VwGH 92/01/0607

VwGH92/01/060723.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des I in M, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Mai 1992, Zl. 4.333.609/1-III/13/92, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Asylwesens, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 1991;
AVG §63 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §45 Abs3;
AsylG 1997 1991;
AVG §63 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §45 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. März 1992, mit dem festgestellt worden war, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurück.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der "Rechtswidrigkeit sowohl infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften als auch wegen unrichtiger bzw. mangelhafter Tatsachenfeststellung" geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf neuerliche Überprüfung des erstinstanzlichen Bescheides und auf Anerkennung seines Flüchtlingsstatus verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der erstinstanzliche Bescheid dem Beschwerdeführer am 11. März 1992 zugestellt worden sei. Die zweiwöchige Berufungsfrist sei daher am 25. März 1992 abgelaufen. Da der Beschwerdeführer die Berufung erst am 27. März 1992 eingebracht habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, die Annahme der belangten Behörde, der erstinstanzliche Bescheid sei am 11. März 1992 zugestellt worden, sei durch den im Akt erliegenden Rückschein nicht gedeckt, weil dieser als Datum des ersten Zustellversuches bzw. der Ankündigung eines zweiten Zustellversuches den 11. März 1992 aufweise, sodaß die Übernahme der Sendung nicht an diesem Tag erfolgt sein könne. Die Übernahmsbestätigung sei daher unrichtig datiert worden. In Wahrheit habe der Beschwerdeführer die Sendung erst am 13. März 1992 übernommen. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Erhebungen beim Postamt M anzustellen und den Beschwerdeführer über den Zustellvorgang einzuvernehmen. Hiebei hätte der Bruder des Beschwerdeführers, der bei der am 13. März 1992 erfolgten Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides gemeinsam mit dem Beschwerdeführer beim angeführten Postamt anwesend gewesen sei, diese Angaben bestätigen können.

Der in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene Rückschein (Formular 3 zu § 22 des Zustellgesetzes) der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, mit dem die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdeführer bescheinigt wird, weist in der Rubrik "Übernahmsbestätigung" das Datum "11. 3. 92" und die eigenhändige Unterschrift des Beschwerdeführers auf. Richtig ist, daß in diesem Formular als Datum des ersten Zustellversuches bzw. der Ankündigung eines zweiten Zustellversuches ebenfalls der "11. 3. 92" aufscheint. Wohl erweist sich der aus diesem Umstand vom Beschwerdeführer gezogene Schluß, die tatsächliche Übernahme des Schriftstückes, dessen Zustellung an diesem Tag versucht worden war, könne nicht am selben Tag erfolgt sein, nicht als zwingend, weil der Beschwerdeführer die ihm zugekommene Verständigung über den ersten Zustellversuch durchaus zum Anlaß genommen haben könnte, noch am selben Tag die Sendung beim Zustellpostamt zu beheben. Den Verwaltungsakten ist aber zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid angegeben hat, dieser sei ihm am 13. März 1992 zugestellt worden. Mit diesem Berufungsvorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt, sondern sie hat, ausgehend allein von dem im Rückscheinformular als Übernahmszeitpunkt angeführten Datum, die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung als verspätet für gegeben erachtet.

Beim gegebenen Sachverhalt wäre es aber Aufgabe der belangten Behörde gewesen, den Beschwerdeführer über den Zeitpunkt der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides, der nach der Aktenlage zwei Tage vor dem vom Beschwerdeführer in der Berufung im Zusammenhang mit der Behauptung der Rechtzeitigkeit dieses Rechtsmittels angeführten Datum liegt, zu befragen bzw. sonstige geeignet erscheinende Erhebungen zur Ermittlung des tatsächlichen Zustellzeitpunktes anzustellen.

Gemäß der hg. Judikatur trägt die Berufungsbehörde das Risiko der Aufhebung des Bescheides, wenn sie dem Berufungswerber die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist nicht zur Stellungnahme vorhält (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, Eisenstadt 1990, S 499, zitierte Judikatur). Dadurch, daß die belangte Behörde von der Einholung einer derartigen Stellungnahme des Beschwerdeführers bzw. von der Durchführung entsprechender Ermittlungen - das Ergebnis letzterer wäre dem Parteiengehör zu unterziehen gewesen - abgesehen hat, hat sie ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet. Dieser erweist sich angesichts des Beschwerdevorbringens, mit dem geltend gemacht wird, der Beschwerdeführer hätte im Fall der Konfrontation mit der beabsichtigten Zurückweisung wegen Verspätung seinen Bruder als Zeugen für die Richtigkeit des von ihm behaupteten Übernahmszeitpunktes anführen können, als wesentlich, weil sohin nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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