VwGH 94/01/0746

VwGH94/01/074618.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. September 1994, Zl. 4.325.437/6-III/13/94, betreffend Feststellung gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §4;
AsylG 1991 §5 Abs1 Z3;
FlKonv Art33 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs4;
FrPolG 1954 §13a Abs2;
StGB §142 Abs1;
StGB §229 Abs1;
StGB §46 Abs1;
AsylG 1968 §4;
AsylG 1991 §5 Abs1 Z3;
FlKonv Art33 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs4;
FrPolG 1954 §13a Abs2;
StGB §142 Abs1;
StGB §229 Abs1;
StGB §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Oktober 1991 wurde der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger "der Jugosl. Föderation" - als Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) anerkannt. Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. September 1994 wurde jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 festgestellt, daß hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers der im Art. 33 Abs. 2, zweiter Fall, der Genfer Flüchtlingskonvention genannte Tatbestand eingetreten ist.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 verliert ein Flüchtling das Asyl unter anderem, wenn festgestellt wird, daß hinsichtlich seiner Person einer der in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände eingetreten ist. Im Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention wird bestimmt, daß kein vertragschließender Staat einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen darf, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Nach Art. 33 Abs. 2 der Konvention kann jedoch der Vorteil dieser Bestimmung von einem Flüchtling nicht in Anspruch genommen werden, der aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit seines Aufenthaltslandes darstellt oder der, wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt, eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet.

Die belangte Behörde hat den zuletzt genannten (zweiten) Tatbestand des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention herangezogen und dabei die hiefür notwendige Voraussetzung, daß der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde, im Hinblick auf seine rechtskräftige Verurteilung vom 18. April 1994 wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB als gegeben erachtet. Sie ging bei ihren rechtlichen Überlegungen davon aus, daß die Genfer Flüchtlingskonvention zwar den Begriff eines "besonders schweren" Verbrechens nicht definiere, jedoch § 37 Abs. 4 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, die Abschiebung eines Fremden "trotz dem Nonrefoulement-Grundsatz" dann für zulässig erkläre, wenn dieser nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sei, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute, wobei in Klammer auf Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention verwiesen werde. Aus der Zusammenschau dieser beiden Bestimmungen (Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention und § 37 Abs. 4 Fremdengesetz) lasse sich ableiten, daß nach der Wertung des österreichischen Gesetzgebers unter einem derartigen schweren Verbrechen im Sinne des Art. 33 Abs. 2 der Konvention ein solches zu verstehen sei, das gemäß der österreichischen Rechtsordnung mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sei. Da Raub gemäß § 142 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht sei, stelle demnach diese Straftat ein besonders schweres Verbrechen im Sinne des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Dieser Auffassung der belangten Behörde ist beizupflichten, hat doch im § 37 Abs. 4 Fremdengesetz die Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, auf die darin (wenn auch als Art. 33 Z. 2 der Konvention bezeichnet) ausdrücklich Bezug genommen wird, ihre nähere Ausformung erfahren. Als maßgebliche Interpretationshilfe kommt § 37 Abs. 4 Fremdengesetz in diesem Zusammenhang auch deshalb in Betracht, weil gemäß § 37 Abs. 5 leg. cit. die bescheidmäßige Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 4 in den Fällen des § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 (wie im vorliegenden Beschwerdefall) der Asylbehörde, sonst der Sicherheitsdirektion obliegt und es sachlich nicht gerechtfertigt wäre, bei Beurteilung des Vorliegens derselben Voraussetzungen, je nach dem, um welches Verfahren es sich handelt und welche Behörde hiefür zuständig ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber dadurch, daß er nunmehr im § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 bloß auf die im Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände verwiesen hat, inhaltlich eine andere Regelung treffen wollte, als sie vorher auf Grund des § 4 Asylgesetz (1968), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, diesbezüglich gegolten hat, nach welcher Bestimmung dem Landeshauptmann (auf Grund des Art. II dieses Gesetzes der Sicherheitsdirektion) die Feststellung oblag, ob ein Flüchtling nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet (Art. 33 Abs. 2 der Konvention). Bei Schaffung des § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 (BGBl. Nr. 8/1992) konnte der Gesetzgeber zwar noch nicht Bestimmungen des erst zeitlich später erlassenen Fremdengesetzes im Auge haben; eine insoweit gleichlautende Bestimmung fand sich aber zu diesem Zeitpunkt bereits im § 13a Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz, sodaß die Einheitlichkeit der Rechtsordnung in diesem Sinne kontinuierlich gewahrt erscheint. Mit den Ausführungen des Beschwerdeführers, der auf die Argumentation der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht eingeht, sondern den Wortlaut des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl. Nr. 55/1955) in englischer bzw. französischer Sprache ("a particularly serious crime" bzw. "un crime ou delit particulierement grave"), die Ansicht des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) und dazu ergangene verwaltungsgerichtliche Judikatur in der Bundesrepublik Deutschland für sich ins Treffen führt, ist für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen. Im übrigen ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, daß die vom Gesetzgeber gebrauchte Diktion "mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist" nicht eine Mindeststrafdrohung von fünf Jahren, sondern eine den Zeitraum von fünf Jahren übersteigende Strafdrohung meint (vgl. das sich auf § 4 Asylgesetz (1968) beziehende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1988, Slg. Nr. 12.671/A).

Der Beschwerdeführer macht aber weiters mit Recht geltend, daß die belangte Behörde allein aus der Tatsache seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens nicht ohne weiteres hätte darauf schließen dürfen, daß er eine Gefahr für die Gemeinschaft des österreichischen Staates im Sinne des Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention bedeute. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung läßt keineswegs eine solche Auslegung eindeutig zu. Abgesehen davon, daß es darin nicht heißt, daß der Vorteil dieser Bestimmung von einem Flüchtling nicht in Anspruch genommen werden kann, der wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde (und damit eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet), könnte damit auch nur zum Ausdruck gebracht worden sein, daß die (auf Grund einer rechtskräftigen Verurteilung bindend feststehende) Begehung eines besonders schweren Verbrechens die Annahme, der Betreffende bedeute eine Gefahr für die Gemeinschaft des Aufenthaltslandes, indiziere. Der von der belangten Behörde vorgenommenen, extensiven Auslegung steht insbesondere der in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerte Schutzzweck entgegen, der in den Fällen des Art. 33 Abs. 2 der Konvention auf Grund einer Interessenabwägung, die wegen der Gefahr für die Sicherheit oder die Gemeinschaft des Aufenthaltslandes trotz bestehender Bedrohung des Lebens oder der Freiheit eines Flüchtlings aus Konventionsgründen zu seinen Ungunsten ausfällt, ausnahmsweise aufgegeben werden soll. Es handelt sich dabei um einen gravierenden Eingriff in die persönliche Rechtssphäre eines Flüchtlings, von dem nur dann Gebrauch gemacht werden soll, wenn er aus einem der darin genannten Gründe tatsächlich erforderlich ist. Die nach Art. 33 Abs. 2 der Konvention zulässige Ausweisung oder Zurückweisung ist nicht als (über die Verurteilung hinausgehende) weitere Sanktion wegen der Begehung eines besonders schweren Verbrechens anzusehen. Dem entspricht auch die Formulierung im (wie bereits gesagt, als Interpretationshilfe bei Auslegung des § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 dienenden und mit dem früher in Geltung stehenden § 4 Asylgesetz (1968) insoweit übereinstimmenden) § 37 Abs. 4 Fremdengesetz ("wenn er nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet"). Die rechtskräftig erfolgte Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens zieht daher nicht bereits zwangsläufig die Annahme nach sich, daß der Betreffende eine qualifizierte Gefahr im angeführten Sinne darstelle. Es bedürfte hiefür vielmehr - wie der Beschwerdeführer richtig erkannt hat - einer entsprechenden Zukunftsprognose, die die belangte Behörde unterlassen hat. Es liegt daher ein auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhender, sekundärer Verfahrensmangel vor. Der Beschwerdeführer, der wegen des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB nach dem § 142 Abs. 1 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu 20 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war, beruft sich darauf, daß bereits aus seiner bedingten Entlassung ersichtlich sei, "daß im Strafverfahren bzw. im Vollzugsverfahren eine gute Prognose für den Beschwerdeführer erstellt wurde, da ansonsten eine bedingte Entlassung nach der Halbzeit nicht möglich gewesen wäre". Darauf ist zu erwidern, daß die Frage, ob der Beschwerdeführer in Zukunft eine im gegebenen Zusammenhang relevante Gefahr darstelle, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers (offenbar nach § 46 Abs. 1 StGB) gegeben waren, zu beurteilen gewesen wäre, dabei jedoch - insbesondere neben der Beachtung der näheren Umstände der Tat - auch sein gesamtes Verhalten seit Begehung dieser strafbaren Handlung am 1. Dezember 1993 von Belang hätte sein müssen, also einschließlich seines Verhaltens während der Haft, auch wenn er mangels Freizügigkeit eine Änderung seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten noch nicht voll unter Beweis stellen konnte.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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