VwGH 93/14/0156

VwGH93/14/015630.11.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Hutter, über die Beschwerde 1. des H in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat I) vom 30. Juni 1993, Zl. 4/3/1-BK/Hl-1993, betreffend Einkommensteuer 1991 (Beschwerde 93/14/0156), FORTSETZUNG DES BETREFF IM ANSCHLUß AN TEXT

Normen

EStG 1988 §18 Abs7;
LiebhabereiV;
EStG 1988 §18 Abs7;
LiebhabereiV;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den nachgenannten Beschwerdeführern folgende Aufwendungen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen: 1. dem Beschwerdeführer zu 1. S 11.540,--, 2. der Beschwerdeführerin zu 2. S 11.540,--, 3. den beiden Beschwerdeführern zu 3. S 11.540,--.

Begründung

Die Beschwerdeführer betrieben seit 1982 als Mitunternehmer in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorerst nur eine Schuhreparaturwerkstätte. 1988 erweiterten sie die Gewerbeanmeldung auf die Ausübung eines Handelsgewerbes. Ab 1989 betrieben sie im selben Standort auch den Schuhhandel. Seit Oktober 1990 benützten sie für den Schuhhandel ein gemietetes Verkaufslokal in einem anderen Ort.

Die Gewinnermittlung erfolgte durch die Beschwerdeführer bis einschließlich 1990 gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1972 bzw. 1988. Ab 1991 änderten die Beschwerdeführer die Gewinnermittlungsart und ermittelten den Gewinn seither gemäß § 4 Abs. 1 EStG 1988.

Durch die Anschaffung des Warenlagers für den Schuhhandel entstanden 1989 und 1990 Verluste. Diese machten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in ihren Einkommensteuererklärungen für 1991 gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 als Sonderausgaben und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der Gewerbesteuererklärung für 1991 gemäß § 6 Abs. 2 GewStG als Fehlbeträge mit der Begründung geltend, es handle sich um Anlaufverluste im Sinne der erstgenannten Gesetzesstelle.

Die belangte Behörde versagte diesen Sonderausgaben bzw. den Fehlbeträgen die Anerkennung mit der Begründung, es handle sich deshalb um keine Anlaufverluste im Sinne des § 18 Abs. 7 EStG 1988, weil die Beschwerdeführer bzw. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch die Ausdehnung des Gewerbes auf den Schuhhandel keinen Betrieb (Teilbetrieb) eröffnet hätten. Für den Gewerbebetrieb kraft Rechtsform nach § 1 Abs. 2 Z. 1 GewStG sei stets die Summe der der Gewerbesteuer unterliegenden Tätigkeiten als einziger, einheitlicher Gewerbebetrieb anzusehen. Im 1989 aufgenommenen Schuhhandel sei auch keine Begründung eines Teilbetriebes zu erblicken. Der Schuhhandel sei mit dem bereits vorhandenen organisatorischen und personellen Mitteleinsatz eröffnet worden, weil die Agenden des Wareneinkaufs und die Preisgestaltung in ununterbrochener Eigenverantwortung von den Beschwerdeführern selbst besorgt worden seien. Ein Mindesterfordernis an organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Verselbständigung sei daher nicht gegeben. Nicht entscheidend sei, daß der Handelszweig gegen Ende des zweiten Wirtschaftsjahres des Verlustentstehungszeitraumes örtlich in ein Geschäftslokal in einem anderen Ort ausgelagert und unter Mitwirkung einer zusätzlichen Arbeitskraft weiter betrieben worden sei. Diese durch Bildung einer unselbständigen Verkaufsstelle nur örtliche Ausgliederung bewirke keine Verselbständigung, weil alle wesentlichen betriebswirtschaftlichen Dispositionen (Beschaffung, Absatz und Finanzierung der den Betriebsgegenstand bildenden Produkte) zentral vom ursprünglichen Standort aus getroffen worden seien. Die Tätigkeit der Schuhreparatur und der hinzugekommene Schuheinzelhandel seien derart eng wirtschaftlich und organisatorisch verbunden, daß nach der Verkehrsauffassung kein organisch in sich geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teilbetrieb begründet worden sei. Die belangte Behörde könne sich der Auffassung nicht anschließen, § 18 Abs. 7 EStG 1988 sei auch auf Verluste anwendbar, die auf eine Erweiterung bzw. Ergänzung einer bisher ausgeübten gewerblichen Betätigung zurückzuführen seien.

Die Beschwerdeführer erachten sich (zu 1. und 2.) in ihrem Recht auf Berücksichtigung der Anlaufverluste als Sonderausgaben gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 und (zu 3.) in ihrem Recht auf Kürzung des Gewerbeertrages um diese Fehlbeträge gemäß § 6 Abs. 2 GewStG iVm § 18 Abs. 7 EStG 1988 verletzt. Sie behaupten inhaltliche Rechtswidrigkeit und beantragen deshalb Bescheidaufhebung.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihren Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

Anlaufverluste sind gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 Verluste, die in den ersten drei Veranlagungszeiträumen ab Eröffnung eines Betriebes entstehen.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die von Quantschnigg-Schuch, im Einkommensteuerhandbuch, EStG 1988, unter Tz 112 zu § 18, vertretene Meinung, der Begriff "Betriebseröffnung" sei an Hand des Sinnes des § 18 Abs. 7 auszulegen. Es gehe dabei um die Einräumung des Verlustvortrages für typische Verlustsituationen, im speziellen um die Einräumung des Verlustvortrags in der typischen Verlustsituation des Beginnes einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit. Dies spreche dafür, den Verlustvortrag des § 18 Abs. 7 analog all jenen Steuerpflichtigen einzuräumen, bei denen ein Beginn einer betrieblichen Betätigung im Sinne der Liebhabereiverordnung anzunehmen sei. Dies sei dann der Fall, wenn ein Betrieb neu begründet werde, ein bestehender Betrieb übernommen (Kauf, Erbgang, Schenkung) und in völlig veränderter Form weitergeführt werde. Eine neue Betriebseröffnung sei auch dann anzunehmen, wenn zwar schon bisher eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt worden sei, aber umgewandelt und sodann in einer nicht mehr vergleichbaren Form fortgeführt werde. Auch eine Teilbetriebseröffnung sei als Betriebseröffnung im Sinne des § 18 Abs. 7 zu werten, zumal auch dabei typischerweise eine Anlaufverlustphase gegeben sei.

Einer dieser Fälle, nämlich der der Umwandlung bisher ausgeübter betrieblicher Tätigkeit mit nachfolgender Fortführung in einer nicht mehr vergleichbaren Form liegt hier vor.

Eine Schuhreparaturwerkstätte erfährt nämlich durch das Hinzutreten eines Schuhhandels eine derart tiefgreifende Änderung der Tätigkeit, daß unter Berücksichtigung des erwähnten Sinnes des § 18 Abs. 7 EStG 1988 von einer (neuen) Betriebseröffnung gesprochen werden muß.

Danach kommt es auf die Überprüfung der Meinung der belangten Behörde, es lägen weder getrennte eigenständige Betriebe, noch ein Betrieb mit einem Teilbetrieb vor, nicht mehr an.

Solcherart hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und hiedurch mit den angefochtenen Bescheiden die Beschwerdeführer im Rahmen des Beschwerdepunktes in ihren Rechten verletzt, was zur Aufhebung dieser Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG führen mußte.

Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

FORTSETZUNG DES BETREFF:

2. der S in G, vertreten durch den bereits genannten Rechtsanwalt, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der bereits genannten belangten Behörde vom selben Tag, Zl. 4/5/1-BK/Hl-1993, betreffend Einkommensteuer 1991 (Beschwerde 93/14/0157), 3. der beiden unter 1. und 2. genannten Beschwerdeführer, beide vertreten durch den bereits genannten Rechtsanwalt, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der bereits genannten belangten Behörde vom selben Tag, Zl. 4/4/3-BK/Hl-1993, betreffend Gewerbesteuer 1991 (Beschwerde 93/14/0158), zu Recht erkannt:

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