VwGH 92/09/0001

VwGH92/09/000123.4.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des XY in B, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 18. November 1991, Zl. GZ 5-212 GO 24/2-91, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Strafsache nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §28 Abs1 Z1 lita idF 1988/231;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita idF 1988/231;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft (BH) vom 19. Juni 1991, Zl. 15 Gobe 4/8-1991, wurde über den Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes eine Geldstrafe von S 1.000,-- verhängt, weil er als Geschäftsführer der XY Gesellschaft m.b.H. die Errichtung einer Baustelle nicht rechtzeitig dem zuständigen Arbeitsinspektorat gemeldet hatte.

Mit Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991, Zl. 15 Gobe 4/5-90, wurden über den Beschwerdeführer ferner wegen Verletzung der §§ 3 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 "i.d.g.F." Geldstrafen von insgesamt S 40.000,--

(4 x S 10.000,--) verhängt, weil er Anfang Juli 1990 vier jugoslawische Staatsbürger in seinem Betrieb als Maurer bzw. als Bauhilfsarbeiter beschäftigt habe, ohne daß ihm für diese eine Beschäftigungsbewilligung erteilt worden wäre und ohne daß sie einen Befreiungsschein besessen hätten.

Am 22. Juli 1991 richtete der Beschwerdeführer an die BH folgendes, dort am 25. Juli 1991 eingelangtes Schreiben:

"Betrifft: Einspruch gegen Ihr Schreiben vom 9.7.1991

Sachbearbeiter T

Gegen Ihr Straferkenntnis erhebe ich Einspruch, weil die Herren nur privat als Taglöhner gearbeitet haben und das auch nur sporadisch.

Fünf Zeugen können das bestätigen."

Dieses Schreiben behandelte die BH als Einspruch gegen die Strafverfügung vom 19. Juni 1991 und wies es mit Bescheid vom 7. August 1991 als verspätet zurück. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer nicht angefochten.

Am 2. September 1991 richtete der Beschwerdeführer an die BH das weitere, dort am 6. September 1991 eingelangte Schreiben:

"Betrifft: Einspruch gegen Ihr Schreiben vom 1. August 1991

ebenso Ihr Schreiben vom 9. Juli 1991

Mit dem selben Argument erhebe ich auch diesmal gegen Ihr Schreiben Einspruch:

Die Herren haben nur privat als Taglöhner sporadisch bei

mir gearbeitet.

Fünf Zeugen können das bestätigen."

Dieses Schreiben behandelte die BH als (verspätet eingebrachte) Berufung gegen das Straferkenntnis vom 9. Juli 1991 und legte es als solche der belangten Behörde zur Entscheidung vor.

Die belangte Behörde richtete am 4. November 1991 einen Vorhalt an den Beschwerdeführer mit der Aufforderung, er möge bis spätestens 13. November 1991 eine Kopie des Postaufgabescheines seiner gegen das Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 eingebrachten, mit 2. September 1991 datierten Berufung vorlegen, welche offenbar verspätet eingebracht worden sei. Dem Beschwerdeführer wurde gleichzeitig Gelegenheit geboten, hiezu bis zum vorangeführten Termin schriftlich Stellung zu nehmen. Von dieser Gelegenheit hat der Beschwerdeführer in der Folge keinen Gebrauch gemacht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. November 1991 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 24 VStG als verspätet eingebracht zurück. Das Straferkenntnis sei dem Beschwerdeführer am 17. Juli 1991 durch Hinterlegung zugestellt worden, der letzte Tag der Berufungsfrist sei daher der 31. Juli 1991 gewesen. Die vom Beschwerdeführer mit 2. September 1991 datierte, bei der BH am 6. September 1991 eingelangte Berufung sei daher - was der Beschwerdeführer trotz gebotener Gelegenheit zur Stellungnahme nicht widerlegt habe - verspätet eingebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Zurückweisung seiner Berufung als beschwert, weil er sehr wohl gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis fristgerecht "Einspruch" (= Berufung) erhoben habe.

Die belangte Behörde hat die Akten der Verwaltungsverfahren zu den Zahlen 15 Gobe 4/5-90 und 15 Gobe 4/8-91 der BH vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 13. Dezember 1991, G 294/91-5, ausgesprochen, daß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG idF der Novelle BGBl. Nr. 231/1988 verfassungswidrig war und daß diese Bestimmung auch auf die "derzeit" (d.h. am 13. Dezember 1991, vgl. BGBl. Nr. 105/1992) beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden sei. Abgesehen davon, daß es im vorliegenden Beschwerdefall um die Rechtzeitigkeit einer Berufung geht und daher § 28 AuslBG von der belangten Behörde nicht angewendet worden ist, stellt der vorliegende Beschwerdefall nach dem Gesagten keinen "Anlaßfall" im Sinne des Art. 140 Abs. 7 B-VG dar, weil er erst nach dem 13. Dezember 1991 beim Verwaltungsgerichtshof angefallen ist.

Zu der im Beschwerdefall allein entscheidenden Frage, ob die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers zu Recht als verspätet zurückgewiesen hat, macht der Beschwerdeführer geltend, sein Schreiben vom 22. Juli 1991 sei von der BH zu Unrecht nicht (auch) als (rechtzeitige) Berufung gegen ihr Straferkenntnis vom 9. Juli 1991 behandelt und der belangten Behörde vorgelegt worden. Damit ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Der Beschwerdeführer hat seine Eingabe vom 22. Juli 1991 als "Einspruch gegen Ihr Schreiben vom 9.7.1991" bezeichnet und damit mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß er damit (auch) ein Rechtsmittel gegen das auf das AuslBG gestützte Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 ergreifen wollte. Es geht auch aus seinem weiteren Inhalt ("weil die Herren nur privat als Taglöhner gearbeitet haben und auch das nur sporadisch") mit der erforderlichen Klarheit hervor, daß sich der Beschwerdeführer gegen die seiner Auffassung nach dem Gesetz nicht entsprechende Verurteilung nach dem AuslBG wendete und die Behebung dieses Straferkenntnisses anstrebte (vgl. dazu die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 491 ff). Es lag daher eine rechtzeitige und auch gerade noch formgerechte Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 vor.

Diese Berufung ist durch ihre Behandlung als (verspäteter) Einspruch gegen die Strafverfügung der BH vom 19. Juni 1991 nicht erledigt worden. An ihrem aktenkundigen Vorliegen vermochte auch weder die Nichtbekämpfung des Zurückweisungsbeschlusses der BH vom 7. August 1991 durch den Beschwerdeführer noch dessen Stillschweigen zum Vorhalt der belangten Behörde vom 4. November 1991 etwas zu ändern, wenn dem Beschwerdeführer auch vorzuwerfen ist, daß er nicht schon in einem früheren Verfahrensstadium auf seine rechtzeitig erhobene, aber in einem anderen Verfahren "erledigte" Berufung hingewiesen und damit weiteren Leerlauf vermieden hat.

Aus dem Vorliegen einer bisher unerledigten, vom Beschwerdeführer rechtzeitig erhobenen Berufung gegen das Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 folgt, daß die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht "die Berufung des Herrn XY gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft vom 9.7.1991" als verspätet zurückgewiesen hat. An dieser inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vermag es auch nichts zu ändern, daß die belangte Behörde in der Begründung naturgemäß nur auf die Eingabe des Beschwerdeführers vom 2. September 1991 eingegangen ist, welche tatsächlich erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht wurde. Bringt eine Partei innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze ein, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, dann sind diese als eine Berufung anzusehen; dasselbe gilt, wenn rechtzeitig ein begründeter Berufungsantrag gestellt wurde, auch für spätere, aber noch vor der Entscheidung der Berufungsbehörde eingebrachte Ergänzungen. Über diese Schriftsätze hat die Berufungsbehörde daher (wenn nicht die Voraussetzungen für eine Trennung nach mehreren Punkten gemäß § 59 Abs. 1 AVG vorliegen) in einem zu entscheiden (vgl. zu diesen Ausführungen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 1985, Zl. 83/05/0134 = Slg. 11943/A). Dies ist im Beschwerdefall infolge der Nichtvorlage der Berufung des Beschwerdeführers vom 22. Juli 1991 an die belangte Behörde nicht geschehen. Dadurch aber wurde der Beschwerdeführer in seinem Recht auf meritorische Behandlung seiner Berufung gegen das Straferkenntnis der BH vom 9. Juli 1991 verletzt.

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens geht darauf zurück, daß der Schriftsatzaufwand nur in der gesetzlichen Höhe von S 11.120,-- zuzuerkennen war.

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