VwGH 92/01/1123

VwGH92/01/112317.6.1993

Der VwGH hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde 1. der HB mit mj. JB (Zl. 92/01/1123), und 2. des FB (Zl. 93/01/0006), alle in N, die Erstbeschwerdeführerin vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in X, der Zweitbeschwerdeführer vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Y, gegen die Bescheide des BM für Inneres vom 5.8.1992, Zlen. 4.311.283/2-III/13/91, betr Asylgewährung zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

1) Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

2) Der den Zweitbeschwerdeführer betreffende angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Erstbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- und der Bund hat dem Zweitbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren des Zweitbeschwerdeführers wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der "ehemaligen SFRJ" albanischer Nationalität, haben die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Mai 1991, mit denen festgestellt worden war, bei den Beschwerdeführern lägen jeweils die Voraussetzungen für ihre Anerkennung als Flüchtlinge nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheiden vom 5. August 1992 wies die belangte Behörde die Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.

Gegen diese Bescheide richten sich die jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen, wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Zweitbeschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 16. März 1991 angegeben, er sei wegen Verteilens von staatsfeindlichen Zeitschriften für den demokratischen Bund Kosovo, dem er seit 1990 angehöre, am 12. September 1990 zu einer einmonatigen Haftstrafe verurteilt worden, die er auch verbüßt habe, ohne aber eine Haftbestätigung ausgefolgt erhalten zu haben. Bei seiner Befragung durch die Miliz sei der Zweitbeschwerdeführer von einem der Beamten geschlagen worden. Nach der Verurteilung habe er seine Arbeit verloren und sei er in der Folge zweimal durch die Miliz befragt worden, wobei er jeweils bis zum nächsten Morgen in Haft gewesen sei. Auch seien zweimal Hausdurchsuchungen vorgenommen worden, bei denen verbotene Bücher beschlagnahmt worden seien. Da der Zweitbeschwerdeführer neuerlich hätte vor Gericht gestellt werden sollen - dies sei ihm aus von ihm nicht übernommenen Vorladungen bekannt geworden -, habe er sich entschlossen, mit seiner Familie nach Österreich zu flüchten. Dieses Vorbringen bekräftigte der Zweitbeschwerdeführer in der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung, die auch von der Erstbeschwerdeführerin unterfertigt wurde. Im Verlauf einer ergänzenden behördlichen Einvernahme berichtigte er den Namen der politischen Gruppierung, für die er tätig gewesen sei, und gab Titel und Inhalt der von ihm verteilten Druckwerke bekannt. Weiters gab der Zweitbeschwerdeführer an, daß die Polizei, als sie zum zweiten Mal bei ihm zu Hause erschienen sei, das Haus umstellt habe, um ihn zu verhaften. Dies sei aber nicht gelungen, weil er nicht zu Hause gewesen sei. Bei seiner Haftentlassung sei der Zweitbeschwerdeführer aufmerksam gemacht worden, daß in der gleichen Angelegenheit noch eine weitere Verhandlung zu erwarten sei. Ein Rechtsanwalt habe ihm erklärt, daß für die von ihm begangene Straftat eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten bis zu sechs Jahren vorgesehen sei. Im November 1990 und im Februar 1991 seien jeweils Vorladungen zum Bezirksgericht in Gjakove an den Zweitbeschwerdeführer ergangen, deren Annahme er aber verweigert habe. Der Grund für die weiteren Verhöre und Hausdurchsuchungen sei im Bestreben gelegen gewesen, ihm die strafbare Handlung nachzuweisen.

Die belangte Behörde hat die Berufung des Zweitbeschwerdeführers im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß die von ihm ins Treffen geführten Vorladungen, Verhöre und Hausdurchsuchungen nicht als Verfolgung gewertet werden könnten, weil es sich hiebei um behördliche Ermittlungen wegen strafbarer Verhaltensweisen gehandelt hätte. Die Furcht vor einer wegen eines, wenn auch aus politischen Beweggründen begangenen, gemeinstrafrechtlichen Deliktes drohenden Bestrafung mache "eine Person noch nicht zum Flüchtling." Die Mißhandlung durch einen Beamten während eines Verhöres stelle zwar ein zu verurteilendes Fehlverhalten dieses Beamten dar, doch handle es sich hiebei um eine verhältnismäßig geringe, vorübergehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Zweitbeschwerdeführers, die nicht geeignet gewesen sei, ihm ein menschenwürdiges Leben unmöglich zu machen bzw. unzumutbar zu erschweren. Ebensowenig vermöge der Verlust des Arbeitsplatzes, der nicht generell die Arbeitsmöglichkeit entzogen habe, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu rechtfertigen.

Abgesehen davon, daß die belangte Behörde nicht dargetan hat, auf welchen Sachverhaltsgrundlagen ihre Ansicht, die - von ihr nicht in Zweifel gezogenen - Mißhandlungen des Zweitbeschwerdeführers stellten lediglich - zu verurteilende - Übergriffe des vernehmenden Beamten dar (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0883), hat sie sich mit der vom Zweitbeschwerdeführer in den Vordergrund seiner Darstellungen gerückten Bestrafung wegen des Verteilens verbotener Druckwerke überhaupt nicht auseinandergesetzt. Ebenso läßt der angefochtene Bescheid jegliche Ausführungen hinsichtlich der Furcht des Zweitbeschwerdeführers, wegen derselben Tat noch ein weiteres Mal bestraft zu werden, vermissen. Diese vom Zweitbeschwerdeführer auch gerügten Mängel der Sachverhaltsermittlung und die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften stellen Verfahrensmängel dar, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der den Zweitbeschwerdeführer betreffende angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Die Erstbeschwerdeführerin hat bei ihrer niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 16. März 1991 wörtlich angegeben: "Ich bin nur wegen meines Mannes FRA 2198/91, Schwierigkeiten mit diesem und unserem Kind nach Österreich geflüchtet und möchte hier mit ihm leben." Die von der Erstbeschwerdeführerin mitunterfertigte Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nimmt lediglich auf das den Zweitbeschwerdeführer betreffende Vorbringen Bezug.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung der Erstbeschwerdeführerin im wesentlichen damit begründet, daß sich ihr gesamtes Vorbringen nicht konkret auf ihre Person beziehe und daß sie mit den von ihr vorgebrachten Gründen für das Verlassen ihres Heimatlandes lediglich persönliche Überlegungen, nicht aber Furcht vor Verfolgung geltend gemacht habe. Dieser Rechtsansicht der belangten Behörde kann angesichts des dargestellten Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin nicht entgegengetreten werden. So kann weder aus dem Hinweis auf die Schwierigkeiten des Zweitbeschwerdeführers noch aus der Mitunterfertigung der lediglich auf dessen Situation Bezug nehmenden Berufung ein Hinweis entnommen werden, der Schlüsse auf eine individuell gegen die Erstbeschwerdeführerin gerichtete, konkrete Verfolgung oder auf das Vorliegen begründeter Furcht vor einer solchen zuließe.

Soweit die Erstbeschwerdeführerin nunmehr erstmals in der Beschwerde geltend macht, dem Zweitbeschwerdeführer beim Verstecken und Verbreiten verbotener Druckwerke behilflich gewesen zu sein, bzw. daß sie, wäre der Zweitbeschwerdeführer allein ausgereist, von den Behörden zur Verantwortung gezogen worden wäre, sowie daß sie auch ihrer Religion wegen Verfolgung zu befürchten hätte, unterliegt sie mit diesem Vorbringen dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot.

Entgegen der Auffassung der Erstbeschwerdeführerin war die belangte Behörde nicht gehalten, ihr die im angefochtenen Bescheid enthaltene rechtliche Würdigung ihres Vorbringens vorzuhalten und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme hiezu zu bieten (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, S 235 zitierte Judikatur). Der in diesem Zusammenhang vertretenen Ansicht, ihr sei auch deshalb Asyl zu gewähren gewesen, weil die von ihrem Gatten im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Hausdurchsuchungen sich auch gegen sie ausgewirkt hätten, ist entgegenzuhalten, daß in der Vornahme von Hausdurchsuchungen allein kein Umstand zu erblicken ist, aus dem auf begründete Furcht vor Verfolgung geschlossen werden könnte (vgl. die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht, Wien 1990, S 30 f, angeführte Judikatur).

Die Erstbeschwerdeführerin macht geltend, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Ergänzungen bzw. eine Wiederholung des Ermittlungsverfahrens vorzunehmen. Zu diesem Vorbringen ist festzuhalten, daß gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens dann anzuordnen hat, wenn es offenkundig mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Eine - im Beschwerdefall allenfalls in Frage kommende - offenkundige Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen und hat die Erstbeschwerdeführerin eine solche in ihrer Berufung auch nicht aufgezeigt.

Bestand sohin für die belangte Behörde keine Veranlassung, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, so war sie gemäß Abs. 1 dieses Paragraphen verpflichtet, - ohne im Sinne des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 gehalten zu sein, weitere Befragungen oder sonstige ergänzende Ermittlungen durchzuführen - ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen. Ausgehend von dieser Grundlage ergibt sich, daß die belangte Behörde das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, daß sie lediglich wegen der "Schwierigkeiten" des Zweitbeschwerdeführers ihr Heimatland verlassen hat, zu Recht als nicht geeignet gewertet hat, Verfolgung oder begründete Furcht vor einer solchen glaubhaft zu machen.

Im Hinblick auf das nunmehr fortzusetzende, den Zweitbeschwerdeführer betreffende Verfahren steht es der Erstbeschwerdeführerin frei, gemäß § 4 Asylgesetz 1991 die Ausdehnung der Asylgewährung zu beantragen.

Da sich die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Aussprüche über die Aufwandersätze gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren des Zweitbeschwerdeführers war abzuweisen, weil der Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits den Ersatz der Umsatzsteuer mitumfaßt (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit 3, S 687 angeführte Judikatur).

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