VwGH 93/12/0144

VwGH93/12/014414.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 7. April 1993, Zl. Bi-010127/1-1993-Zei, betreffend Zurechnung von Jahren nach § 9 Pensionsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

PG 1965 §9 Abs1;
PG 1965 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1940 geborene Beschwerdeführer steht als Direktor des polytechnischen Lehrganges in Ruhe in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Land Oberösterreich. Seine letzte Dienststelle war der Landesschulrat für Oberösterreich.

Mit Bescheid des Landesschulrates für Oberösterreich vom 25. August 1992 wurde der Beschwerdeführer mit Wirksamkeit vom 30. September 1992 in den Ruhestand versetzt, weil er infolge Krankheit, Unfalls oder Gebrechens ein Jahr vom Dienst abwesend und dienstunfähig gewesen war. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1992 ersuchte der Landesschulrat die Landessanitätsdirektion unter Bezugnahme auf § 9 des Pensionsgesetzes um Ergänzung des aus Anlaß des Ruhestandsversetzungsverfahrens erstatteten Gutachtens dahingehend, ob der Beschwerdeführer zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei.

In dem daraufhin erstatteten Gutachten vom 30. Dezember 1992 wird ausgeführt, daß beim Beschwerdeführer seit Jahren Kopfschmerzen bestünden, welche ihn in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigten. Es sei bisher zu keiner konsequenten Therapieführung gekommen. Aufgrund seiner subjektiv geäußerten Beschwerden könne aus medizinischer Sicht ein Einsatz als Lehrkraft nicht mehr empfohlen werden. Der Beschwerdeführer sei jedoch zu jeglicher Arbeit im administrativen Bereich fähig. Es sei festzuhalten, daß die Außerdienststellung eher die Fixierung der Beschwerden bewirke und eine Besserung daher nicht erreicht werden könne. Es erscheine aus medizinischer Sicht sinnvoller, den Beschwerdeführer im Bereich der Verwaltung einzusetzen und gleichzeitig eine Psychotherapie durchzuführen.

Mit Schreiben vom 8. Jänner 1993 teilte der Landesschulrat für Oberösterreich dem Beschwerdeführer mit, daß laut amtsärztlichem Gutachten eine Anrechnung von Dienstjahren gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 nicht gerechtfertigt erscheine.

Der Beschwerdeführer gab hiezu mit Schreiben vom 21. Jänner 1993 eine Stellungnahme ab, in der er ausführte, daß er seine Angaben über seine Beschwerden wiederhole. Diese bestünden in schwersten Kopfschmerzen, die den ganzen Tag andauerten. Diese Kopfschmerzen träten auch nachts auf und er leide außerdem unter Schlafstörungen; Medikamente müßten dabei in höchsten Dosierungen eingenommen werden. Die Häufigkeit der Anfälle liege bei 3 bis 5 mal pro Woche; auch an schmerzfreien Tagen sei er durch die hohe Dosierung der Medikamente stark beeinträchtigt. Seiner Meinung nach hätten diese Beschwerden nichts mit seiner Berufsausübung als Lehrer zu tun, sondern träten in jeglicher Lebenssituation auf. Dieses Krankheitsbild würde sich auch im Falle seines Einsatzes im Verwaltungsbereich nicht ändern. Durch seinen mehr als ein Jahr dauernden Krankenstand sei bewiesen, daß auch eine administrative Tätigkeit nicht möglich sei. Da auch seine Mutter schwerst migränekrank gewesen sei und im zunehmenden Maße auch seine Tochter unter denselben Beschwerden leide, nehme er an, daß in seiner Familie eine Disposition zu dieser Krankheit vorliege und daß nicht psychologische Gründe ausschlaggebend seien, die durch eine psychotherapeutische Behandlung zu heilen wären. Außerdem sei er laufend in nervenärztlicher Behandlung. Aus diesen Gründen sei er der Meinung, daß er nicht nur dienstunfähig als Lehrer, sondern generell zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei.

Mit Bescheid des Landesschulrates von Oberösterreich vom 15. März 1993 wurde gemäß § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 verfügt, daß aus Anlaß der Versetzung des Beschwerdeführers in den Ruhestand mit Ablauf des 30. September 1992 aus gesundheitlichen Gründen keine Zurechnung von Dienstjahren zu erfolgen habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er ausführte, daß bei der Ablehnung der Zurechnung von Dienstjahren lediglich vom Gutachten des Dr. S. ausgegangen worden sei, der festgestellt habe, daß er zu jeglicher Arbeit im administrativen Bereich fähig sei. Hätte sich der Gutachter mit seiner beruflichen Situation auseinandergesetzt, wäre er jedoch zur Erkenntnis gelangt, daß er als Leiter eines Polytechnischen Lehrganges mit geringer Lehrverpflichtung bereits bis zu seiner Pensionierung fast ausschließlich administrative Tätigkeiten verrichtet habe. Deshalb erscheine ihm die ärztliche Beurteilung mangelhaft und anzuzweifeln und könne nicht als Grundlage einer Ablehnung genommen werden, weil es durchaus gegenteilige fachmedizinische Gutachten gebe. Er sei ein Jahr wegen seiner schweren Krankheit im Krankenstand gewesen; dies beweise, daß er auch zu keinen administrativen Arbeiten fähig sei.

Die belangte Behörde gab dieser Berufung mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und führte nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens und der Rechtslage im wesentlichen aus, daß die Entscheidung, ob der Beamte zu einer zumutbaren Erwerbstätigkeit fähig sei, eine von den Dienstbehörden zu beurteilende Rechtsfrage sei, die die Einholung von ärztlichen Sachverständigengutachten voraussetze. Werde nun die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so seien die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen beizuziehen. Nur wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stünden, oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten sei, könne die Behörde außnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige heranziehen. Der von der Dienstbehörde beigezogene Amtssachverständige habe in seinem Gutachten zusammenfassend beurteilt, daß der Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht nicht mehr als Lehrkraft eingesetzt werden könne, jedoch noch zu jeglicher Arbeit im administrativen Bereich fähig sei. Darüber hinaus sei festgehalten worden, daß die erfolgte Außerdienststellung eher die Fixierung der Beschwerden bewirke und es aus medizinischer Sicht daher sinnvoller sei, den Beschwerdeführer im Bereich der Verwaltung einzusetzen und gleichzeitig eine Psychotherapie durchzuführen. Dieses amtsärztliche Gutachten sei nach entsprechender ärztlicher Untersuchung des Beschwerdeführers sowie unter Einbeziehung des Arztbriefes von Dr. H. vom 3. Juli 1992 sowie des Ambulanzbriefes des Wagner-Jauregg-Krankenhauses in Linz vom 18. Oktober 1991 erstellt worden. Im übrigen sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben des Landesschulrates für Oberösterreich vom 8. Jänner 1993 in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben gewesen, zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen. Seitens der belangten Behörde werde das genannte Gutachten aufgrund der darin enthaltenen Ausführungen ebenfalls als entsprechend begründet und schlüssig erachtet und ergebe sich daraus zweifelsfrei, daß der Beschwerdeführer zu einem zumutbaren Erwerb außerhalb des Schulbereiches fähig sei. Nach Ansicht der belangten Behörde sei der Beschwerdeführer aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustandes durchaus in der Lage, eine Tätigkeit, die in ihrer sozialen (gesellschaftlichen) Geltung seiner Fortbildung und seiner erreichten dienstrechtlichen Stellung annähernd gleichkomme, auszuüben. Da der Beschwerdeführer in seiner Berufung vom 22. März 1993 keine neuen medizinisch zu beurteilenden Tatsachen vorgebracht habe und nach Ansicht der belangten Behörde die medizinisch zu beurteilenden Fragen hinreichend aufgeklärt worden seien, habe von der Einholung weiterer ärztlicher Gutachten bzw. eines Ergänzungsgutachtens Abstand genommen werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und eine kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 9 Abs. 1 des gemäß § 106

Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984, BGBl. Nr. 302 (LDG 1984),

anwendbaren PG 1965 in der Fassung der 8. Pensionsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 426/1985, lautet:

"(1) Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so hat ihm seine oberste Dienstbehörde aus Anlaß der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch 10 Jahre, zu seiner ruhegenußfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen."

Gemäß § 36 Abs. 1 PG 1965 hat die Dienstbehörde, soweit die Beurteilung eines Rechtsbegriffes von der Beantwortung von Fragen abhängt, die in das Gebiet ärztlichen Fachwissens fallen, durch ärztliche Sachverständige Beweis zu erheben.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 PG 1965 die Auffassung, daß die Behörde die in einem Verfahren nach der genannten Gesetzesstelle entscheidende Rechtsfrage (vgl. Erkenntnis vom 20. September 1988, Zl. 88/12/0022), ob der Beamte noch "zu einem zumutbaren Erwerb" fähig ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen hat (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 22. Juni 1987, Zl. 87/12/0033, und vom 29. Februar 1988, Zl. 87/12/0170); hiebei hat sie zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können; letzteres ist dann der Fall, wenn diese Tätigkeiten ihrer sozialen Geltung nach der früheren Beschäftigung, der dienstlichen Stellung und der Fortbildung des Beamten annähernd gleichkommen und wenn die Aufnahme solcher Tätigkeiten vom Beamten auch nach seinen sonstigen persönlichen Lebensumständen billigerweise erwartet werden kann (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 23. Oktober 1987, Zl. 86/12/0115, vom 18. Jänner 1988, Zl. 87/12/0123, und vom 20. September 1988, Zl. 86/12/0114, Zl. 88/12/0021 und Zl. 88/12/0022, jeweils mit weiteren Judikaturhinweisen). Ob dem Beamten eine solche Beschäftigung, die an sich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 20. September 1988, Zl. 88/12/0022, und vom 23. April 1990, Zl. 89/12/0103). In einem dem Standpunkt des Beamten nicht vollinhaltlich Rechnung tragenden Bescheid nach § 9 Abs. 1 PG 1965 hat die Behörde entsprechend den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG und § 1 DVG in einer sowohl die Wahrnehmung der Rechte durch den Beamten als auch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Das im Beschwerdefall durchgeführte Verfahren wird diesen Anforderungen aus mehreren Gründen nicht gerecht.

Auszugehen ist davon, daß Erwerbsfähigkeit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit ist abstrakt zu beurteilen; es kommt aber darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten vorliegen. Hiebei ist auch zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) gegeben ist.

Im Beschwerdefall geht die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides von dem amtsärztlichen Gutachten vom 30. Dezember 1992 aus, das zwar zu dem Schluß gelangt, der Beschwerdeführer sei zu jeglicher Arbeit im administrativen Bereich fähig, sich seinem Inhalt nach (...."ein Einsatz als Lehrkraft nicht mehr empfohlen"..."Es erscheint aus medizinischer Sicht sinnvoller, den Beschwerdeführer im Bereich der Verwaltung einzusetzen"....) nicht mit der Fragestellung auseinandersetzt, ob der Beschwerdeführer zu einem zumutbaren Erwerb "unfähig geworden" sei, sondern die (vorliegendenfalls nicht entscheidungswesentliche) Möglichkeit der Verwendung des Beschwerdeführers auf einem Ersatzarbeitsplatz aufzeigt. Ein berufskundliches Gutachten wurde nicht eingeholt. In der Begründung des angefochtenen Bescheides geht die belangte Behörde auch auf die Einwendungen des Beschwerdeführers, die Häufigkeit seiner Migräneanfälle liege bei 3 bis 5 mal pro Woche, er sei auch an schmerzfreien Tagen durch die hohe Dosierung der Medikamenteneinnahme stark beeinträchtigt und dieses Krankheitsbild würde sich auch im Falle seines Einsatzes im Verwaltungsbereich nicht ändern, nicht ein; sie hat hiezu keine entsprechenden Erhebungen gepflogen und keine Feststellungen getroffen, ob der Beschwerdeführer bei den von ihm behaupteten Leidenszuständen zu einer geregelten Arbeitszeit überhaupt fähig wäre. Bereits aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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