VwGH 91/08/0166

VwGH91/08/016615.12.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der J in P, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 9. Oktober 1991, Zl. Va-456-14.432-1, betreffend Gewährung laufender Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit (rechtskräftigem) Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 11. April 1991 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 9. Jänner 1991 auf Gewährung laufender Sozialhilfeunterstützung im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das errechnete Familieneinkommen übersteige die für den gegenständlichen Fall anzuwendenden Sozialhilferichtsätze. Alimenten von S 9.800,-- monatlich stünden nämlich allfälligen Ansprüchen auf Sozialhilfeleistung von S 7.850,-- (S 3.635,-- Richtsatz für Haushaltsvorstand und S 4.215,-- Haushaltsmitglieder mit Familienbeihilfe) monatlich gegenüber. Eine Notlage im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen sei daher nicht gegeben.

Am 31. Juli 1991 beantragte die Beschwerdeführerin neuerlich die Gewährung einer laufenden Sozialhilfeunterstützung und begründete diesen damit, sie sei zuletzt aushilfsweise als Lehrerin tätig gewesen. Diese Tätigkeit sei mit Ende des Schuljahres 1991 beendet worden und habe sie über diesen Zeitpunkt hinaus keinerlei Anspruch auf Zahlung eines Entgeltes aus dieser Tätigkeit. Anderweitige berufliche Tätigkeiten, aus welchen ein Entgelt für die Zeit nach Ende dieses Schuljahres erfließen hätte können, hätten nicht bestanden und bestünden auch derzeit nicht. Die Beschwerdeführerin habe drei minderjährige Kinder zu beaufsichtigen und zu befürsorgen. Die Aushilfstätigkeit als Lehrerin habe nur zeitweise und nur mit äußerst großen Schwierigkeiten ausgeübt werden können. Anläßlich der Scheidung der Beschwerdeführerin sei ihr geschiedener Ehemann zu keiner Unterhaltsleistung an sie verhalten worden, sie sei daher zur Zeit mittel- und einkommenslos. Ihr stehe lediglich ein Wohnrecht in dem von ihr bewohnten Haus zu, welches sie jedoch mit den minderjährigen Kindern zu teilen habe. Primär diene daher das Wohnrecht der Unterhaltsgewährung an die Kinder. Laut dem anläßlich der Scheidung abgeschlossenen Vergleich habe sie trotz fehlenden Einkommens sogar noch die Betriebskosten für das Haus zu tragen und für die Erhaltung desselben aufzukommen, soweit es sich nicht um ernste Bauschäden handle. Von anderen Personen oder Einrichtungen erhalte sie nichts. Die Beschwerdeführerin sei auch von Gesetzes wegen nicht berechtigt, den Unterhalt der Kinder für sich zu verwenden, sondern habe diesen ausschließlich für die Kinder zu verwenden, was auch geschehe. Bisher habe sie für die eigenen Bedürfnisse vornehmlich Ersparnisse verwendet; dies könne jedoch nunmehr mangels solcher und zufolge Aufbrauchung derselben nicht mehr geschehen.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaf vom 5. September 1991 wurde auch dieser Antrag "gemäß § 68 Abs. 1 AVG" abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, der ebenfalls den Antrag auf Gewährung einer laufenden Sozialhilfeunterstützung zum Gegenstand habende abweisliche Bescheid vom 11. April 1991 sei in Rechtskraft erwachsen, eine Änderung des Sachverhaltes gegenüber dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Antrag sei im Antrag vom 31. Juli 1991 nicht gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung, mit der Begründung, ihr sei kein rechtliches Gehör gewährt worden, wäre ihr dieses eingeräumt worden, wäre - wie bereits auch im Antrag - klar ersichtlich geworden, daß seit Erlassung des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides vom 11. April 1991 Neuerungen vorgelegen seien. Die Ausführungen im Antrag vom 31. Juli 1991 bezögen sich ausschließlich auf Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung und jedenfalls auf die Zeit nach dem 11. April 1991. Klar abgegrenzt seien zeitlich auch die Tätigkeitsbereiche als Hilfslehrerin. Von der erstinstanzlichen Behörde hätte zumindest untersucht werden müssen, ob tatsächlich mit Antragstellung kein Einkommen der Antragstellerin ins Verdienen gebracht werde. Eine Änderung der Verhältnisse sei schon dann eingetreten, wenn aus rechtlicher Sicht entgegen dem seinerzeit unbekämpften Bescheid zugrunde gelegt werden müsse, daß der Unterhalt der Kinder nicht für ihre eigene Sozialhilfeunterstützung herangezogen werden könne, denn der unbekämpfte Bescheid schaffe insofern unbekämpfte aber im Verhältnis zum Vorbringen im (neuen) Antrag unterschiedliche Tatsachen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen gerichteten Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Nach seiner Begründung hätten Ermittlungen ergeben, daß der monatliche Bedarf der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder an Leistungen im Sinn des § 4 Abs. 1 lit. a der Sozialhilfeverordnung unter dem monatlichen Einkommen der Beschwerdeführerin läge. Zu Recht habe die Behörde deshalb schon mit Bescheid vom 11. April 1991 festgestellt, daß eine Notlage im Sinne des § 1 Abs. 3 Sozialhilfegesetz nicht vorliege. Wenn nun im neuen Antrag vom 31. Juli 1991 vorgebracht werde, daß die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit als Hilfslehrerin nicht mehr ausübe und dadurch ein entsprechendes Einkommen verliere, könne dieses Argument zu keiner anderen Entscheidung führen. Das Einkommen als Hilfslehrerin würde nämlich ein Gesamteinkommen der Beschwerdeführerin erhöht haben und noch mehr als bisher über dem monatlichen Bedarf liegen, sodaß erst recht eine Sozialhilfeleistung nicht gerechtfertigt sein könne. Von einer Änderung des Sachverhaltes könne sohin nicht gesprochen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt, und die Verwaltungsakten vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ist zu entnehmen, daß eine verfahrensrechtliche Entscheidung im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG beabsichtigt war, der Spruch dieser Entscheidung daher richtigerweise auf Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerin hätte lauten müssen. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 leg. cit. die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet und auch in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine Sonderregelung vorgesehen ist (§ 68 Abs. 6 leg. cit.) - mit einem verfahrensrechtlichen Bescheid (vgl. hg. Erkenntnis vom 5. September 1980, Zl. 620/78, mit der dort zitierten Judikatur) -, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 leg. cit. in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern soll (vgl. hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 1970, Zl. 589/70 und das bereits zitierte Erkenntnis vom 5. September 1980, Zl. 620/78). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß durch die "entschiedene Sache", das heißt durch die Identität der Verwaltungssache, über die mit einem bereits formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des ursprünglichen Begehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Begehren im wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1970, Slg. Nr. 77662/A, vom 14. Juni 1971, Slg. Nr. 8.035/A und vom 10. Dezember 1979, Zl. 1656/79). Der Begriff "Identität der Sache" muß daher in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden (vgl. hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1974, Zl. 1100/72). Dies bedeutet, daß den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muß (vgl. auch hg. Erkenntnisse vom 15. Mai 1985, Zl. 84/09/0004 und vom 19. März 1986, Zl. 84/09/0148).

Der der materiellen Rechtskraft fähige Abspruch eines Bescheides besteht nicht nur aus dem Spruch des Bescheides allein, sondern aus dem Spruch in Verbindung mit der Begründung, insoweit sich aus ihr der von der Behörde angenommene maßgebende Sachverhalt, das heißt der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung dienende Sachverhalt ergibt (vgl. hg. Erkenntnisse vom 21. März 1980, Zl. 2534/79 = Slg. Nr. 10.074/A, sowie die hg. Erkenntnisse vom 18. April 1989, Zl. 87/04/0184 und vom 24. September 1990, Zl. 89/10/0211). Bei einer behaupteten Änderung des Sachverhaltes kommt es also darauf an, ob diese Änderung jene Umstände betrifft, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben (vgl. hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 1987, Zlen. 86/02/0017 bis 0022). Gegenstand der Prüfung der Behörde ist daher die Behauptung des Vorliegens neu entstandener Tatsachen gegenüber jenen, die für die frühere Entscheidung bestimmend waren (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 19. Oktober 1984, Zl. 84/03/0204 und vom 19. September 1990, Zl. 90/03/0122). Dabei ist auch die Behörde - ebenso wie auch der Verwaltungsgerichtshof - an die in der tragenden Begründung des (rechtskräftig gewordenen) Bescheides klar zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht gebunden.

Im vorliegenden Fall war einziges tragendes Begründungselement für die Abweisung des früheren Antrages der Beschwerdeführerin mit dem (rechtskräftigen) Bescheid vom 11. April 1990 der (den maßgeblichen Richtsatz übersteigende) Bezug von monatlichen Alimentationsleistungen für die von der Beschwerdeführerin betreuten minderjährigen Kinder in Höhe von S 9.800,-- monatlich und deren volle Anrechnung als Einkommen der Beschwerdeführerin. Daß sich dieser, allein entscheidungswesentliche Sachverhalt geändert hätte, behauptet die Beschwerdeführerin weder in ihrem zweiten Antrag vom 31. Juli 1991 noch auch in der Berufung. Eine allfällige Änderung von Tatumständen, die kein relevantes Begründungselement des rechtskräftigen Bescheides vom 11. April 1991 gewesen sind, kann aus den dargelegten Gründen die Rechtskraftwirkung nicht durchbrechen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die von der Behörde im rechtskräftigen Bescheid vertretene Rechtsansicht als mit dem Gesetz nicht in Einklang stehend darstellt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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