VwGH 93/18/0347

VwGH93/18/034730.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Juni 1993, Zl. IV-161.359-FrB/92, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §7 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §7 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) vom 7. Juni 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 9. Oktober 1992 auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer, der sich seit dem Jahr 1973 in Österreich aufhalte und aufgrund seiner Beschäftigung laufend Sichtvermerke erhalten habe, in den Jahren 1976 bis 1991 insgesamt neunmal rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei (viermal wegen § 125 StGB, zweimal wegen § 83 Abs. 1 StGB, einmal wegen § 125 und § 83 Abs. 1 StGB, einmal wegen § 88 Abs. 1 StGB und einmal wegen § 270 Abs. 1 StGB). Im Jahr 1992 sei der Beschwerdeführer neuerlich wegen § 125 StGB angezeigt worden. Am 14. März 1993 sei er wegen Ordnungsstörung, Lärmerregung und Anstandsverletzung festgenommen worden. Am 8. Mai 1993 sei er wegen Übertretung des Meldegesetzes angehalten worden, wobei festgestellt worden sei, daß der Beschwerdeführer keiner Beschäftigung mehr nachgehe und nicht mehr an seiner angegebenen Adresse wohnhaft sei. Aufgrund dieses Sachverhaltes sei eine nochmalige Sichtvermerkserteilung nicht mehr gerechtfertigt; ein Verbleib in Österreich würde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden. Aufgrund "der Stellungnahme" (offenbar des Beschwerdeführers) sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer ohne jegliche persönliche Beziehungen in Österreich lebe und seine Familie in seiner Heimat aufhältig sei. Es bestünden somit nach wie vor stärkere Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatland als zu Österreich. Da der Beschwerdeführer derzeit keiner Beschäftigung nachgehe, könne aufgrund seines bisherigen Verhaltens ein weiteres strafbares Verhalten nicht ausgeschlossen werden. Die Tatsache, daß dem Beschwerdeführer bisher der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet worden sei, könne nicht dazu führen, daß er die österreichischen Rechtsvorschriften nicht einzuhalten habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften mit dem Begehren, ihn deshalb aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 FrG kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.

Zufolge des § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu untersagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

2.1. Die Beschwerde hält die Anwendung der zuletzt zitierten Bestimmung für rechtswidrig, weil es sich bei den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten "durchwegs um geringfügige Verfehlungen" handle und sechs Vorfälle bereits mehr als fünf Jahre zurücklägen. In den beiden letzten Jahren habe sich der Beschwerdeführer "wohlverhalten". Trotz der unbestrittenen Verfehlungen des Beschwerdeführers wäre ihm ein Sichtvermerk zu erteilen gewesen, da gemäß § 7 Abs. 3 FrG auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seinen zwanzigjährigen Aufenthalt und seine vollständige Integration - die Feststellung der belangten Behörde, es bestünden nach wie vor stärkere Beziehungen zum Heimatland, sei unzutreffend -, Bedacht zu nehmen gewesen wäre.

2.2. Maßgebend dafür, ob vom Aufenthalt eines Sichtvermerkswerbers eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit i.S. des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ausgeht, ist nicht das Vorliegen rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilungen oder verwaltungsbehördlicher Bestrafungen. Wesentlich ist vielmehr, ob das (gesamte) Verhalten des Sichtvermerkswerbers Grund zur Annahme bietet, sein Aufenthalt gefährde die (oder zumindest eines der) in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 1993, Zl. 93/18/0137). Obgleich es für die Rechtfertigung dieser Annahme nicht ohne Bedeutung ist, wie lange sich ein Sichtvermerkswerber bereits im Bundesgebiet aufhält und wie lange sein verpöntes Verhalten zurückliegt, so kann der belangten Behörde dennoch nicht entgegengetreten werden, wenn sie vorliegend, ungeachtet des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich und der Tatsache, daß ein Teil der strafbaren Handlungen vom Beschwerdeführer schon vor etlichen Jahren begangen wurde, den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als verwirklicht angesehen hat.

Die den letzten drei rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen hat der Beschwerdeführer erst in den Jahren 1990 und 1991 begangen. Es handelt sich hiebei um die Vergehen der Sachbeschädigung (§ 125 StGB), der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) und des tätlichen Angriffes auf einen Beamten. Das Gewicht dieser Straftaten ist im Hinblick auf die sie jeweils kennzeichnende Schuldform des Vorsatzes, die mehrfache Begehung innerhalb eines Jahres (Sachbeschädigungen im Jahr 1990) und nicht zuletzt auch den Umstand, daß es sich bei den diesen Straftaten zeitlich vorangegangenen strafbaren Handlungen gleichfalls, und zwar mehrfach, um Sachbeschädigungen und Körperverletzungen gehandelt hatte, nicht gering zu veranschlagen. Aber auch die - in der Beschwerde unbestritten gebliebene - Feststellung im angefochtenen Bescheid, daß der Beschwerdeführer jedenfalls seit 8. Mai 1993 ohne Beschäftigung sei, ist im gegebenen Zusammenhang keineswegs zu vernachlässigen, ist es doch nicht unrealistisch, daraus in Verbindung mit der durch Jahre hindurch zutage getretenen kriminellen Neigung des Beschwerdeführers auf die Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen durch ihn zu schließen.

Zusammengefaßt konnte die belangte Behörde demnach in rechtlich unbedenklicher Weise zu dem Ergebnis gelangen, daß der (weitere) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstelle.

3. Da somit die belangte Behörde zu Recht den zwingenden Versagungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als verwirklicht angesehen hat, war für die Ausübung von Ermessen unter Bedachtnahme auf die im § 7 Abs. 3 leg. cit. angeführten Kriterien kein Raum. Daraus folgt weiters, daß der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers betreffend Feststellung des Vorliegens von für den Beschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkten nach dieser Gesetzesstelle und Gewährung von Parteiengehör hiezu, der Boden entzogen ist.

4. Nach dem Gesagten liegt die behauptete Rechtsverletzung nicht vor. Da dies bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, war diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren - und damit auch ohne Durchführung einer vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung - als unbegründet abzuweisen.

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