Normen
BSVG §124 Abs1 impl;
GSVG 1978 §132 Abs1 impl;
GSVG 1978 §133 Abs1 impl;
SHG NÖ 1974 §33 Abs2;
SHG NÖ 1974 §33 Abs3 lita;
SHG NÖ 1974 §33 Abs3;
VwRallg;
BSVG §124 Abs1 impl;
GSVG 1978 §132 Abs1 impl;
GSVG 1978 §133 Abs1 impl;
SHG NÖ 1974 §33 Abs2;
SHG NÖ 1974 §33 Abs3 lita;
SHG NÖ 1974 §33 Abs3;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 13. Oktober 1990 beantragte der minderjährige Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin, die Erteilung der Altersnachsicht nach § 33 Abs. 5 Niederösterreichisches Sozialhilfegesetz. Nach Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den Antrag auf Erteilung der Nachsicht von der Voraussetzung der Vollendung des 18. Lebensjahres für die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 33 Abs. 5 des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes ab. Unter Zitierung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes wurde begründend ausgeführt, der minderjährige Beschwerdeführer leide an den Folgen von zwei Operationen, die wegen eines praesacralen Teratoms notwendig gewesen seien, und erhalte Chemotherapie. Laut amtsärztlichem Gutachten der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 21. Jänner 1991 bedürfe der Beschwerdeführer der persönlichen Hilfe (Wartung) durch eine andere Person zum An- und Auskleiden, zur täglichen Körperreinigung und Pflege, zur Zubereitung einfacher Speisen, zur Beheizung des Wohnraumes und zum Zurechtmachen der Schlafstelle. Weiters bedürfe er der Hilfe durch eine andere Person zur Besorgung von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Heizmaterial und sonstigen lebenswichtigen Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfes, zum Waschen der Leib- und Bettwäsche sowie zum Aufräumen und zur Reinigung der Wohnung. Der dauernde Bedarf an Wartung und Hilfe betreffe somit nur einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen und nicht alle regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen. Wenngleich die Erkrankung des Beschwerdeführers sicherlich schwer sei, so sei doch vom Gesetzgeber durch das Wort "dauernd" eine akute Erkrankung, die keinen unheilbaren Zustand zur Folge habe, wie auch die Zeit der Rekonvaleszenz - z.B. nach einer Operation - von der Möglichkeit, ein Pflegegeld zu erlangen, ausgeschlossen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 33 Abs. 2 des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes (NÖ SHG), LGBl. Nr. 9200, ist pflegebedürftig, wer auf Grund eines Leidens oder eines Gebrechens derart hiflos ist, daß er dauernd der Wartung und Hilfe bedarf. Nach Abs. 3 leg. cit. ist auf Antrag Pflegegeld zu gewähren, wenn ein Pflegebedürftiger, der seinen ordentlichen Wohnsitz in Niederösterreich besitzt und das 18. Lebensjahr vollendet hat
a) für einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen dauernd der Wartung und Hilfe durch eine andere Person,
b) für die lebenswichtigen wiederkehrenden Verrichtungen dauernd der Wartung und Hilfe in erheblichem Umfang durch eine andere Person bedarf oder dauernd vorwiegend bettlägrig ist, oder
c) der dauernden ununterbrochenen und außergewöhnlichen Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf.
Nach Abs. 5 leg. cit. kann von der Landesregierung zur Vermeidung besonderer sozialer Härten die Voraussetzung der Vollendung des 18. Lebensjahres nachgesehen werden; insbesondere dann, wenn durch die Gewährung des Pflegegeldes Pflege in einem Heim entbehrlich wird.
Vorauszuschicken ist, daß die belangte Behörde grundsätzlich nicht in Abrede stellt, daß der minderjährige Beschwerdeführer für einzelne lebenswichtige wiederkehrende Verrichtungen der Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf; einzig tragendes Argument für die abweisliche Entscheidung war jedoch die Annahme der Behörde, die Pflegebedürftigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers sei keine "dauernde" im Sinne des § 33 Abs. 3 NÖ SHG.
Konsequenterweise brauchte sie nicht mehr zu prüfen, ob von der Bestimmung des § 33 Abs. 5 leg. cit. Gebrauch gemacht werden könne, und tat es - entgegen den Darlegungen in der Gegenschrift - in der Bescheidbegründung auch nicht. Was unter dem vom Gesetzgeber verwendeten Ausdruck "dauernd" zu verstehen ist, ist daher im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich. Zur Begriffsbestimmung kann in diesem Zusammenhang auch die zu den vergleichbaren Bestimmungen der §§ 123 Abs. 1 und 124 Abs. 1 BSVG bzw. §§ 132 Abs. 1 und 133 Abs. 1 GSVG ergangene Rechtsprechung herangezogen werden, die den zeitlichen Begriff "dauernd" ebenfalls als eigenes Tatbestandsmerkmal ausweisen. Nach Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechtes4, RZ 69, heißt (bezogen auf die Erwerbsunfähigkeit) "dauernd", da vorläufig ein Ende der Erwerbsunfähigkeit nicht absehbar sei. Die Beurteilung habe daher prognostisch zu erfolgen. Auch vom Oberlandesgericht Wien als in Leistungsstreitsachen damaligem Höchstgericht wurde unter dem Begriff "dauernd" im Zusammenhang mit der Erwerbsunfähigkeit nicht ein in Zukunft nach medizinischer Aussage nicht mehr abänderbarer Zustand angesehen, sondern bloß ein anhaltender Zustand, dessen Ende nur vorläufig noch nicht abgesehen werden könne (SVSlg. 17.467, 21.043, 21.045 ff, 26.787). Nach DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 2, 491, hat das Adjektiv "dauernd" unter anderem die Bedeutung "für längere Zeit in gleichbleibender Weise vorhanden, wirkend, geltend; fortwährend
...".
Im Anschluß daran hat auch der OGH in seiner Entscheidung vom 11. Juni 1991, 10 Ob S 156/91, zu § 123 Abs.1 f BSVG und § 132 Abs.1 f GSVG ausgesprochen, daß es sich bei einer "dauernden Erwerbsunfähigkeit" zwar nicht um einen nicht mehr (wesentlich) besserungsfähigen, also lebenslangen Zustand handeln müsse, wohl aber um einen längere Zeit anhaltenden (dauernden) Zustand, DESSEN ENDE IN ABSEHBARER ZEIT NICHT ZU ERWARTEN SEI. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Interpretation auch für den Anwendungsbereich des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes, insbesondere dessen § 33 Abs. 3, an. Mit dieser Auslegung steht aber die tragende Begründung des angefochtenen Bescheides in Widerspruch. Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 3 lit. a NÖ SHG ist weder daß für ALLE lebenswichtigen wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens Wartung und Hilfe benötigt wird, noch daß der Leidenszustand des Betroffenen ein unheilbarer ist.
Ausgehend von ihrem Rechtsirrtum hat die belangte Behörde daher nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer im oben genannten Sinne pflegebedürftig ist.
Nach dem im behördlichen Verfahren eingeholten amtsärztlichen Gutachten leidet der minderjährige Beschwerdeführer an den Folgen eines in zwei Operationen entfernten praesacralen Teratoms (Geschwulst des Rückenmarkes), wobei die Nachbehandlung bis 1989 durch Chemotherapie und nach wie vor aufrechterhaltene monatliche Kontrolle der Chemotherapie erfolgt; der minderjährige Beschwerdeführer leidet an einem körperlichen Entwicklungsrückstand (Körpergewicht 20 kg). Aus dem Gutachten geht jedoch nicht hervor, inwieweit dieses am minderjährigen Beschwerdeführer festzustellende Zustandsbild im Sinne der obigen Ausführungen als "dauernd" zu qualifizieren bzw. zu prognostizieren ist, das heißt, ob und wann die Wiederherstellung der Fähigkeit zur Verrichtung der lebenswichtigen wiederkehrenden Tätigkeiten zu erwarten ist. Für die Annahme der belangten Behörde, es handle sich beim Leidenszustand des minderjährigen Beschwerdeführers um keinen "dauernden", entbehrt es jeglicher Sachverhaltsgrundlage. Die belangte Behörde wird dazu ergänzende Erhebungen, zweckmäßigerweise in Form eines den Umständen des Beschwerdefalles präziser Rechnung tragenden Sachverständigengutachtens, zu pflegen und auf dieser Sachverhaltsgrundlage entsprechende Feststellungen zu treffen haben, bevor in die Prüfung der weiteren Voraussetzungen des Abs. 5 leg. cit. eingegangen werden kann.
Da die belangte Behörde ihren Bescheid daher mit einer primären Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde eingegangen werden muß.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991, begrenzt durch das ausdrücklich ziffernmäßige Begehren in der Beschwerde.
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