VwGH 91/11/0033

VwGH91/11/003322.10.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Manfred H in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 7. Februar 1991, Zl. VerkR-19.054/3-1990-I/Au, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs1 lita;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
KFG 1967 §66 Abs1 lita;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 7. Februar 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die ihm erteilte Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß für die Zeit von 24 Monaten, gerechnet ab 19. März 1990, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ist die belangte Behörde im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer am 19. März 1990 eine Übertretung nach (§ 99 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit) § 5 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat (deretwegen er auch rechtskräftig bestraft wurde), vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 ausgegangen. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Annahme seiner Verkehrsunzuverlässigkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967 und die darauf gestützte Entziehung seiner Lenkerberechtigung an sich, sondern lediglich gegen die Festsetzung der Zeit gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit zwei Jahren (ab 19. März 1990) mit der sich daraus zwangsläufig ergebenden Art der Entziehung gemäß § 73 Abs. 1 leg. cit., wobei er die Auffassung vertritt, daß "eine Verkehrszuverlässigkeit bereits nach zwölf bzw. längstens achtzehn Monaten wieder gegeben sein müßte" und "die belangte Behörde nach § 74 KFG vorgehen und dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für die Zeitdauer von achtzehn Monaten entziehen hätte müssen". Wenn der Beschwerdeführer allerdings rügt, daß es die belangte Behörde unterlassen habe, "gem. § 75 Abs. 2 KFG vor Entziehung der Lenkerberechtigung ein entsprechendes Gutachten einzuholen", und geltend macht, daß "insbesondere für die zu treffende Zukunftsprognose dies erforderlich gewesen wäre" und "die Behörde bei Einholung eines entsprechenden Gutachtens ärztlicher oder psychologischer Natur zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können", so ist ihm entgegenzuhalten, daß die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit, anders als jene der geistigen und körperlichen Eignung gemäß § 67 Abs. 2 KFG 1967, einer ärztlichen Begutachtung nicht zugänglich ist (vgl. u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Juni 1988, Zl. 87/11/0239, und vom 1. Oktober 1991, Zl. 91/11/0112) und daher die Bestimmung des § 75 Abs. 2 leg. cit. nicht anzuwenden war.

Die Festsetzung der Zeit gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 hat "auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens" zu erfolgen, wobei auch in diesem Zusammenhang auf die Wertungskriterien des § 66 Abs. 3 leg. cit. Bedacht zu nehmen ist. Daß hiebei den Kriterien der "seither verstrichenen Zeit" und "des Verhaltens während dieser Zeit" mit Rücksicht auf die Kürze des bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom 19. Juni 1990 vergangenen Zeitraumes und infolge des anhängigen Entziehungsverfahrens noch keine entscheidende Bedeutung zukommen konnte, hat die belangte Behörde richtig erkannt. Desgleichen ist der belangten Behörde darin beizupflichten, daß auf Grund der damit verbundenen Gefahren Alkoholdelikte zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen straßenpolizeiliche Vorschriften zählen und daher als besonders verwerflich anzusehen sind. Der Beschwerdeführer meint, daß die Begehung eines Alkoholdeliktes deshalb, weil es sich um eine solche schwerwiegende Übertretung handelt, eine bestimmte Tatsache darstelle, der Gesetzgeber jedoch "für den Eintritt der bestimmten Tatsache die Rechtsfolge des Entzuges der Lenkerberechtigung vorsieht" und "es überschießend und nicht gesetzeskonform ist, wenn der Eintritt der bestimmten Tatsache als solche ohne ein hinzukommendes Tatbestandsmerkmal als besonders verwerflich qualifiziert wird". Darauf ist zu erwidern, daß der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse vom 11. April 1984, Zl. 82/11/0178, und vom 11. Dezember 1985, Zl. 85/11/0061) ausgesprochen hat, daß sich aus einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 bereits unmittelbar deren besondere Verwerflichkeit, die auf eine dem Abs. 1 lit. a entsprechende Sinnesart schließen läßt, ergibt, weshalb sie in der Regel, bezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der zugrundeliegenden strafbaren Handlung, auch die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person rechtfertigt und demnach insoweit die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit einer Person nur in Ausnahmefällen zu ihren Gunsten ausfallen kann. Das bedeutet, daß bei der (auch in diesen Fällen erforderlichen) Wertung einer solchen bestimmten Tatsache unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit der aufgezeigte Umstand besonders schwer ins Gewicht fällt. Der Beschwerdeführer übersieht bei seinem Vorwurf, die belangte Behörde habe den Fehler begangen, "das Vorliegen einer bestimmten Tatsache, die ja in sich schon eine schwerwiegende Übertretung der Rechtsordnung birgt, als besonders erschwerend heranzuziehen", offenbar, daß die Entziehungsmaßnahme nicht in einem Strafverfahren ergangen ist, in dem ein Tatbestandsmerkmal bei der Strafbemessung nicht zusätzlich als erschwerend gewertet werden kann, sondern daß der bereits im Vorliegen einer bestimmten Tatsache allgemein zum Ausdruck kommende Grad der Verwerflichkeit der betreffenden strafbaren Handlung bei der von der Behörde vorzunehmenden Wertung entsprechend zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus hat die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit zutreffend dem hohen Alkoholisierungsgrad des Beschwerdeführers von 1,79 Promille Blutalkoholgehalt zur Tatzeit zu seinen Lasten maßgebliche Bedeutung beigemessen. Der Beschwerdeführer führt auch sonst Umstände ins Treffen, die, wenn überhaupt, nur in einem Strafverfahren beachtlich sein könnten, nämlich daß er "geständig und einsichtig ist" sowie "schwerwiegende persönliche Nachteile durch den gegenständlichen Verkehrsunfall in Kauf nehmen mußte, wie den Verlust des Arbeitsplatzes, die empfindliche gerichtliche und auch verwaltungsrechtliche Geldstrafe, weiters die Leistungsfreiheit der Haftpflichtversicherungsunternehmung bis zu einem Betrag von S 100.000,-- als auch den tiefgreifenden Nachteil, daß bei dem gegenständlichen Verkehrsunfall ein naher Verwandter des Beschwerdeführers zu Tode gekommen ist". Es soll nicht verkannt werden, daß "die vom Beschwerdeführer vorgebrachten schwerwiegenden persönlichen Folgen durch diesen Verkehrsunfall .... geeignet sind, auf die charakterliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken eines Kraftfahrzeuges Einfluß zu nehmen"; daß diese Umstände aber tatsächlich eine raschere Änderung seiner Sinnesart (als bei deren Nichtvorliegen) bewirken werden, konnte bei Stellung einer entsprechenden Prognose im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht angenommen werden, sondern wird erst durch das künftige Verhalten des Beschwerdeführers unter Beweis zu stellen sein.

Die belangte Behörde wertete das Verhalten des Beschwerdeführers "als besonders rücksichtslos", weil er einen PKW gelenkt habe, "obwohl er wußte, daß er bereits einige Stunden vorher anläßlich einer Feier mit seinen Freunden alkoholische Getränke konsumiert hat", wozu noch komme, daß er "auf der Fahrt zu einem weiteren Gasthaus trotz seiner schweren Alkoholisierung den PKW mit überhöhter Geschwindigkeit lenkte, sodaß er mit seinem PKW rechts von der Fahrbahn abkam, auf die Leitschiene auffuhr und sich mehrmals überschlug", wobei sein Cousin getötet wurde. Sie hat aber damit nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Beschwerdeführer überdies gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat und demnach eine weitere bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 dieses Paragraphen gegeben ist. Die belangte Behörde hat auch keine Feststellungen dahin getroffen, in welchem Ausmaß die vom Beschwerdeführer eingehaltene Fahrgeschwindigkeit "überhöht" gewesen sei und auf Grund welcher konkreten Umstände welche Fahrgeschwindigkeit zulässig gewesen wäre. Zum Tatbestand der Überschreitung der höchstzulässigen Fahrgeschwindigkeit (§ 20 Abs. 1 oder 2 bzw. § 52 Z. 10a StVO 1960), in der eine mangelnde Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern gelegen sein kann, muß, um von einer "besonderen Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern" sprechen zu können, ein besonderes Übermaß mangelnder Rücksichtnahme hinzutreten (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1990, Zl. 89/11/0183, mit weiteren Judikaturhinweisen). Darunter können auf Grund des klaren Wortlautes des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 nur solche Umstände verstanden werden, die mit einem Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unmittelbar im Zusammenhang stehen, wozu die (ohnedies von der lit. e erfaßte) Begehung eines Alkoholdeliktes, das kein rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr darstellt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0160), nicht zählt. Die belangte Behörde hat - ebensowenig wie das Strafgericht, das das zu beurteilende Verhalten des Beschwerdeführers anläßlich des gegenständlichen Vorfalles im Urteil vom 27. August 1990 dem § 81 Z. 2, nicht aber dem § 81 Z. 1 StGB unterstellt hat - auch nicht angenommen, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdeführers "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" im Sinne dieser Gesetzesstelle erfolgt sei.

Zu Lasten des Beschwerdeführers kann bei der Wertung der vorliegenden bestimmten Tatsache auch nicht der Umstand gehen, daß es am 19. März 1990 zu einem tödlichen Verkehrsunfall gekommen ist, weil die Unfallfolgen hiebei außer Betracht zu bleiben haben (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse vom 9. Mai 1989, Zl. 89/11/0010, und vom 19. September 1989, Zl. 89/11/0077), was bedeutet, daß sie den durch das Verhalten des Beschwerdeführers bestimmten Grad der Verwerflichkeit nicht noch zusätzlich erhöhen, hätte er doch mit der Möglichkeit dieser Folgen, auch wenn sie nicht eingetreten wären, von vornherein jedenfalls rechnen müssen. Dies betont auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift, obwohl angesichts des Ausmaßes der von ihr gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 festgesetzten Zeit der Eindruck entsteht, daß hiefür gerade dieser Umstand, wenn auch unausgesprochen, ausschlaggebend war. Nimmt man nämlich auf alle bei der Wertung maßgebenden Umstände Bedacht, so erscheint dieses Ausmaß nicht gerechtfertigt, und zwar insbesondere deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer die Übertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 das erste Mal begangen und sich die belangte Behörde im übrigen hinsichtlich seines relevanten Verhaltens in der Vergangenheit nur noch auf eine "Strafvormerkung wegen § 20 Abs. 2 StVO 1960" (der Aktenlage nach aus dem Jahre 1988) bezogen hat, zumal der von ihr herangezogene (aktenmäßig gedeckte) Umstand, daß das Strafgericht "zwei Unfälle" als erschwerend gewertet habe, für den Verwaltungsgerichtshof ohne nähere Begründung, um welche Unfälle es sich dabei gehandelt hat, nicht nachvollziehbar ist. Auch dem weiteren Hinweis der belangten Behörde, "daß der Berufungswerber zum Zeitpunkt des gegenständlichen Verkehrsunfalles erst eineinhalb Jahre im Besitz der Lenkerberechtigung war" und "dies natürlich seine besonders sorglose Einstellung hinsichtlich der Einhaltung der Rechtsvorschriften erkennen läßt", fehlt die Schlüssigkeit.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid (mit den darauf entfallenden Stempelgebühren) lediglich in einer einzigen Ausfertigung beizubringen war.

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