VwGH 91/11/0022

VwGH91/11/00222.7.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des S gegen den Bescheid des Militärkommandos Tirol vom 23. Jänner 1991, Zl. W/62/01/02/67, betreffend Feststellung der Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:

Normen

WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §23 Abs2;
WehrG 1990 Anl2 Art8 Abs4;
WehrRÄG 1988;
WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §23 Abs2;
WehrG 1990 Anl2 Art8 Abs4;
WehrRÄG 1988;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren hinsichtlich der Stempelgebühren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 4. Dezember 1962 geborene Beschwerdeführer wurde anläßlich seiner ersten Stellung am 10. November 1987 für "vorübergehend untauglich" bis November 1990 erklärt. Nunmehr wurde er einer neuerlichen Stellung unterzogen, auf Grund deren mit Beschluß der Stellungskommission bei der belangten Behörde vom 23. Jänner 1991 seine Eignung zum Wehrdienst mit "tauglich" festgestellt und ihm gemäß § 23 Abs. 6 Wehrgesetz 1990 (WG) eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er seit Dezember 1977 "an einer Verletzung der Kniescheibe (Patellaluxation) leidet", seither ihm die Kniescheibe schon mindestens zehnmal herausgesprungen ist" und "es ihm seit fünf Jahren nicht mehr möglich ist, irgendeinen Sport, außer Schwimmen, zu betreiben". Zum Beweis seines Vorbringens hat er bereits der Stellungskommission das Attest eines Facharztes für Orthopädie in Erlangen, Bundesrepublik Deutschland, vom 21. Dezember 1990, in dem eingangs auf das (anläßlich der ersten Stellung vorgelegte) Attest desselben Arztes vom 2. Oktober 1987 verwiesen wird und in dem es abschließend heißt, daß "eine Mehrbelastung der Knie sowie der LWS in Zukunft zu irreversiblen Dauerschäden führen wird" und "unverändert eine deutliche Beeinträchtigung der Wehrdienstfähigkeit besteht", vorgelegt. Der Beschwerdeführer rügt, daß vor Erlassung des angefochtenen Bescheides kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. Er wirft der belangten Behörde vor, daß sie sich mit den von ihm vorgelegten "Gutachten" nicht auseinandergesetzt, sondern vielmehr die Untersuchung einer Ärztin während des Stellungsverfahrens übertragen habe. Auch diese habe sich mit diesen "Gutachten in keiner Weise auseinandergesetzt, sondern lediglich durch Betasten des ramponierten Knies ohne eine röntgenologische Untersuchung und ohne spezielle orthopädische Untersuchungen die Tauglichkeit behauptet". Damit sei "aber in keinster Weise die Diagnose" des von ihm beigezogenen Facharztes "entkräftet" worden.

Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift unter Bezugnahme auf eine im vorgelegten Verwaltungsakt befindliche Stellungnahme des leitenden Arztes der Stellungskommission, der dieser anläßlich der gegenständlichen Stellung des Beschwerdeführers als Mitglied gemäß § 22 Abs. 1 WG angehört hat, zum Ausdruck gebracht, "daß bei der Beurteilung der Tauglichkeit des Beschwerdeführers zum Wehrdienst sowohl die durchgeführte ärztliche Untersuchung" durch die Stellungsärztin, wobei im übrigen "von einer oberflächlichen Untersuchung nicht die Rede sein" könne, "als auch die Facharztbefunde zugrundegelegt wurden und die Kommission zum Schluß gekommen ist, daß der Beschwerdeführer trotz seiner gesundheitlichen Einschränkung in der Lage ist, die zur Leistung des Grundwehrdienstes erforderliche Kraftanstrengung und Beweglichkeit zu entwickeln und eine Waffe zu bedienen". Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die belangte Behörde - ungeachtet dessen, daß sie (an anderer Stelle der Gegenschrift) den Wortlaut des § 15 Abs. 1 des Wehrgesetzes 1978 in der Fassung vor dem Wehrrechtsänderungsgesetz 1988, BGBl. Nr. 342, wiedergegeben hat - damit im Ergebnis richtig erkannt hat, daß sie bei Prüfung der Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst auf die Bestimmung des § 15 Abs. 1 WG Bedacht zu nehmen hatte, wonach in das Bundesheer nur einberufen werden darf, wer die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzt, und es bei Auslegung dieser Bestimmung, um die Möglichkeit einer militärischen Ausbildung zu gewährleisten, entscheidend auf die von ihr zuletzt genannten Umstände ankommt (vgl. dazu u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1989, Zl. 89/11/0105, und vom 20. Februar 1990, Zl. 89/11/0235). Auf Grund dieser (seit dem Wehrrechtsänderungsgesetz 1988 geänderten) Rechtslage war es der belangten Behörde auch dann, wenn sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit der ersten Stellung im Jahre 1987 nicht gebessert hat, nicht verwehrt, nunmehr seine Eignung zum Wehrdienst festzustellen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1989, Zl. 89/11/0072). Was aber die Frage betrifft, welchen Sachverhalt sie als erwiesen angenommen hat, so sind ihre weiteren Ausführungen in der Gegenschrift, die sich auf die daraus gezogenen Schlußfolgerungen beziehen, nicht ohne Belang. Demnach sei eine Patellaluxation keine Verletzung, sondern eine Neigung des Bandapparates der Kniescheibe, diese aus ihrer normalen Lage zu luxieren. Eine echte Luxation sei mit gewaltigen Schmerzen verbunden, ein solcher Patient dränge geradezu nach einer Operation (die vorübergehende Untauglichkeit sei u.a. auch deswegen befundet worden, damit sich der Beschwerdeführer operieren lasse). Nach Ansicht "des Arztes" - gemeint ist jener der Stellungskommission entsprechend der schon erwähnten, von ihm abgegebenen schriftlichen Stellungnahme - sei es auch eigenartig, daß die Beschwerden seit 1977 bestehen und sich der Beschwerdeführer erst 1984, also sieben Jahre später, von einem Facharzt untersuchen lasse. Dies lasse den Schluß zu, daß die Beschwerden keineswegs in der Intensität bestehen, wie sie der Beschwerdeführer darzutun beabsichtige. Laut Aussage des Konsiliarfacharztes für Orthopädie im Militärspital Innsbruck stelle eine rezidivierende Patellaluxation eine absolute Operationsindikation dar, um Folgeschäden an der Kniescheibe hintanzuhalten.

Diese Formulierung läßt Zweifel daran aufkommen, ob die belangte Behörde tatsächlich von der vom Beschwerdeführer behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigung, sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch ihres Ausmaßes, ausgegangen ist. Sollte dies nicht der Fall sein, hätte sich die belangte Behörde nicht mit den für sie maßgeblich gewesenen Äußerungen des leitenden Arztes der Stellungskommission begnügen dürfen, sondern wäre vielmehr der Beschwerdeführer gemäß § 23 Abs. 2 zweiter Satz WG jedenfalls einer entsprechenden fachärztlichen Untersuchung zuzuführen gewesen, auf Grund deren Ergebnis allenfalls - das heißt, wenn die vorliegenden Befunde im wesentlichen voneinander abweichen - eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des vom Beschwerdeführer vorgelegten fachärztlichen Attestes vom 21. Dezember 1990 zu erfolgen gehabt hätte. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer bisher keine Operation hat durchführen lassen, muß noch nicht zwingend bedeuten, daß er nicht die im Attest vom 21. Dezember 1990 aufscheinende gesundheitliche Beeinträchtigung aufweist, verursacht doch das vom Beschwerdeführer behauptete Leiden offenbar erst dann erhebliche Schmerzen, wenn die Kniescheibe aus ihrer normalen Lage "herausspringt", die Häufigkeit derartiger Vorfälle anscheinend vorwiegend von seinem eigenen Verhalten abhängt, sodaß bei entsprechender Schonung dies weitgehend vermieden werden kann, und es im übrigen nicht von vornherein ausgeschlossen ist, daß sich der Beschwerdeführer mit dieser Situation abfindet, wobei er zu befragen gewesen wäre, wieso er sich bisher einer solchen Operation nicht unterzogen hat. Die belangte Behörde betont zwar, das Vorliegen einer gesundheitlichen Einschränkung des Beschwerdeführers anerkannt zu haben, ohne jedoch darzulegen, worin diese ihrer Ansicht nach konkret besteht. Es ist daher für den Verwaltungsgerichtshof auch keinesfalls nachvollziehbar, wieso sie zur Auffassung gelangt ist, daß der Beschwerdeführer im Rahmen eines von ihm zu leistenden Grundwehrdienstes, entsprechend der oben dargestellten Rechtslage, einer militärischen Ausbildung unterzogen werden kann. Wäre damit eine solche Belastung eines Knies oder sogar beider Knie verbunden, daß dadurch eine weitere gesundheitliche Schädigung eintreten würde, was dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden kann, so könnte er nicht als für den Wehrdienst geeignet angesehen werden (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1990, Zl. 89/11/0235, und vom 6. März 1990, Zl. 89/11/0171).

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren hinsichtlich der Stempelgebühren war abzuweisen, weil eine Vollmachtsurkunde nicht beigebracht wurde.

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