Normen
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs4;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §9 Abs1;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs4;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §9 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom 27. Juni 1991 erkannte die Bezirkshauptmannschaft Landeck die Beschwerdeführerin schuldig, sie habe entgegen § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) auf Grund der Versicherungszeitenbestätigung der Tiroler Gebietskrankenkasse drei namentlich genannte jugoslawische Staatsangehörige in der Zeit vom 19. März bis 15. November 1990 in ihrem Betrieb beschäftigt, ohne im Besitz der hiefür erforderlichen Beschäftigungsbewilligung des Arbeitsamtes Landeck zu sein, und ohne daß die ausländischen Arbeitnehmer im Besitz einer Arbeitsplatzerlaubnis oder eines gültigen Befreiungsscheines gewesen seien. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen verhängte die Behörde erster Instanz über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe im Ausmaß von S 15.000,--.
Laut Bescheid und Zustellverfügung wurde dieser Bescheid "SF vertreten durch HF" - dies ist der Ehegatte der Beschwerdeführerin, der im vorangegangenen Ermittlungsverfahren bei der Beschuldigtenvernehmung laut Niederschrift vom 12. Februar 1991 für die Beschwerdeführerin "als Vertreter gemäß § 10 Abs. 4 AVG" eingeschritten ist - per Adresse "HNr. 18 F" eigenhändig zugestellt. Auf dem Rückschein befindet sich handschriftlich folgende Adresse: "E-Str. 40, G". Unter dieser Adresse wurde die Zustellung auch tatsächlich durchgeführt. Laut Rückschein wurden erfolglos am 5. und 8. Juli 1991 zwei Zustellversuche durchgeführt und der Bescheid in der Folge beim Postamt G (Beginn der Abholfrist: 9. Juli 1991) schließlich hinterlegt.
In ihrer Berufung vom 25. Juli 1991 (am gleichen Tag zur Post gegeben) brachte die Beschwerdeführerin durch ihren nunmehrigen Beschwerdevertreter zur Rechtzeitigkeit ihres Rechtsmittels vor, sie befinde sich seit Anfang Juli 1991 ständig mit ihrem Mann als Alppersonal auf einer Alpe. Sie habe zufällig erstmals am 11. Juli 1991 von der Hinterlegung und sohin vom Straferkenntnis Kenntnis erlangt.
Über Aufforderung der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. Oktober 1991 bekannt, sie habe sich vom 24. Juni bis 21. September 1991 durchgehend auf der Alpe S bei X aufgehalten und den Alphaushalt versorgt. Durch ihre ständige Abwesenheit habe sie vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt. Erstmals sei sie am 11. Juli 1991 an den Zustellort zurückgekehrt, habe am gleichen Tage von der Zustellung Kenntnis erlangt und das Straferkenntnis behoben. Sie habe das hinterlegte Schriftstück am 11. Juli 1991 in Empfang genommen. Als Beweismittel machte die Beschwerdeführerin neben ihrem Ehegatten auch B. und M. als Zeugen namhaft.
Nach Einholung einer Auskunft beim Postamt G teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, der erstinstanzliche Bescheid sei am 10. Juli 1991 behoben worden.
In ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 1992 brachte die Beschwerdeführerin hiezu vor, entgegen der amtlichen Auskunft des Postamtes sei ihr das Straferkenntnis nicht am 10., sondern am 11. Juli 1991 zugestellt worden. Die Zustellung sei durch die Ferialbedienstete "CM, Y-Gasse 52, 6721 Thüringen" erfolgt. Von dieser sei das Datum 10. Juli 1991 auf dem Rückschein irrtümlich angegeben worden. Von diesem Irrtum habe auch der für diesen Zustellbereich zuständige Postbeamte GB Kenntnis erlangt. Ergänzend zu den in ihrer Stellungnahme vom 23. Oktober 1991 namhaft gemachten Zeugen beantragte die Beschwerdeführerin auch die Einvernahme von CM und GB zum Beweis dafür, daß die Zustellung tatsächlich erst am 11. Juli 1991 erfolgt sei.
Nach einem Aktenvermerk vom 25. Mai 1992 könne laut telefonischer Auskunft GB zum vorliegenden Zustellvorgang überhaupt keine Angaben machen.
In der Folge richtete die belangte Behörde auf Grund des Art. 2 des Vertrages zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen an das Ministerium des Inneren des Saarlandes das Ersuchen, CM, Y-Gasse 52, 6712 Thüringen, zum Zustellvorgang zu vernehmen.
Mit Schreiben vom 16. April 1992 gab diese Behörde bekannt, eine Vernehmung der Zeugin sei nicht möglich, da Thüringen nicht zum Zuständigkeitsbereich des Saarlandes gehöre. Eine Weiterleitung sei nicht möglich, da 6721 "Thüringen" ein Bundesland und keine Gemeinde sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 5. Juni 1992 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 51e Abs. 1 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück. Begründend führte die belangte Behörde aus, laut amtlich beglaubigter Mitteilung des Postamtes G sei der hinterlegte erstinstanzliche Bescheid am 10. Juli 1991 behoben worden. Auf Grund der Stellungnahme der Beschwerdeführerin (vom 4. Februar 1992) sei ein Rechtshilfeersuchen um Vernehmung der beantragten Zeugin CM aus Thüringen gestellt worden; diesem Ersuchen habe von seiten der deutschen Behörden mangels einer ordnungsgemäßen Adresse für CM nicht nachgekommen werden können, da es sich bei Thüringen um ein Bundesland handle. Eine weitere telefonische Anfrage beim Postamt G an Herrn GB als zuständigen Zusteller habe ergeben, daß sich dieser an die gegenständliche Zustellung nicht erinnern bzw. aus eigener Erfahrung dazu keinerlei Angaben machen könne. Es sei daher von der amtlichen Bestätigung des Postamtes G auszugehen gewesen, wonach der Rückscheinbrief am 10. Juli 1991 behoben und somit die Berufung verspätet zur Post gegeben worden sei. Aus diesem Grund sei von der Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung Abstand genommen worden. Da der Sachverhalt in bezug auf die Verspätung ausreichend geklärt sei, sei auch von der Aufnahme weiterer Zeugenbeweise Abstand genommen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 erster Satz AVG, BGBl. Nr. 51/1991, können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben.
Nach Abs. 4 dieser Bestimmung kann die Behörde von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.
§ 9 Abs. 1 erster Satz des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, lautet:
"(1) Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist."
§ 17 Abs. 1 und Abs. 3 des Zustellgesetzes lautet:
"(1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."
Nach § 51e Abs. 1 VStG, BGBl. Nr. 52/1991, ist eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen, wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist, oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Zu dieser sind die Parteien und die anderen zu hörenden Personen, insbesondere Zeugen und Sachverständige, zu laden.
Die Beschwerdeführerin bringt im wesentlichen vor, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geblieben. Zur Klärung des maßgebenden Sachverhaltes, wann die Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (wirksam) erfolgt sei, wäre es erforderlich gewesen, alle von ihr angebotenen Zeugen einzuvernehmen. Der erfolglos gebliebene Versuch der Rechtshilfevernehmung von CM im deutschen Thüringen sei gänzlich unverständlich, habe die Beschwerdeführerin doch die österreichische Anschrift der Zeugin in 6712 Thürigen, Y-Gasse 52, angegeben. Diese Angabe sei richtig und ausreichend gewesen. Weder in Österreich noch in Deutschland würden Bundesländer mit Postleitzahlen bezeichnet. Deshalb sei klar, daß es sich bei Thüringen um eine Ortschaft handeln müsse. Abgesehen davon liege der Ort 6712 Thüringen ganz in der Nähe des Zustellortes. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Postzustellerin im entfernten deutschen Bundesland Thüringen wohnhaft hätte sein sollen. Wäre die Beschwerdeführerin von dieser erfolglosen Rechtshilfevernehmung (in Wahrung des Parteiengehörs) verständigt worden, hätte sie die belangte Behörde darüber aufklären können, daß die Ortschaft Thüringen in Vorarlberg liege. CM sei zweifellos die wichtigste Zeugin zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung, weil sie den Zustellvorgang durchgeführt habe und als einzige unmittelbar angeben könne, ob die Zustellung am 10. oder 11. Juli 1991 erfolgt sei. Auf Grund ihres Irrtums habe die belangte Behörde jedoch die Vernehmung von CM unterlassen, wodurch die Beschwerdeführerin in ihren Rechten und Verteidigungsmöglichkeiten gravierend beeinträchtigt worden sei.
Die übrigen von ihr angebotenen Zeugen hätten bestätigen können, daß sich die Beschwerdeführerin am 10. Juli 1991 ganztätig auf der Alpe S bei X aufgehalten habe und sie erst am 11. Juli 1991 nach G gekommen sei und das Straferkenntnis behoben habe.
Da die Berufung auf Grund der Aktenlage nicht als verspätet zurückzuweisen gewesen wäre, wäre die belangte Behörde darüber hinaus verpflichtet gewesen, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen und die Beschwerdeführerin und die beantragten Zeugen zu laden. Bei Durchführung der mündlichen Verhandlung hätte durch die angebotenen Beweismittel ohne weiteres nachgewiesen werden können, daß die Zustellung erst am 11. Juli 1991 erfolgt und die Berufung daher fristgerecht eingebracht worden sei.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Die belangte Behörde geht offenbar auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin (Aufenthalt des Ehepaares F auf der Alpe S bei X vom 24. Juni bis 21. September 1991) davon aus, daß die laut Rückschein des eigenhändig zuzustellenden Bescheides der Behörde erster Instanz (nach erfolgloser Durchführung von zwei Zustellversuchen) erfolgte Hinterlegung beim Postamt G nicht mit Wirkung vom 9. Juli 1991 (Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wurde) die Zustellung (im Sinn des § 17 Abs. 2 dritter Satz Zustellgesetz) bewirkt hat.
Die Behörde hat jedoch nicht beachtet, wer Empfänger des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom 27. Juni 1991 im Sinn der zustellrechtlichen Vorschriften war. Dies bestimmt sich nach der Zustellverfügung, in der die Beschwerdeführerin "vertreten durch HF" genannt ist, der als Ehegatte der Beschwerdeführerin im vorangegangenen Ermittlungsverfahren vor der Behörde erster Instanz nach § 10 Abs. 4 AVG als Vertreter der Beschwerdeführerin eingeschritten ist. Die Beschwerdeführerin hat weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde vorgebracht, daß ihr Ehegatte keine oder bloß eine auf die Abgabe einer Stellungnahme vor der Behörde erster Instanz beschränkte Vertretungsbefugnis besessen hat. Bei Würdigung der Gesamtheit dieser Umstände konnte die Behörde erster Instanz unbedenklich von einer Bevollmächtigung des Ehegatten der Beschwerdeführerin im bei ihr anhängigen Verwaltungsstrafverfahren ausgehen, die auch die Zustellbevollmächtigung im Sinn des § 9 Abs. 1 Zustellgesetz erfaßte, und dementsprechend den Ehegatten der Beschwerdeführerin als Empfänger im zustellrechtlichen Sinn in die Zustellverfügung aufnehmen.
Davon ausgehend wäre zu klären gewesen, ob sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Hinterlegung regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten hat und verneinendenfalls, wann ihm als Empfänger (im Sinne des Zustellgesetzes) das erstinstanzliche Straferkenntnis tatsächlich zugekommen ist.
Bei aufrechtem Bestand einer Zustellbevollmächtigung kann - wie sich aus § 9 Abs. 1 Satz 1 des Zustellgesetzes ergibt - nicht an die Partei selbst rechtswirksam zugestellt werden. Dies bedeutet auch, daß die Behebung des an den Ehegatten der Beschwerdeführerin als Zustellbevollmächtigten adressierten, eigenhändig zuzustellenden und hinterlegten erstinstanzlichen Bescheid durch die Beschwerdeführerin selbst (zu welchem Zeitpunkt auch immer) nicht die Wirkung der Zustellung begründen konnte. Im Beschwerdefall kann daher dahingestellt bleiben, ob das von der belangten Behörde zur Frage geführte Ermittlungsverfahren, wann der Beschwerdeführerin selbst der Bescheid der Behörde erster Instanz zugekommen ist, fehlerhaft geblieben ist oder nicht, weil es für die Klärung der Rechtzeitigkeit der von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung ohne rechtliche Bedeutung ist.
Da die Behörde - ausgehend von einer rechtsirrigen Auffassung, wer als Empfänger des erstinstanzlichen Bescheides anzusehen war - die oben dargelegten Ermittlungen unterlassen hat, auf Grund derer erst festgestellt werden kann, wann dieser Bescheid rechtswirksam zugestellt wurde, und daher ab wann die Berufungsfrist zu laufen begonnen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.
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