VwGH 91/14/0235

VwGH91/14/023510.12.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Anträge des Ing G in W, vertreten durch Dr F, Rechtsanwalt in W, 1. auf Wiederaufnahme des mit Beschluß vom 22. Oktober 1991, 91/14/0207-4, abgeschlossenen Verwaltungsgerichtshofverfahrens - Zurückweisung einer Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD für OÖ vom 8.8.1991, 86/5-10/F-1991, betreffend Haftung für Abgabenschulden gemäß § 9 BAO - und 2. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den unter 1. genannten Bescheid, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 impl;
B-VG Art7 Abs1;
StGG Art2;
VwGG §45 Abs1 Z2;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
AVG §71 Abs1 impl;
B-VG Art7 Abs1;
StGG Art2;
VwGG §45 Abs1 Z2;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Den Anträgen wird nicht stattgegeben.

Begründung

Der Antragsteller hatte die unter 91/14/0207 protokollierte und gegen den im Spruch dieses Beschlusses unter 1. genannten Bescheid (in der Folge: angefochtener Bescheid) eingebrachte Beschwerde (in der Folge: Beschwerde) am 23. September 1991 zur Post gegeben. Nach den Angaben in der Beschwerde war der angefochtene Bescheid dem Antragsteller am 9. August 1991 zugestellt worden, woraus sich aus der Sicht des § 26 Abs 1 erster Satz VwGG eine verspätete Beschwerdeführung ergab. Der Verwaltungsgerichtshof wies daher die Beschwerde mit dem im Spruch dieses Beschlusses unter 1. genannten Beschluß, der am 13. November 1991 zugestellt wurde, als verspätet zurück.

In einem am 25. November 1991 zur Post gegebenen Schriftsatz legte der Antragsteller ua dar, der angefochtene Bescheid sei dem von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt (in der Folge: Rechtsanwalt), wie sich aus der in Fotokopie beiliegenden Übernahmsbestätigung, die anläßlich einer Akteneinsicht von der belangten Behörde zur Verfügung gestellt worden sei, ergebe, tatsächlich erst am 16. August 1991 zugestellt worden. Die Beschwerde sei daher innerhalb der sechswöchigen Frist erhoben worden. Das in der Beschwerde ausgewiesene Zustelldatum 9. August 1991 sei auf einen Irrtum des die Beschwerde abfassenden Konzipienten des Rechtsanwaltes zurückzuführen. Trotz nachfolgender Überarbeitung des Beschwerdeentwurfes durch den Rechtsanwalt sei diesem die unrichtige Anführung des Zustelldatums nicht aufgefallen. Ein derartiges Versehen sei dem Rechtsanwalt, wie sich aus der beiliegenden eidesstättigen Erklärung ergebe, noch nie unterlaufen. Überdies handle es sich hiebei nur um einen minderen Grad des Versehens iSd § 46 Abs 1 letzter Satz VwGG idF BGBl Nr 564/1985.

ad 1. Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof nach der dem Antragsteller bekannten Rechtsprechung bereits mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann zum Erfolg führen könne, wenn die irrige Annahme der Versäumung iSd § 45 Abs 1 Z 2 VwGG nicht von der Partei verschuldet worden sei. Diese Erkenntnisse seien jedoch auf Grund der vor dem 1. Feber 1986 geltenden Rechtslage ergangen. Mit der bereits erwähnten Novelle des Verwaltungsgerichtshofgesetzes sei festgelegt worden, die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde nicht dadurch gehindert, daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liege, sofern es sich um einen minderen Grad des Versehens handle. Auf Grund dieser neuen Rechtslage könne davon ausgegangen werden, daß iSd des § 45 Abs 1 Z 2 VwGG die Wiederaufnahme des Verfahrens auch dann zu bewilligen sei, wenn zwar die Partei die irrige Annahme der Versäumung der Beschwerdefrist verschuldet habe, der Partei jedoch nur ein minderer Grad des Versehens zur Last gelegt werden könne. Dem Wortlaut des § 45 Abs 1 Z 2 VwGG sei allerdings nicht zu entnehmen, daß ein minderer Grad des Versehens die Bewilligung der Wiederaufnahme nicht hindere. Es sei jedoch davon auszugehen, daß diesbezüglich eine Gesetzeslücke vorliege, die im Wege einer historischen Interpretation und eines Analogieschlusses zu füllen sei. Würde davon ausgegangen werden, daß eine derartige Interpretation und eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 46 Abs 1 letzter Satz VwGG beim Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht in Betracht käme, so widerspräche die Bestimmung des § 45 Abs 1 Z 2 VwGG als unsachlich dem Gleichheitsgebot des Art 7 B-VG. Die Unsachlichkeit läge darin, daß derjenige, dem ein Versehen bei der Angabe des Zustelldatums unterlaufe, schlechter gestellt wäre, als jener, der infolge eines Versehens die Beschwerdefrist versäumt und überhaupt keine Beschwerde einbringe. Darüber hinaus hätte der Verwaltungsgerichtshof aus dem auf der Bescheidkopie angebrachten Eingangsstempel erkennen können, daß der angefochtene Bescheid am 16. August 1991 zugestellt worden sei. Aus dem ebenfalls auf der Bescheidkopie angebrachten handschriftlichen Vermerk "6 Wo vorm ab 9.8.91" wäre ebenfalls erkennbar gewesen, daß lediglich der Fristvormerk mit 9. August 1991 vorgenommen worden und somit die Postaufgabe der Beschwerde rechtzeitig erfolgt sei. Bei amtswegiger Überprüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde oder allenfalls durch Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages hätten die Divergenzen bezüglich des Fristenlaufes ohne weiteres geklärt werden können. Unabhängig von dem eben Gesagten treffe den Antragsteller als Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens selbst kein Verschulden, weswegen die Wiederaufnahme nach § 45 Abs 1 Z 2 VwGG zu bewilligen sei.

ad 2. In eventu werde unter Hinweis auf die Ausführungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt. Die im § 46 Abs 3 VwGG normierte Frist von zwei Wochen sei gewahrt, weil der Rechtsanwalt erst mit Zustellung des im Spruch dieses Beschlusses unter 1. genannten Beschlusses von der Anführung des unrichtigen Zustelldatums in der Beschwerde erfahren habe. Hinsichtlich des minderen Grad des Verschuldens sei insbesondere darauf zu verweisen, daß das Beschwerdevorbringen relativ umfangreich gewesen sei und ein Übersehen der Unrichtigkeit eines Datums auch einem korrekt und genau arbeitenden Rechtsanwalt unterlaufen könne.

Keinem dieser Anträge kann ein Erfolg beschieden sein. ad 1. Wie der Verwaltungsgerichtshof sowohl im Beschluß vom 8. April 1986, 86/14/0039, 0040, als auch im Beschluß vom 22. Mai 1990, 90/14/0067, 0068, die beide nach der Novelle BGBl Nr 564/1985 ergangen sind, ausgeführt hat, steht der begehrten Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VwGG jedenfalls entgegen, daß nach der eben zitierten Bestimmung nur eine von der Partei unverschuldete irrige Annahme der Versäumung der Beschwerdefrist die Wiederaufnahme rechtfertigen könnte. Das Übersehen der Angabe des unrichtigen Datums der Zustellung des angefochtenen Bescheides stellt jedoch ein Verschulden iSd § 45 Abs 1 Z 2 VwGG dar. Anders als nach § 46 Abs 1 VwGG in der erwähnten Fassung schließt ein minderer Grad des Versehens ein Verschulden iSd § 45 Abs 1 Z 2 VwGG nicht aus (vgl nochmals den hg Beschluß vom 8. April 1986), wobei das Verschulden des Parteienvertreters dem der Partei gleichkommt.

Eine aus Gründen des Gleichheitsgebotes zur Schließung durch Analogie zwingende Gesetzeslücke liegt nicht vor. Die Verursachung der irrigen Annahme der Versäumnis einer im Verwaltungsgerichtshofgesetz vorgesehenen Frist beim Verwaltungsgerichtshof durch die Partei ist der Versäumung einer solchen Frist durch diese nicht im Sinne einer Gleichwertigkeit ähnlich. Unrichtige Angaben der Partei, die eine irrige Annahme des Verwaltungsgerichtshofes herbeiführen, darf der Gesetzgeber bei Regelung des Behelfes der Wiederaufnahme anders behandeln als die Versäumung einer Frist bei Gestaltung des Behelfes der Wiedereinsetzung. Im erstgenannten Fall kann er nämlich bei der ihm von Verfassungs wegen erlaubten typischen Betrachtung davon ausgehen, daß der Rechtsnachteil nicht durch Zeitnot herbeigeführt wurde und deshalb an die Sorgfalt einen strengeren Maßstab anlegen, also auch einen minderen Grad des Versehens als der Wiederaufnahme schädlich behandeln.

Eine amtswegige Überprüfung der Angaben über die Rechtzeitigkeit der Beschwerde oder auch - bei Zweifel - die Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages ist dem Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf § 28 Abs 1 Z 7 VwGG entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht aufgegeben. Abgesehen davon, daß der Eingangsstempel auf der mit der Beschwerde vorgelegten Kopie der Bescheidausfertigung kaum lesbar ist, bildet ein solcher Stempel im übrigen keinen Beweis für das Datum der Bescheidzustellung, weshalb auch kein Grund für den Verwaltungsgerichtshof bestand, an der Richtigkeit der Behauptung des Zustelldatums in der Beschwerde zu zweifeln.

ad 2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach § 46 Abs 1 VwGG - auch in der Fassung BGBl Nr 564/1985 - nur in Betracht, wenn eine FRIST VERSÄUMT wurde. Es kommt dabei auf eine TATSÄCHLICHE Fristversäumnis an (vgl den hg Beschluß vom 21. Dezember 1989, 89/14/0272, 0273, AW 89/14/0171, und die darin zitierte Vorjudikatur). Wie sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, an dessen Richtigkeit keine Zweifel bestehen, ergibt, ist eine Frist gar nicht versäumt worden, sodaß kein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt.

Es war daher wie im Spruch durch einen nach § 12 Abs 1 Z 1 lit d und e VwGG gebildeten Senat zu entscheiden.

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, daß der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos wird.

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