VwGH 91/10/0208

VwGH91/10/020828.2.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Juli 1991, Zl. MA 63-M 64/90/Str., betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen ein Straferkenntnis, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §10 Abs2 impl;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
AVG §10 Abs2 impl;
AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistratischen Bezirksamtes für den 11. Bezirk vom 6. Juni 1990 gemäß § 71 Abs. 1 lit. a (nunmehr: Z. 1) AVG in Verbindung mit § 24 VStG abgewiesen. Die gegen das Straferkenntnis vom 6. Juni 1990 eingebrachte Berufung wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen.

Nach der Begründung stehe fest, daß die Berufung gegen das am 2. August 1990 vom Beschwerdeführer persönlich übernommene und damit zugestellte Straferkenntnis vom 6. Juni 1990 erst am 21. August 1990 - also nach Ablauf der vom 2. August 1990 zu berechnenden zweiwöchigen Berufungsfrist des § 51 Abs. 3 VStG - eingebracht worden sei. Der Beschwerdeführer begründe die verspätete Einbringung der Berufung damit, daß das Straferkenntnis, auf welchem sich ein Einlaufstempel mit dem Datum "7. August 1990" befunden habe, dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 9. August 1990 per Fax zugemittelt worden sei, woraus wiederum geschlossen worden sei, daß das Straferkenntnis erst am 7. August 1990 zugestellt worden sei. Aus den Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugin M gehe hervor, daß der Beschwerdeführer das Straferkenntnis ohne Angabe des Zustellungstages an Frau M weitergegeben habe, worauf von einer anderen Kanzleikraft der Einlaufstempel "7. August 1990" angebracht worden sei. In dem Umstand, daß der Beschwerdeführer seine Kanzleikräfte nicht über den Zustelltag informiert und damit zur irrtümlichen Anbringung des unrichtigen Einlaufdatums "7. August 1990" beigetragen habe, sei ein fahrlässiges Verhalten zu erblicken, das ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist begründe und demnach gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe. Die im Bescheid der ersten Instanz aufgeworfene Frage, ob sich der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers darauf habe verlassen dürfen, daß auf dem Straferkenntnis der Tag der Zustellung richtig vermerkt gewesen sei, stelle sich bei dieser Sachlage nicht mehr.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung ist ferner, daß die Partei kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, das heißt die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm auch nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 2. Oktober 1991, Zl. 91/03/0034).

2.2.1. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, es bestehe kein Grund und kein Anlaß, noch besonders auf den Zustelltag hinzuweisen, wenn am Tag der Zustellung eines Schriftstückes dieses zur Weiterleitung an den Rechtsanwalt im Büro übergeben werde. Selbst durch den Hinweis, daß die Zustellung am Übergabetag gewesen sei, hätte das Aufbringen einer Eingangsstampiglie mit einem fünf Tage späteren Eingangsdatum nicht verhindert werden können.

2.2.2. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung folgendes vorgebracht:

" Ich selbst habe das Straferkenntnis gemäß dem meinem ausgewiesenen Vertreter vorgewiesenen Zustellschein am 2.8.1990 übernommen. Ich gehe daher davon aus, daß in dem Zustellstück zum Rückschein vom 2.8.1990 tatsächlich das Straferkenntnis enthalten war.

Da diese Angelegenheit bereits in bezug auf andere Verfolgungshandlungen dem Firmenanwalt übergeben war, habe ich (das Straferkenntnis) der organisatorisch für diese Angelegenheiten zuständigen Leiterin des Sekretariates und Chefsekretärin M übergeben. Diese hat wie dies langjährige Übung ist, das Straferkenntnis zum Zwecke der Berufung dem nunmehr ausgewiesenen Vertreter per FAX am 9.8.1990 zugemittelt. Das Straferkenntnis trug den Einlaufstempel 7.8.1990.

In den nunmehr 15 Jahren, in denen der ausgewiesene Vertreter unter anderem sämtliche lebensmittelrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten meiner Dienstgeberfirma und deren Beschäftigten, also auch meiner Person, erledigt, ist bisher ein solches Auseinanderklaffen der tatsächlichen Zustellung und der Angabe über die Zustellung gemäß Einlaufstempel nicht passiert. Er gereicht daher wegen der hohen Verläßlichkeit der Arbeit der Frau M weder dieser noch aber meinem ausgewiesenen Vertreter oder dessen Kanzlei zu einem vorwerfbaren Versehen, sich über den Zustelltag nicht noch besonders vergewissert zu haben."

Der Beschwerdeführer hat zu den Vorgängen, die zur Anbringung eines unrichtigen Zustelldatums führten, am 5. Februar 1991 vor der Behörde folgendes niederschriftlich angegeben:

"Die Einlaufstampiglie auf dem Straferkenntnis wurde nicht von mir, sondern von Frau M angebracht, sollte sie abwesend gewesen sein, war es Frau B. Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern, wann ich genau Fau M das Straferkenntnis gegeben habe. Üblicherweise gebe ich die an mich adressierten Schriftstücke sofort ab, es kann aber vorkommen, daß ich darauf vergesse. Weiters möchte ich angeben, daß ich in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1990 mehrere Strafverfügungen und -erkenntnisse erhalten und mich daher nicht mehr genau erinnern kann, wann ich diese abgegeben habe. Auch ob ich ihr sagte, wann ich genau das Straferkenntnis erhalten habe, weiß ich nicht mehr."

Die Zeugin M hat am 5. Februar 1991 folgende Angaben gemacht:

"Die Eingangsstampiglie wurde nicht von mir, obwohl ich zu dieser Zeit in der Firma anwesend war, sondern von einer neuen Kanzleikraft, Frau L, die seit der 2. Juniwoche 1990 in der Firma beschäftigt ist, angebracht. Ich kann mir die Sache nur so erklären, daß Herr H das Straferkenntnis auf den Tisch legte, etwas anderes darauf gelegt wurde, und in der Kanzlei erst am 7.8.1990 wieder auftauchte, und mit der Eingangsstampiglie versehen wurde. Herr H hat mir nicht gesagt, wann er das Straferkenntnis erhalten hat, und ich habe ihn auch nicht danach gefragt."

Unabhängig von der Frage, ob dem Beschwerdeführer dadurch, daß er anläßlich der Übergabe des Straferkenntnisses nicht ausdrücklich auf den Zustelltag hinwies, ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist trifft, geht weder aus seinem Wiedereinsetzungsantrag noch aus den Angaben vor der Behörde hervor, daß er der im Beschwerdefall zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen ÜBERWACHUNGSPFLICHT nachgekommen ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist derjenige, der von einer Partei beauftragt ist, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, damit dieser gegen den Bescheid ein Rechtsmittel ergreift, "Bote" und nicht Bevollmächtigter. Versäumt der Bote den Auftrag, so kann darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhindert, erblickt werden, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist (vgl. das Erkenntnis vom 28. November 1978, Zl. 1167/78, VwSlg. 9706/A).

Diese Überlegungen haben auch für den Fall zu gelten, in dem eine Sekretärin beauftragt wird, eine Bescheidausfertigung im Wege der Telekopie ("per Fax") an den bevollmächtigen Rechtsanwalt zu übermitteln. Eine Partei, die sich nach Übergabe des Bescheides (Straferkenntnisses) an die Sekretärin nicht weiter darum kümmert, ob das Schriftstück das richtige Zustelldatum aufweist, muß sich vorwerfen lassen, daß sie auffallend sorglos gehandelt hat, das heißt, daß sie die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen hat. Von einem minderen Grad des Versehens, der einer Wiedereinsetzung nicht im Wege stünde, kann daher im Beschwerdefall nicht mehr gesprochen werden.

Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vermißten Feststellungen darüber, wann der Beschwerdeführer das Straferkenntnis im Büro seines Dienstgebers abgegeben hat, waren daher entbehrlich.

2.3. Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die Beschwerde unbegründet ist, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

2.4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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