VwGH 90/09/0157

VwGH90/09/015713.12.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des A gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 23. August 1990, Zl. 5-212 Sche 39/2-90, betreffend Wiedereinsetzung in Verbindung mit Bestrafung nach Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs2;
ZustG §17 Abs4;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs2;
ZustG §17 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrates Graz vom 13. März 1990 wurde über den Beschwerdeführer als handelsrechtlichen Geschäftsführer der B-GmbH gemäß § 9 VStG 1950 wegen Übertretung des § 3 Abs. 1 AuslBG in mehreren Fällen gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG in Verbindung mit § 16 VStG 1950 eine Geldstrafe von insgesamt S 600.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 42 Tage) verhängt. Dieser Bescheid wurde am 16. März 1990 beim Postamt 8051 Graz hinterlegt.

Am 23. März 1990 legte - nach den Akten des Verwaltungsverfahrens - ein Angestellter des vorher genannten Unternehmens (Mag. R) eine umfassende Vertretungsvollmacht für die gegen den Beschwerdeführer anhängigen bzw. auch für alle allfälligen künftigen Verwaltungsstrafverfahren vor. Die Strafbehörde erster Instanz informierte daraufhin den Vertreter mit Schreiben vom gleichen Tage, zugestellt am 27. März 1990, davon, daß insgesamt vier Straferkenntnisse an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellt worden sind. Hiezu äußerte sich der genannte Vertreter des Beschwerdeführers in einem als "Einspruch" bezeichneten Schriftsatz vom 27. März 1990, in dem er im wesentlichen vorbrachte, diese Straferkenntnisse könnten von ihm nicht behoben werden und müßten neuerlich an ihn zugestellt werden.

Mit Schreiben der Strafbehörde erster Instanz vom 5. April 1990 wurde der Beschwerdeführer im Wege seines Vertreters davon in Kenntnis gesetzt, daß das erstgenannte Straferkenntnis durch Hinterlegung rechtskräftig zugestellt worden ist und daher von ihm der Betrag von insgesamt 660.000,-- binnen 8 Tagen zu zahlen ist.

Daraufhin legte der den Beschwerdeführer auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertretende Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 13. April 1990 seine Bevollmächtigung bei der Strafbehörde erster Instanz vor, erhob gleichzeitig Berufung und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Aufhebung der Vollstreckbarkeit.

Die Berufung wurde von der belangten Behörde ebenso wie der "Einspruch" vom 21. März 1990 mit Bescheid vom 27. Juni 1990 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer unter Verwaltungsgerichtshofzahl 90/09/0126 ebenfalls Beschwerde erhoben.

Über den vorher genannten Wiedereinsetzungsantrag entschied die Strafbehörde erster Instanz mit Bescheid vom 13. Juli 1990 abschlägig.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 in Verbindung mit § 71 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 AVG 1950 sowie § 24 VStG 1950 keine Folge gegeben. Zur Begründung wird nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Spruches weiter ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung vorgebracht, daß der vorher erstgenannte Vertreter keine generelle Vertretungsvollmacht besessen habe. Dieser habe mit Schreiben vom 27. März 1990 mitgeteilt, daß er im gegenständlichen Verwaltungsverfahren nicht vertrete. Zu Recht habe er in diesem Schreiben ausgeführt, daß er ohne Postvollmacht das Straferkenntnis nicht beheben und daher auch keine Berufung erheben könne. Die Frage der Vertretung durch Mag. R sei jedoch für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gar nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Der Wiedereinsetzungsgrund sei ja nicht die Versäumung der Einbringung einer Berufung durch den Vertreter oder den Beschuldigten selbst, sondern der Umstand, daß von der Hinterlegung bzw. davon, daß die Hinterlegung bei der Dienstgeberin des Beschwerdeführers "verschlampt" worden sei, der Beschwerdeführer erst am 9. April 1990 Kenntnis erhalten habe. Der Wiedereinsetzungsgrund sei also, daß die Hinterlegungsanzeige ohne Verschulden des Beschwerdeführers diesem nicht zugekommen sei, sondern erst am 9. April 1990 ihm bzw. seinem Vertreter Mag. R, von diesem Umstand Mitteilung gemacht worden sei. Der Beschwerdeführer sei also durch ein unvorhergesehenes und unverschuldetes Ereignis, nämlich die Nichtausfolgung der Hinterlegungsanzeige durch seinen Dienstgeber, daran gehindert worden, seine Rechte wahrzunehmen und die Berufung auszuführen.

Nach Wiedergabe des § 71 Abs. 1 und 2 sowie des § 72 Abs. 4 AVG 1950 führt die belangte Behörde weiter aus, der Beschwerdeführer habe seine Berufung damit begründet, daß er von der Hinterlegung erst am 9. April 1990 Kenntnis erlangt habe und deshalb ein unvorhergesehenes und unverschuldetes Ereignis vorliege, was einen Wiedereinsetzungsgrund darstelle.

Dieser Ansicht des Beschwerdeführers müsse entgegengehalten werden, daß § 17 Abs. 4 des Zustellgesetzes 1982, BGBl. Nr. 200, bestimme, daß die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung auch dann gültig sei, wenn die im Abs.2 oder die im § 21 Abs. 2 genannte Verständigung (Hinterlegungsanzeige) beschädigt oder entfernt worden sei. Gemäß § 17 Abs. 2 des Zustellgesetzes sei von der Hinterlegung der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung sei in dem für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich sei, an der Eingangstüre anzubringen. Sie habe den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

Aus dieser gesetzlichen Regelung sei nach Ansicht der belangten Behörde eindeutig ersichtlich, daß eine derartige "Verschlampung", wie sie der Beschwerdeführer vorbringe, in der Verschuldenssphäre des Beschwerdeführers liege (analoge "Auslegung" des § 17 Abs. 4 des Zustellgesetzes). Wenn eine derartige Hinterlegungsanzeige verloren gehe, so trage das Risiko einer Fristversäumung der Beschwerdeführer.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird. Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Im Beschwerdefall ist sachverhaltsmäßig unbestritten, daß das dem Verfahren zugrundeliegende Straferkenntnis am 16. März 1990 hinterlegt worden ist; weiters, daß der seinerzeitige Vertreter des Beschwerdeführers Mag. R mit Schreiben vom 27. März 1990 "Einspruch" erhoben hat und daß der nunmehrige Beschwerdevertreter mit Schreiben vom 13. April 1990, eingelangt bei der Strafbehörde erster Instanz am 17. April 1990, unter anderem Wiedereinsetzung beantragt hat.

Der Beschwerdeführer bringt - im wesentlichen in Übereinstimmung mit den Ausführungen im Verwaltungsverfahren - vor, daß ihm von der Hinterlegung keine Mitteilung gemacht worden sei und vergessen worden sei, ihm die Hinterlegungsanzeige auszufolgen. Von diesem Wiedereinsetzungsgrund habe sein damaliger Vertreter erst am 9. April 1990 Kenntnis erlangt.

Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trifft das Verschulden des Parteienvertreters die Partei (vgl. z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. April 1979, Zl. 3221, 3222/78). Die Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages nach § 71 Abs. 2 AVG 1950 ist ab Kenntnis der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels zu berechnen (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1983, Zl. 82/06/0056, Slg. N.F. Nr. 10109/A).

Die belangte Behörde verneint das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 von vornherein schon deshalb, weil § 17 Abs. 4 des Zustellgesetzes zeige, daß das Risiko einer Fristversäumnis bei Verlust einer Hinterlegungsanzeige der Empfänger zu tragen habe; eine analoge Anwendung dieser Regelung des Zustellgesetzes bewirke, daß eine derartige "Verschlampung" wie im Beschwerdefall in der Verschuldensphäre des Beschwerdeführers liege.

Diese Rechtsansicht der belangten Behörde teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht. Die von der belangten Behörde aus der vorher angesprochenen Regelung des Zustellgesetzes gezogene analoge Schlußfolgerung für den Bereich der Wiedereinsetzung ist unzulässig. Der Regelung des § 17 Abs. 4 des Zustellgesetzes kommt in diesem Zusammenhang nur die Bedeutung zu, daß die Zustellung auch bei Verlust der Hinterlegungsanzeige als erfolgt und damit der Bescheid als erlassen gilt. Damit ist überhaupt erst der Raum für einen allfälligen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand frei (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1986, Zl. 84/01/0023).

Für eine analoge Heranziehung des § 17 Abs. 4 Zustellgesetz zur Beurteilung dessen, ob im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis den Beschwerdeführer ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert hat, sieht der Verwaltungsgerichtshof - sowohl ausgehend vom Gesetzeswortlaut als auch unter Beachtung der Bedeutung des Rechtsbehelfes der Wiedereinsetzung - keinen Anhaltspunkt.

Da die belangte Behörde ausgehend von der unrichtigen Rechtsauffassung, aus § 17 Abs. 4 des Zustellgesetzes folge, daß jegliches Risiko der Fristversäumnis im Zusammenhang mit dem "Verkommen" einer Hinterlegungsanzeige im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 von vornherein dem Verschulden des Empfängers zuzurechnen sei, jegliche Erhebungen und Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes hinsichtlich des Vorliegens der im § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 normierten Tatbestandsvoraussetzungen unterlassen hat, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 206/1989. Soweit in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes genannt sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte