VwGH 92/01/0986

VwGH92/01/098617.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Februar 1992, Zl. 4.314.027/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Februar 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein indischer Staatsangehöriger, der am 23. Februar 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 29. September 1992, B 438/92, nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er sich nicht bloß auf die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sikhs berufen habe - welcher Umstand für sich allein auch seiner Ansicht nach für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht ausreichen würde -, sondern daß er "individuell und konkret erlittene Verfolgung durch Sikh-Terroristen und drohende Verfolgung von seiten staatlicher Behörden" dargetan habe. Damit bezieht er sich in erster Linie auf seine Angaben bei der niederschriftlichen Befragung am 13. April 1991. Danach sei er Angehöriger "der Volksgruppe der Sikhs", nie aber Mitglied einer politischen Vereinigung oder Organisation in Indien gewesen; er sei "ein einfacher Landwirt und Priester" und habe auch so gelebt. Im November 1990 hätten Terroristen "der Sikh-Vereinigung" im Dorf S "den Vorstand und den Dorfältesten" umgebracht. Es hätten seiner Erinnerung nach sechs Terroristen ohne sein Einverständnis einige Zeit lang in einem Maschinenraum nahe seines Feldes gewohnt. Während dieser Zeit seien sie (gemeint: die Terroristen und nicht, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides offenbar zufolge eines Schreibfehlers durch das Wort "Sie" wiedergegeben, der Beschwerdeführer selbst) für ihre Organisation ungehindert aktiv gewesen und hätten sich auch terroristisch betätigen können. Er habe die Terroristen nicht ideell unterstützt, hätte ihnen aber regelmäßig "Essen und Verpflegung" bringen müssen, da sie gedroht hätten, ihn sonst zu töten. Die Terroristen hätten ihm auch untersagt, die Polizei zu verständigen. Er sei auch der Meinung, daß es einen Schutz "vor diesen Leuten" durch die Polizei nicht gegeben hätte. Am 9. Dezember 1990 habe ein unbekannter Informant die Polizei über das Versteck der Terroristen verständigt, woraufhin "alle Personen" verhaftet worden seien. Er selbst sei nicht verhaftet, jedoch ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden, weil man ihn verdächtigt habe, an terroristischen Aktionen teilgenommen zu haben. Als er davon erfahren habe, sei er zu Bekannten geflüchtet und habe in der Folge Indien verlassen. Er befürchte, daß er im Falle der Rückkehr in seine Heimat verhaftet, eventuell auch getötet würde. In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. April 1991 verwies der Beschwerdeführer im wesentlichen auf diese Angaben und fügte hinzu, daß es in seinem Heimatstaat Indien, insbesondere in P, eine ständige Praxis "grober, offenkundiger und massenhafter Verletzungen der Menschenrechte" gebe, wobei er zum Beweis hiefür die Ablichtung eines Auszuges aus dem Jahresbericht 1990 von Amnesty International vorlegte.

Die belangte Behörde hat hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der von ihm erzwungenen Unterstützung von Terroristen die Auffassung vertreten, daß diese Situation nach idealstaatlichen Vorstellungen eine Nötigung seiner Person und somit ein kriminelles Delikt anderer zu seinem Nachteil darstelle, wie die von ihm geschilderte weitere Vorgangsweise aber zeige, die Polizei sehr wohl imstande und auch willens gewesen sei, zu seinen Gunsten einzuschreiten, und es ihm daher zumutbar gewesen wäre, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Argumentation, womit aber für seinen Standpunkt schon deshalb nichts zu gewinnen ist, weil nicht erkennbar ist, daß es sich hiebei um eine gegen ihn gerichtete Verfolgung aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe, insbesondere denen der Religion, der Nationalität oder der politischen Gesinnung, gehandelt habe. Der Umstand, daß das Vorgehen der Terroristen auch gegenüber dem Beschwerdeführer durch derartige Gründe motiviert war, vermag daran nichts zu ändern, lagen doch diese Gründe - folgt man den Angaben des Beschwerdeführers - nicht in seiner Person, sondern in den allgemein herrschenden Verhältnissen, die unmittelbar die Ursache für die Tätigkeit der Terroristen an sich bildeten, wobei sich diese bei Verfolgung ihrer Ziele lediglich des Beschwerdeführers, wenn auch allenfalls unter massiven Drohungen, bedienten. Eine asylrechtlich relevante Verfolgungsgefahr könnte aus diesem Sachverhalt erst dann entstehen, wenn die den Terroristen gewährte Unterstützung des Beschwerdeführers den staatlichen Behörden seines Heimatlandes bekannt geworden wäre und man ihm selbst daraufhin unterstellt oder ihn zumindest verdächtigt hätte, den Terroristen anzugehören oder wenigstens mit ihnen zu sympathisieren.

Nun hat der Beschwerdeführer - wie bereits dargelegt - im Verwaltungsverfahren zusätzlich behauptet, daß gegen ihn ein Haftbefehl ausgestellt worden sei, weil man ihn verdächtigt habe, an terroristischen Aktionen teilgenommen zu haben. Ob dies auf die zuvor geschilderte Unterstützung der Terroristen zurückzuführen gewesen wäre oder andere, vom Beschwerdeführer nicht genannte Gründe gehabt hätte, ist nicht entscheidend, weil die belangte Behörde, ohne sich damit im Rahmen der Beweiswürdigung auseinanderzusetzen, ihrer Entscheidung diese Angaben zugrunde gelegt hat. Sie hat diesbezüglich ausgeführt, daß es sich dann, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich an terroristischen Aktionen teilgenommen habe, um ein kriminelles Delikt handle, auf Grund dessen man auf der ganzen Welt zur Verantwortung gezogen werde. Darüber hinaus seien strafbare Handlungen und die sich daraus ergebenden Ermittlungen der Polizei unter Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention nicht subsumierbar. Habe der Beschwerdeführer aber nicht an terroristischen Aktionen teilgenommen, dann begründe, wenn Strafvorwürfe zu Unrecht erhoben würden, dies allein noch nicht die Annahme eines politischen Aspektes des Verfahrens. Vielmehr sei es dem Betroffenen in diesem Falle zuzumuten, sich wie jeder andere Staatsbürger wie in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen und die "aufgebotenen" Vorwürfe zu entkräften. Die Gerichtsverfahren in Indien würden vom "Country Report of Human Practics for 1984" generell als fair bezeichnet. Der Angeklagte habe das Recht auf einen regierungsunabhängigen Verteidiger und verfüge über Beschwerdemöglichkeiten auf allen Ebenen des juristischen Systems. Dieser Argumentation vermag sich der Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht anzuschließen.

Der belangten Behörde ist wohl darin beizupflichten, daß sie sich bei dem gegen den Beschwerdeführer bestehenden, seinen Angaben nach zur Erlassung eines Haftbefehls führenden Verdacht um den Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung handelt. Dieser Umstand schließt aber keineswegs seine Anerkennung als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aus, weil damit noch nicht gesagt ist, daß die gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten und von ihm allenfalls zu erwartenden weiteren Sanktionen ihre Grundlage in strafrechtlichen Belangen und nicht darüber hinaus auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten sind, hätten. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß selbst terroristische Aktivitäten (und daher umso mehr die Unterstützung von Terroristen) die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht von vornherein hindern, sofern nicht der Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Konvention vorliege (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882, und die dort angeführte Vorjudikatur). Daß letzteres der Fall wäre, hat die belangte Behörde nicht angenommen. Auch wenn der Beschwerdeführer - welche Möglichkeit die belangte Behörde offengelassen hat, den Angaben des Beschwerdeführers zufolge aber den Tatsachen entsprechen würde - der Teilnahme an terroristischen Aktionen zu Unrecht verdächtigt worden wäre, würde dies nicht bedeuten, daß darauf beruhenden Maßnahmen gegen ihn der Charakter einer Verfolgung aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) jedenfalls genommen wäre. Davon könnte nämlich nur dann gesprochen werden, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet wäre, weil erst dann davon ausgegangen werden könnte, daß der Beschwerdeführer einer rein strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt wäre, und demnach der Aspekt, daß sie auch mit Konventionsgründen im Zusammenhang stünde, so sehr in den Hintergrund treten würde, daß von einer verpönten Verfolgung aus Konventionsgründen nicht mehr die Rede sein könnte. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hätte der Beschwerdeführer zwar ein faires Verfahren in seinem Heimatland wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfes zu erwarten. Doch rügt der Beschwerdeführer mit Recht, daß das von der belangten Behörde für diese Annahme herangezogene Beweismittel (das sich im übrigen nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten befindet) bereits aus dem Jahre 1984 stammt, woraus sich ergibt, daß es unter Umständen nicht mehr die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides herrschenden tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt, was deshalb von Relevanz ist, weil der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren diesbezüglich gegenteilige Behauptungen aufgestellt hat und ihm dazu auch nicht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der maßgeblichen Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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