Normen
AVG §46 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1 Z1 idF 1990/357;
AVG §71 Abs6;
AVG §72 Abs1;
AVGNov 1990 Art4;
VwGG §46 Abs1;
AVG §46 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1 Z1 idF 1990/357;
AVG §71 Abs6;
AVG §72 Abs1;
AVGNov 1990 Art4;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (DK) vom 27. Juni 1991 wurde der Beschwerdeführer einer Dienstpflichtverletzung schuldig erkannt; es wurde über ihn deshalb ein Schuldspruch ohne Strafe verhängt. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 4. Juli 1991 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 9. August 1991 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG und holte gleichzeitig die versäumte Berufung nach. Als Wiedereinsetzungsgrund machte er geltend, eine langjährige erstklassige Kanzleikraft seines Vertreters habe durch ein Versehen die Frist für die Einbringung der Berufung im Kalender nicht eingetragen.
Die DK gab diesem Antrag nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid vom 18. September 1991 nicht statt und begründete dies damit, daß der Beschwerdeführer bzw. sein Vertreter das Verschulden der Kanzleikraft zu vertreten hätten. Es sei nicht nachgewiesen worden, daß der Vertreter des Beschwerdeführers seiner Überwachungs- und Aufsichtspflicht nachgekommen sei, weshalb ihn an der Versäumung ein Verschulden treffe, welches sich auf den Beschwerdeführer auswirke und der Wiedereinsetzung entgegenstehe.
Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Spruchpunkt 1. des nunmehr angefochtenen Bescheides gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG 1979 keine Folge; gleichzeitig wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der DK vom 27. Juni 1991 als verspätet zurück.
Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist sei in einer Anwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt selbst verantwortlich; er habe die Frist festzusetzen, die Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tue er dies nicht oder unterlaufe ihm dabei ein Versehen, ohne daß er dartun könne, daß die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten eines Angestellten beruhe und in seiner Person kein Verschulden vorliege, so treffe ihn ein Verschulden, welches sich auf den Vertretenen auswirke. Im Beschwerdefall sei die Frist nicht einmal fehlerhaft, sondern überhaupt nicht eingetragen worden. Ein derartiges Versehen sei nicht zu rechtfertigen, sodaß die unterlassene Eintragung nicht als bloß geringfügiger Fehler gewertet werden könne. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorgebracht, welche Vorkehrungen von seinem Rechtsanwalt getroffen worden seien, um derartige Unzulänglichkeiten aller Voraussicht nach auszuschließen. Die bloße Behauptung der Vornahme stichprobenartiger Kontrollen reiche dafür nach Ansicht der belangten Behörde nicht aus.
Dies habe zur Folge, daß die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages zu bestätigen und die Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis der DK vom 27. Juni 1991 als verspätet zurückzuweisen sei.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer zu beiden Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Er erachtet sich in seinen Rechten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Sachentscheidung über seine Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis der DK vom 27. Juni 1991 verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Das vorliegende Disziplinarverfahren ist frühestens seit der Erlassung der Disziplinarverfügung der Bundespolizeidirektion Klagenfurt vom 17. April 1991 anhängig. Mit Rücksicht darauf sowie auf die Übergangsbestimmung des Art. IV der AVG-Novelle BGBl. Nr. 357/1990 ist im Beschwerdefall § 71 AVG in der Fassung gemäß dieser Novelle anzuwenden.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG in dieser Fassung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Als ein solches unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis hat der Beschwerdeführer ein Versehen einer Kanzleiangestellten seines Rechtsanwaltes geltend gemacht, die - wie im Verfahren durch eine eidesstattliche Erklärung bescheinigt wurde und unbestritten dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt - die Eintragung des Termins für die Berufungseinbringung im Kalender unterlassen hat, obwohl ihr diese Aufgabe in der Kanzlei des Anwaltes obliegt.
Nun stellt das Verschulden einer geeigneten und ordentlich überwachten Angestellten eines Rechtsanwaltes regelmäßig einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl. dazu PICHLER, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, in Anw. 4/1990, S. 178 ff). Daß im Beschwerdefall ein solches schuldhaftes Verhalten der Kanzleiangestellten jedenfalls vorliegt, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt; geht sie doch sogar davon aus, daß "die unterlassene Eintragung nicht als bloß geringfügiger Fehler gewertet" werden könne. Die Nichtanerkennung dieses fehlerhaften, wenn nicht sogar weisungswidrigen Verhaltens der Kanzleiangestellten könnte somit nur dann die Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen, wenn die belangte Behörde mit Recht davon ausgehen konnte, der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers habe keine geeigneten organisatorischen Maßnahmen zur tunlichsten Vermeidung derartiger Fehlleistungen getroffen.
Nun hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung unwiderlegt vorgebracht, daß die Eintragungen im Fristenbuch von ihm stichprobenweise überprüft würden. Die belangte Behörde hat sich dazu mit dem Hinweis begnügt, die bloße Vornahme stichprobenartiger Kontrollen reiche nach ihrer Ansicht für eine ordentliche Überwachung der Angestellten nicht aus. Welche Maßnahmen die belangte Behörde indes darüber hinaus verlangen und als ausreichend anerkennen würde, wird im angefochtenen Bescheid nicht ausgeführt. Der Verwaltungsgerichtshof kann sich hiezu der Erwägung des Beschwerdeführers nicht verschließen, daß - will man nicht verlangen, daß der Anwalt den Fristenvermerk selbst führt - nicht eine Kontrolle jeder erforderlichen Eintragung im Fristenbuch, also eine Überwachung "auf Schritt und Tritt", zu fordern ist (vgl. auch dazu Pichler, aaO, sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1984, Zl. 83/11/0143 = Slg. 11439/A).
Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, wenn sie ohne nähere Erörterung der konkreten Umstände davon ausgegangen ist, die behauptete stichprobenweise Überprüfung der Eintragungen einer erfahrenen und verläßlichen Kanzleikraft durch den Rechtsanwalt sei als Aufsichts- und Kontrollmaßnahme jedenfalls unzureichend und rechtfertige daher nicht die Bewilligung der Wiedereinsetzung.
Zu diesen Erwägungen kommt noch, daß die eingeschrittenen Behörden auch nicht begründet haben, aus welchen Gründen anzunehmen sei, dem Beschwerdeführer falle bei der gegebenen Situation an der Versäumung der Berufungsfrist mehr als nur ein minderer Grad des Versehens zur Last, welcher nach der hier anzuwendenden Rechtslage gemäß der AVG-Novelle BGBl. Nr. 357/1990 einer Wiedereinsetzung noch nicht im Wege stehen würde.
Es war daher der angefochtene Bescheid, soweit damit die belangte Behörde eine negative Sachentscheidung über die Wiedereinsetzung getroffen hat, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Hingegen ist die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers wegen Verspätung richtet, nicht begründet.
Unbestritten ist im Beschwerdefall, daß der Beschwerdeführer seine mit Schriftsatz vom 9. August 1991 eingebrachte Berufung - ausgehend von der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides - verspätet eingebracht hat. Deshalb erweist sich dieser Teil des angefochtenen Bescheides als im Ergebnis dem Gesetz entsprechend.
Daran ändert auch die Aufhebung der negativen Sachentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers nichts, weil damit lediglich der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers wieder anhängig wird. Die bloße Anhängigkeit eines noch nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrages behindert jedoch (abgesehen vom Fall, daß dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde - dies trifft im Beschwerdefall unbestritten nicht zu) nicht die Zuständigkeit der belangten Behörde, über die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels zu entscheiden (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251 = Slg. N.F. Nr. 12275/A).
Zur Klarstellung weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, daß für den Fall der späteren Bewilligung der Wiedereinsetzung der Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde nach § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft tritt (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1986).
Aus diesem Grund war daher die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers als verspätet richtete, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des geltend gemachten Anspruches auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere dessen § 50, in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren für die Vorlage entbehrlicher Beilagen.
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