VwGH 93/13/0163

VwGH93/13/016329.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 17. Juni 1993, Zl. GZ H 3127/1/2-IV/4/93, betreffend Zuzugsbegünstigung, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
B-VG Art130 Abs2;
EStG 1972 §103;
EStG §103;
BAO §20;
B-VG Art130 Abs2;
EStG 1972 §103;
EStG §103;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

In einer Eingabe vom 16. März 1993 ersuchte der Beschwerdeführer um die Gewährung einer Zuzugsbegünstigung im Sinne des § 103 EStG 1988 sowie des § 10 VStG 1954. In der Begründung führte er aus, er habe Österreich im Jahre 1939 aus rassischen und politischen Gründen verlassen müssen und sei in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert. Im Jahre 1945 habe er die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten angenommen. Am 30. Dezember 1992 sei er in seine Heimat zurückgekehrt, um hier seine letzten Lebensjahre zu verbringen. Er erhalte neben einer amerikanischen Staatspension und einer kleinen Pension der Republik Österreich Dividenden und Zinsen aus einem Vermögen in Höhe von ca. $ 184.000,--. Seine Ehefrau sei österreichische Staatsbürgerin und beziehe eine österreichische Pension.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde das gegenständliche Ansuchen insoferne abgewiesen, als darin eine Einkommensteuerbegünstigung begehrt wurde. In der Begründung wurde ausgeführt, von "der gesetzlichen Ermächtigung" des § 103 EStG 1988 werde kein Gebrauch gemacht, "da der Zuzug vom Ausland ins Inland unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration nicht mehr durch steuerliche Maßnahmen förderungswert erscheint und daher steuerliche Zuzugsbegünstigungen nicht mehr gewährt werden können". Insoweit im Ansuchen eine Begünstigung bei der Vermögensbesteuerung begehrt wurde, wurde über das Ansuchen in diesem Bescheid nicht abgesprochen.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei Personen, die ihren Wohnsitz aus dem Ausland ins Inland verlegen und hier, ohne erwerbstätig zu werden, ihre Verbrauchswirtschaft in einer für das Inland nützlichen Weise einrichten, kann der Bundesminister für Finanzen gemäß § 103 Abs. 1 EStG 1988 für einen bestimmten Zeitraum die Besteuerung abweichend von den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anordnen.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Die belangte Behörde nahm offenkundig die Voraussetzungen des § 103 EStG 1988 als gegeben an und traf - wie auch aus ihrer Formulierung im Spruch des angefochtenen Bescheides erkennbar ist - eine Ermessensentscheidung.

Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung müssen Ermessensentscheidungen stets der Ermessensrichtlinie des § 20 BAO (Billigkeit und Zweckmäßigkeit) entsprechen, wobei dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das "öffentliche Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beigemessen wird. Eine Ermessensüberschreitung liegt keinesfalls darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber denen der Billigkeit den Vorrang einräumt, doch müssen die Zweckmäßigkeitserwägungen mit dem Sinn des Gesetzes in Einklang stehen, das heißt, die Behörde darf sich bei ihrer Entscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG nur berechtigt zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde, ob also der Bescheid den Ermessensrichtlinien entspricht oder zuwiderläuft (Ermessensüberschreitung, Ermessensmißbrauch; vgl. insbesondere das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 1986, 85/13/0174, mit weiteren Hinweisen).

Unter dem bei der Ermessensübung maßgeblichen Sinne des Gesetzes ist dabei nur der Sinn der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm, also die aus dem betreffenden Gesetz hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers zu verstehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1950, 209/50, Slg. Nr. 1573/A). Keine Bedeutung kommt hingegen bei der Frage nach dem Sinn der Norm anderen, damit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden Vorschriften oder auch nur in Zukunft möglicherweise wirksam werdenden gesetzlichen oder gesetzesgleichen Bestimmungen zu.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 6. Mai 1970, 408/70, zur Vorgängerbestimmung des § 31 Abs. 1 EStG 1967 ausgesprochen hat, besteht der Sinn dieser Bestimmung nun einerseits darin, daß die Rückwanderung von Inländern begünstigt werden soll, die in jungen Jahren ausgewandert sind, im Ausland Vermögen erworben haben und ins Inland zurückkehren wollen, um hier ihren Lebensabend zu verbringen, andererseits darin, daß übermäßige Steuerbelastung nicht den Zuzug solcher Ausländer hindern soll, deren Niederlassung im Inland im Interesse der inländischen Wissenschaft, Kunst oder Wirtschaft wünschenswert ist. Auch der im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmung des § 103 EStG 1988 kann kein anderer Sinn beigemessen werden, zumal auch im Zeitpunkt der Beschlußfassung über diese Gesetzesstelle die (von der belangten Behörde in ihrer Begründung bezogene) "europäische Integration" weit fortgeschritten war. Überdies hat der Gesetzgeber das Rechtsinstrument der Zuzugsbegünstigung erst in jüngster Zeit durch Anfügung eines weiteren Absatzes 4 an § 103 EStG 1988 ausgeweitet (vgl. Art. I Z. 1 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 448/1992).

Die belangte Behörde hat sich mit dem Anbringen des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid in keiner Weise auseinandergesetzt. Vielmehr hat sie diesen ausschließlich mit einem Hinweis auf die "europäische Integration" begründet, ohne auch nur andeutungsweise darzulegen, welcher ursächliche Zusammenhang zwischen der Rückkehr eines ehemaligen Österreichers aus den Vereinigten Staaten von Amerika und einer solchen "europäischen Integration" bestehen sollte. Die Behörde hat es damit unterlassen, bei ihrer Entscheidung vom Ermessen im Sinne des Gesetzes, also der anzuwendenden Rechtsnorm des § 103 EStG 1988, Gebrauch zu machen. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Beilagengebühr beträgt hinsichtlich der der Beschwerde angeschlossenen, aus einem Bogen bestehenden Bescheidablichtung S 30,--, sodaß der Kostenersatz nur in dieser Höhe zuzusprechen war.

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