VwGH 90/19/0253

VwGH90/19/025322.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 21. Februar 1990, Zl. Frb-4250/89, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 21. Februar 1990, wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 in Verbindung mit § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, in der derzeit geltenden Fassung (FrPolG), gestütztes, auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 1 leg. cit. verpflichtet, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Rechtskraft dieses Bescheides zu verlassen.

In der Begründung ging die belangte Behörde in Übereinstimmung mit der Begründung des Bescheides erster Instanz davon aus, daß der Beschwerdeführer, dem von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz der letzte mit 30. Jänner 1984 befristete Sichtvermerk am 9. Februar 1983 erteilt worden sei, sich seit diesem Zeitpunkt weiterhin in Österreich aufgehalten habe, obwohl er über keinen gültigen Sichtvermerk verfügt habe. Deshalb sei der Beschwerdeführer mit Strafverfügungen vom 15. Jänner 1985 und 12. Jänner 1989 jeweils wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes rechtskräftig mit Geldstrafen von S 2.000,-- bzw. S 1.000,-- bestraft worden. Obwohl der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz wiederholt ermahnt und aufgefordert worden sei, sich umgehend einen gültigen Reisepaß zu beschaffen und sodann den erforderlichen Sichtvermerk zu beantragen, sei der Beschwerdeführer diesen Aufforderungen nicht nachgekommen. Die Einwendung des Beschwerdeführers, er könne keinen gültigen Reisepaß erlangen, weil er politische Schriften verfaßt habe, sei nicht glaubwürdig. Wenngleich es auch richtig sei, daß der Beschwerdeführer bereits seit dem Jahre 1973 in Österreich lebe, hier für zwei minderjährige Kinder zu sorgen habe und durch die Vollziehung des Aufenthaltsverbotes gravierenden beruflichen Einschränkungen unterworfen wäre, ließen die Tatsache, daß der Fremde über sechs Jahre, ohne im Besitz einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung für Österreich zu sein, im Bundesland Vorarlberg gelebt habe, die Verhängung eines auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes rechtens erscheinen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in seinem Recht verletzt, daß gegen ihn kein Aufenthaltsverbot verhängt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 1 FrPolG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 leg. cit. insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

Hinsichtlich der Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes wird vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG dann verwirklicht ist, wenn in bezug auf die dort genannten vier Gesetze insgesamt mindestens drei rechtskräftige Bestrafungen eines Fremden vorliegen (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0161, und das dort angeführte weitere Erkenntnis), was im Beschwerdefall unbestrittenermaßen nicht der Fall ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es aber auch auf dem Boden der durch die Novelle BGBl. Nr. 575/1987 konstituierten Rechtslage zulässig, ein Fehlverhalten dem § 3 Abs. 1 FrPolG zu subsumieren, ohne daß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall leg. cit. vorliegen. Allerdings ist die "direkte" Subsumtion eines solchen Fehlverhaltens unter § 3 Abs. 1 FrPolG nicht für sich allein zulässig, sondern rechtlich nur und erst dann gedeckt, wenn zu diesem (zumindest) ein weiteres hinzutritt, und das sich daraus ergebende Gesamt(fehl)verhalten von solchem Gewicht ist, daß jenes die Annahme des Vorliegens einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG rechtfertigt (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. April 1990, Zl. 90/19/0144).

Die belangte Behörde hat, der Begründung des Bescheides erster Instanz folgend, als Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG neben den beiden rechtskräftigen Bestrafungen nach dem Fremdenpolizeigesetz, den Umstand, daß sich der Beschwerdeführer auch weiterhin nach der letzten rechtskräftigen Bestrafung nach dem Fremdenpolizeigesetz (12. Jänner 1989) bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides in Österreich ohne Sichtvermerk aufgehalten habe, und eine rechtskräftige Bestrafung (Geldstrafe S 1.000,--) nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG durch die Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom Juli 1988 gewertet.

Die belangte Behörde war grundsätzlich berechtigt, auch das fremdenpolizeirechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers, hinsichtlich dessen (noch) keine rechtskräftige Bestrafung vorlag, in das der Beurteilung nach § 3 Abs. 1 FrPolG unterliegende Gesamtfehlverhalten einzubeziehen. Dieses Verhalten ohne Bestrafung in Verbindung mit den zwei rechtskräftigen Bestrafungen nach dem Fremdenpolizeigesetz hat allerdings für sich allein nicht das Gewicht, um es bei der Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens als bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG werten zu können. Der Gesetzgeber hat dadurch, daß er in § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG bestimmt, daß erst drei rechtskräftige Bestrafungen wegen Übertretungen nach einem der in der genannten Gesetzesstelle angeführten Gesetze als bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG gelten, zu erkennen gegeben, daß er einem derartigen Verhalten, wenn es nicht zu einer rechtskräftigen Bestrafung gekommen ist, weniger Gewicht beigemessen hat. Eine Subsumtion des (unbestraft gebliebenen) fremdenpolizeirechtlichen Fehlverhaltens in Verbindung mit den zwei rechtskräftigen Bestrafungen nach dem Fremdenpolizeigesetz unter § 3 Abs. 1 FrPolG ist daher nur dann zulässig, wenn entweder das Verhalten, das nicht bestraft worden ist, ein besonderes Qualifikationsmoment enthielte - ein solches ist aber den Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Bescheides nicht entnehmbar - oder wenn vom Beschwerdeführer noch ein weiteres Fehlverhalten gesetzt worden wäre, das in das zu beurteilende Gesamtfehlverhalten miteinzubeziehen wäre.

Die belangte Behörde hat zwar auch die erwähnte Bestrafung des Beschwerdeführers nach Art. IX EGVG bei Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens mitberücksichtigt; der Begründung des angefochtenen Bescheides, aber auch dem Verwaltungsakt kann jedoch nicht entnommen werden, welches Verhalten des Beschwerdeführers dieser Bestrafung zugrunde lag.

Ob das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers von solchem Gewicht ist, daß jenes die Annahme des Vorliegens einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG rechtfertigt, ist daher mangels der erforderlichen Feststellungen - welche die belangte Behörde offenbar in Verkennung der Rechtslage unterlassen hat - derzeit nicht beurteilbar.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens erübrigt sich damit.

Der Vollständigkeit halber wird noch darauf verwiesen, daß laut einer im Verwaltungsakt erliegenden Mitteilung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 21. Oktober 1988 der Beschwerdeführer am 21. Dezember 1983 vom Bezirksgericht Bludenz zur Zl. U 605/83 nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 Tagen, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sein soll. Sollte dies zutreffen, so wäre es zulässig, das dieser Verurteilung zugrunde liegende Verhalten des Beschwerdeführers in die Beurteilung seines Gesamtfehlverhaltens miteinzubeziehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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