VwGH 92/09/0030

VwGH92/09/003019.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde der NN in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. September 1991, Zl. Vd-1209/2, betreffend Kündigung eines Behinderten gemäß § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (mitbeteiligte Partei: E in S), zu Recht erkannt:

Normen

BEinstG §23 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z1;
BEinstG §23 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. September 1991 wurde der Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen den Bescheid des Behindertenausschusses beim Landesinvalidenamt für Tirol vom 18. Juni 1991, soweit damit dem Antrag der beschwerdeführenden Partei auf nachträgliche Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Kündigung der mitbeteiligten Partei nach dem Behinderteneinstellungsgesetz nicht stattgegeben wurde, gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid (insoweit) auf Grund des § 8 Abs. 2 BEinstG bestätigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1991, G 272/91 u.a. auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

Der Verfassungsgerichtshof hatte bereits am 22. Juni 1991 unter Zl. B 1737/90 beschlossen, gemäß Art 140 Abs. 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 2 und des § 12 des BEinstG von Amts wegen zu prüfen, weil er Bedenken hegte, daß entgegen Art. 6 Abs. 1 MRK die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen, nämlich die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, einer Verwaltungsbehörde übertragen und damit das Recht auf Gehör durch ein unabhängiges und unparteiisches, über solche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidendes Gericht verletzt werde. Die Frage, ob die Kündigung eines begünstigten Behinderten zulässig und wirksam sein solle, sei nach diesem Beschluß zivilrechtlicher Natur, sodaß eine bloß nachprüfende Kontrolle der die Zustimmung erteilenden oder verweigernden Akte durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes nicht den Anforderungen des Art. 6 MRK genügte.

Im Zuge des vorliegenden Beschwerdeverfahrens trat der Verwaltungsgerichtshof den dargelegten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes bei und beantragte mit Beschluß vom 28. November 1991, Zl. A 113/91, die Aufhebung des § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. September 1988, BGBl. Nr. 721.

Mit seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 1991, G 272/91, G 323, 324/91 und G 343/91, hob der Verfassungsgerichtshof § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes in der vorher genannten Fassung im wesentlichen aus dem für den Unterbrechungsbeschluß maßgebenden und bereits dargelegten Gründen als verfassungswidrig auf. Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG dehnte der Verfassungsgerichtshof die Anlaßfallwirkung auch auf jenen Sachverhalt aus, der dem vom Verwaltungsgerichtshof zu G 343/91 gestellten Antrag (dies ist der oben zitierte Antrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1991, A 113/91) (vgl. auch Abs. 4 der Kundmachung des Bundeskanzlers über die Aufhebung des § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof, BGBl. Nr. 104/1992) zugrundeliegt.

Der vorliegende Beschwerdefall zählt somit gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG zu den Anlaßfällen der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof. Nach der genannten Bestimmung des B-VG ist die als verfassungswidrig erkannte Regelung auf den Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Der Verwaltungsgerichtshof hatte daher bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen weiter einzugehen war, so vorzugehen, als ob § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes schon bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Da es somit dem angefochtenen Bescheid an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Stempelgebühren für die Eingaben und die Vollmacht; eine Pflicht zur Entrichtung besteht auf Grund der im § 23 Abs. 1 BEinstG normierten Gebührenfreiheit nicht.

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