am 13. März 1990 aufgenommen und genehmigt worden. Auf diesen Gebieten, die im Grünland lägen, werde Kaolin abgebaut. Kaolin sei erst durch das Berggesetz 1975 unter die bergfreien mineralischen Rohstoffe aufgenommen worden, sodaß anstelle der vorherigen Gewinnungsbewilligungen die Erlangung von Bergwerksberechtigungen erforderlich gewesen sei. Diese Bergwerksberechtigungen seien auch von der Berghauptmannschaft mit Bescheid vom 15. Jänner 1979 verliehen worden.

In der weiteren Folge ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, daß ein Devolutionsantrag nur dann zulässig sei, wenn die der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde nachgeordnete Verwaltungsbehörde eine ihr obliegende Entscheidungspflicht verletzt habe. Treffe dies nicht zu, so sei der Antrag zurückzuweisen. Daher sei zunächst zu prüfen gewesen, ob die BH verpflichtet gewesen sei, über den Antrag der Beschwerdeführerin, die mitbeteiligte Partei zu verpflichten, den geschaffenen Zustand den Interessen des Naturschutzes bestentsprechend abzuändern, zu entscheiden. Voraussetzung für eine Verpflichtung gemäß § 25 leg. cit. sei, daß Personen den Bestimmungen des NÖ Naturschutzgesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen oder Bescheiden zuwidergehandelt hätten. Als ein solches Zuwiderhandeln könne im Falle von bewilligungspflichtigen Vorhaben schon die Ausführung ohne Bewilligung angesehen werden. Das NÖ NSchG sehe grundsätzlich für den Abbau von Steinen etc. gemäß § 4 eine Bewilligungspflicht vor. Von diesem Grundsatz mache jedoch § 2 Abs. 3 NÖ NSchG insofern eine Ausnahme, als Flächen und bestehende Anlagen des Bergbaues durch den Naturschutz in ihrer Benützung nicht beeinträchtigt werden dürften. Da der gegenständliche Abbau dem Berggesetz unterliege, sei eine naturschutzbehördliche Bewilligung nicht erforderlich. Daraus folge weiters, daß ein Zuwiderhandeln gegen das NÖ NSchG nicht vorliege. Die BH hätte daher eine den Interessen des Naturschutzes bestentsprechende Abänderung des geschaffenen Zustandes gar nicht vorschreiben können. Sie wäre sohin verpflichtet gewesen, diesen Antrag zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführerin sei zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert worden. Die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 3 NÖ NSchG beziehe sich ausschließlich auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des NÖ Naturschutzgesetzes am 1. Jänner 1977 bereits bestehenden Bergbauanlagen bzw. Abbauflächen. Der mitbeteiligten Partei sei die Bergwerksberechtigung jedoch erstmals mit Bescheid der Bergbehörde vom 15. Jänner 1979 erteilt worden. Im Beschwerdefall sei daher von der Bewilligungspflicht der gegenständlichen Abbautätigkeit nach § 4 Abs. 1 Z. 1 NÖ NSchG auszugehen. Die Nichteinholung dieser Bewilligung stelle ein Zuwiderhandeln gegen die Bestimmungen des Naturschutzgesetzes dar, was ein Verfahren gemäß § 25 leg. cit. auslösen könne.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 gebildeten Dreiersenat erwogen:

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Antrag vom 17. Juli 1990 ein Verfahren nach § 25 Abs. 1 NÖ NSchG begehrt. Nach dieser Bestimmung sind unabhängig von einer Bestrafung nach § 24 Personen, die den Bestimmungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen oder Bescheiden zuwidergehandelt haben, von der Behörde zu verpflichten, den früheren Zustand wieder herzustellen oder, wenn dies nicht möglich ist, den geschaffenen Zustand den Interessen des Naturschutzes bestentsprechend abzuändern. Die Beschwerdeführerin war dabei offensichtlich der Auffassung, die mitbeteiligte Partei habe ohne eine erforderliche naturschutzbehördliche Bewilligung nach § 4 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. Kaolin abgebaut.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 20. Jänner 1992, Zl. 91/10/0095, zu § 4 NÖ NSchG festgestellt, daß das Verfahren nach dieser Bestimmung auch die Vermeidung einer erheblichen Schädigung der Umwelt zum Gegenstand hat. Ob die Voraussetzungen für eine Bewilligungspflicht nach § 4 NÖ NSchG und damit für ein Verfahren nach § 25 Abs. 1 leg. cit. vorliegen, ist für die Parteistellung der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und für eine Beschwerdelegitimation vor dem Verwaltungsgerichtshof ohne Belang, da die Parteistellung in einem Verfahren nicht von dessen Ergebnis abhängt. Sind die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 NÖ Umweltschutzgesetz für die Parteistellung der Umweltanwaltschaft gegeben, dann hat diese nicht nur das Recht, in amtswegig eingeleiteten Verfahren als Partei beigezogen zu werden, sondern auch das Recht, solche Verfahren zu initiieren (vgl. auch das Erkenntnis vom 27. Jänner 1992, Zl. 91/10/0184).

Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung hatte die BH daher über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 17. Juli 1990 zu entscheiden; der belangten Behörde kann somit nicht gefolgt werden, wenn sie die Auffassung vertritt, daß die BH eine ihr obliegende Entscheidungspflicht nicht verletzt hat.

Die Zurückweisung des Devolutionsantrages durch die belangte Behörde erweist sich daher als rechtswidrig. Die belangte Behörde hätte vielmehr über den Antrag der Beschwerdeführerin in der Sache selbst zu entscheiden gehabt.

Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

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