VwGH 92/11/0076

VwGH92/11/007622.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 14. Jänner 1992, Zl. 716.165/1-2.5/91, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes, zu Recht erkannt:

Normen

WehrG 1990 §36 Abs2 Z2;
WehrG 1990 §36 Abs6;
WehrG 1990 §36 Abs2 Z2;
WehrG 1990 §36 Abs6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1969 geborene, am 29. Oktober 1987 für tauglich befundene Beschwerdeführer begehrte mit Antrag vom 3. März 1991 seine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. In seiner Berufung gegen den dieses Begehren abweisenden Bescheid des Militärkommandos Wien vom 6. Mai 1991 stellte er den Eventualantrag auf befristete Befreiung bis Herbst 1993. Die Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 14. Jänner 1992 gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 Wehrgesetz 1990 (WG) abgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof trat die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluß vom 11. März 1992, B 274/92, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Beschwerdeführer erklärt, den Bescheid nur insoweit anzufechten, als seinem Begehren nach Befreiung von der Präsenzdienstpflicht bis Herbst 1993 keine Folge gegeben wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Begründung seines Befreiungsantrages brachte der Beschwerdeführer vor, er sei gelernter Schlosser und habe schon seit längerer Zeit die Absicht gehegt, sich beruflich selbständig zu machen. Im Jahre 1989 habe sich die außergewöhnliche Chance ergeben, ein Unternehmen (Handel mit Alt- und Abfallstoffen), dessen Inhaberin sich aus dem Geschäftsleben habe zurückziehen wollen und einen Nachfolger gesucht habe, zu übernehmen. Dabei sei die bestehende Betriebsgenehmigung auf ihn übertragen worden und nur auf Grund dieser günstigen Umstände habe er einen Gewerbeschein sowie die Dispens vom Erfordernis einer kaufmännischen Berufsqualifikation (er sei von seiner Ausbildung her nicht Einzelhandelskaufmann, sondern Schlosser) erlangen können. Der im September 1989 aufgenommene Gewerbebetrieb müßte im Falle der Ableistung des Grundwehrdienstes mangels einer Vertretungsmöglichkeit für den Beschwerdeführer stillgelegt werden. Der diesfalls zu erwartende Verlust des Kundenstockes würde in der Folge zum Zusammenbruch des Unternehmens führen und weiters die Unmöglichkeit, die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, nach sich ziehen. Eine Vertretungsmöglichkeit würde sich erst anläßlich der Pensionierung seiner Mutter (Lehrerin) im Jahre 1993 ergeben, sofern sie überhaupt in der Lage sei, das Unternehmen vertretungsweise weiterzuführen.

Die belangte Behörde bejahte im Hinblick auf das Unternehmen des Beschwerdeführers und die von ihm eingegangenen Kreditverbindlichkeiten von rund S 350.000,-- das Bestehen wirtschaftlicher Interessen an seiner Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. Sie verneinte aber deren besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des § 36 Abs. 2 Z. 2 WG. Sie begründete dies mit der mangelnden Bedachtnahme des Beschwerdeführers auf die ihn bei der Gestaltung seiner beruflichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten treffende Harmonisierungspflicht. Es sei nicht ersichtlich, daß besondere Gründe dem Beschwerdeführer nicht erlaubt hätten, mit der Übernahme des Betriebes bis nach Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes zuzuwarten. Auch sei dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu entnehmen, daß die ins Treffen geführte, unerwartet eingetretene Möglichkeit der Übernahme des gegenständlichen Betriebes eine derart außergewöhnliche Gelegenheit darstellte, daß ihr durch die Leistung des Präsenzdienstes bedingtes Nichtergreifen als ein im Vergleich zu anderen Wehrpflichtigen unzumutbarer Nachteil angesehen werden müßte. Aus dem selben Grund könne auch dem Eventualbegehren des Beschwerdeführers auf befristete Befreiung "nicht nähergetreten werden".

Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 WG können Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. neben den im angefochtenen Bescheid genannten Entscheidungen zuletzt etwa sein Erkenntnis vom 17. März 1992, Zl. 92/11/0052, mit weiteren Judikaturhinweisen) hat ein Wehrpflichtiger seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, daß für den Fall seiner Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden und nicht durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit oder durch das Eingehen finanzieller Verpflichtungen erst geschaffen werden. Verletzt der Wehrpflichtige diese Obliegenheit, können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig angesehen werden.

Der Beschwerdeführer pflichtet der belangten Behörde darin bei, daß die Führung seines Handelsbetriebes, in dem er - von der fallweisen Heranziehung eines Tagelöhners abgesehen - alleine tätig sei, nicht geeignet sei, seine "vollständige und dauernde" Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes zu rechtfertigen. Er meint aber, es liege auf der Hand, daß die Anforderungen an die Rücksichtswürdigkeit wirtschaftlicher Interessen für eine dauernde Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes notwendigerweise höher seien als für eine bloß vorübergehende Befreiung. Die belangte Behörde sei eine Begründung dafür schuldig geblieben, weshalb ein wirtschaftliches Interesse, das für eine unbefristete Befreiung nicht hinreiche, gleichzeitig auch eine vorübergehende Befreiung ausschließe.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß auch eine befristete Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes die besondere Rücksichtswürdigkeit des geltend gemachten wirtschaftlichen Interesses voraussetzt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. September 1987, Zl. 87/11/0064). Jedenfalls insoweit kann von höheren oder weniger hohen "Anforderungen" nicht die Rede sein. Ein Unterschied besteht lediglich in der zeitlichen Dimension, und zwar insofern, als dann, wenn auf Grund der Gegebenheiten ein besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse nur für eine begrenzte Zeit anzunehmen ist, nur für diese Zeit eine Befreiung ausgesprochen werden darf (arg.: "solange"). Da sich die Frage nach der zeitlichen Dauer eines besonders rücksichtswürdigen Interesses erst dann stellt, wenn überhaupt ein solches Interesse besteht, die belangte Behörde aber bereits dessen Bestehen verneint hat (worauf noch einzugehen sein wird), erübrigten sich Erörterungen darüber, ob und für welche Dauer eine befristete Befreiung des Beschwerdeführers in Betracht käme. Daher ist, sofern insoweit überhaupt von einem Begründungsmangel die Rede sein kann, dieser jedenfalls nicht wesentlich.

Die tragende Begründung des angefochtenen Bescheides, der Beschwerdeführer habe bei der Gestaltung seiner wirtschaftlichen Angelegenheiten auf die Harmonisierungspflicht nicht entsprechend Bedacht genommen, weshalb die besondere Rücksichtswürdigkeit des geltend gemachten wirtschaftlichen Interesses zu verneinen sei, entspricht im Lichte der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der gegebenen Rechtslage. Der Beschwerdeführer wußte seit seiner Stellung am 29. Oktober 1987 um seine Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. Laut seinem Berufungsvorbringen hegte er "seit längerer Zeit" die Absicht, sich beruflich selbständig zu machen. Er hat nun im Verwaltungsverfahren nie vorgebracht, an die Militärbehörde mit dem Begehren herangetreten zu sein, ihn umgehend zum Grundwehrdienst einzuberufen, damit er sich in der Folge ungestört dem Aufbau seiner wirtschaftlichen Existenz widmen könne. Seine Behauptung, er habe bereits im Berufungsverfahren ausgeführt, daß er zeitgerecht um seine Einberufung für April 1989 ersucht habe, trifft nicht zu. Weder in der Berufung noch in sonstigen Eingaben im Verwaltungsverfahren findet sich ein derartiges Vorbringen. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, welchen Einfluß es im gegebenen Zusammenhang hätte, wenn der Beschwerdeführer erst nach einem solchen, erfolglos gebliebenen Begehren mit der Betriebstätigkeit unter Aufnahme von Krediten begonnen hätte.

Es kann auch dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Möglichkeit der Übernahme eines bestehenden Betriebes tatsächlich, wie er meint, eine so "einmalige Chance" darstellte, daß ihr präsenzdienstbedingtes Nichtergreifen im Vergleich zu anderen Wehrpflichtigen als unverhältnismäßiger Nachteil anzusehen wäre. Denn selbst wenn man dies bejahte, wäre für den Beschwerdeführer nichts gewonnen. Im Hinblick auf die bereits seit längerer Zeit gehegte Absicht, sich beruflich selbständig zu machen, lag es im besonderen Interesse des Beschwerdeführers, den Grundwehrdienst so früh wie möglich abzuleisten, um entsprechende Gelegenheiten wahrnehmen und sich sodann ungestört dem Aufbau seiner beruflichen Existenz widmen zu können. Wenn der Beschwerdeführer dahingehende Bemühungen unterließ, nahm er auch in Kauf, daß er durch die ausständige Leistung des Grundwehrdienstes an der Wahrnehmung einer überraschend auftauchenden günstigen Gelegenheit zum Aufbau seiner wirtschaftlichen Existenz gehindert sein könnte. Das aber schließt die Wertung des nunmehr geltend gemachten wirtschaftlichen Interesses als besonders rücksichtswürdig aus.

An der mangelnden besonderen Rücksichtswürdigkeit des wirtschaftlichen Interesses des Beschwerdeführers vermag sein Hinweis auf den Zweck des Arbeitsplatzsicherungsgesetzes, Wehrdienstleistenden die berufliche Existenz zu sichern, nichts zu ändern. Bei Wehrpflichtigen, die sich beruflich selbständig machen wollen, liegt es in erster Linie in ihrem Interesse, zuvor den Grundwehrdienst abzuleisten, um so die andernfalls mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Schwierigkeiten zu vermeiden. Auf diese Weise haben es diese Wehrpflichtigen selbst in der Hand, derartige Schwierigkeiten erst gar nicht entstehen zu lassen.

Bei seinem Hinweis auf den Zweck des § 36 Abs. 6 Z. 1 WG, Wehrpflichtigen durch Aufschub des Antrittes des ordentlichen Präsenzdienstes den Abschluß einer beruflichen Ausbildung zu ermöglichen, läßt der Beschwerdeführer außer acht, daß der Abschluß einer beruflichen Ausbildung allein noch nicht die Notwendigkeit der nachhaltigen beruflichen Betätigung des Wehrpflichtigen nach sich zieht. Diese Notwendigkeit ergibt sich, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in der Regel erst aus der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit unter Aufnahme von Krediten. Es ist daher zwischen der Sicherung einer ungestörten beruflichen Ausbildung der Wehrpflichtigen (welchem Zweck § 36 Abs. 6 WG vornehmlich dient) und der Sicherung ihrer beruflichen Existenz selbst (diesem Ziel dienen das Arbeitsplatzsicherungsgesetz wie auch § 36 Abs. 2 Z. 2 WG) zu unterscheiden. Gerade aus der letzteren Zielsetzung folgt im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß auch der Wehrpflichtige selbst gehalten ist, den Aufbau seiner beruflichen Existenz mit seiner Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes zu harmonisieren, um sich nicht infolge mangelnder Bedachtnahme darauf im Falle der künftigen Ableistung des Grundwehrdienstes vermeidbaren Schwierigkeiten auszusetzen. Für den Standpunkt des Beschwerdeführers ist somit auch mit dem Hinweis auf § 36 Abs. 6 Z. 1 WG nichts zu gewinnen.

Aus diesen Erwägungen erweist sich die Beschwerde als nicht begründet. Sie ist deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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