VwGH 89/15/0115

VwGH89/15/011521.5.1990

A und Sohn OHG gegen Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat) vom 12. Juli 1989, Zl. B 61 - 4/86, betreffend Umsatzsteuer 1984

Normen

BAO §26 Abs1;
BAO §280;
MeldeG 1972 §1;
UStG 1972 §7 Abs1 Z1 lita;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;
BAO §26 Abs1;
BAO §280;
MeldeG 1972 §1;
UStG 1972 §7 Abs1 Z1 lita;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die ein Kraftfahrzeughandelsunternehmen betreibt, hatte im Jahre 1984 verrechnete Entgelte aus der Veräußerung von Kraftfahrzeugen an MH und ES im Betrage von S 646.969,-- bzw. S 577.336,50 in ihrer Umsatzsteuererklärung für 1984 als Entgelte aus gemäß § 6 Z. 1 UStG 1972 steuerfreien Ausfuhrlieferungen erklärt. Das Finanzamt veranlagte die Beschwerdeführerin erklärungsgemäß zur Umsatzsteuer und behandelte die erwähnten Entgelte als steuerfrei.

Anläßlich einer im Jahre 1986 durchgeführten Betriebsprüfung wurden u.a. folgende Feststellungen getroffen:

Im Fall H sei das Fahrzeug am 6. Dezember 1984 aus dem Zollfreilager an H, der in Klagenfurt polizeilich gemeldet sei, geliefert und ohne Entrichtung des Zolles dem Eingangsvormerkverfahren unterzogen worden. Es sei von der Polizeidirektion Klagenfurt auf ein Jahr befristet zum Verkehr zugelassen worden. Am 22. Jänner 1985 sei es in die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt und dort zum Verkehr zugelassen worden. Ein Ausfuhrnachweis liege nicht vor. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Steuerfreiheit sei wegen eines im Inland gelegenen Wohnsitzes des Abnehmers zu versagen.

Im Fall S sei das Fahrzeug am 27. Dezember 1984 aus dem Zollfreilager geliefert und ohne Entrichtung des Zolles dem Eingangsvormerkverfahren unterzogen worden. Es sei eine zollamtliche Ausweiskarte für die vorübergehende Zulassung zum Verkehr im Inland ausgestellt worden. Ein Ausfuhrnachweis sei nicht erbracht worden; eine Bestätigung der DB AG, wonach das Fahrzeug im Juni 1985 in die USA eingeführt worden sei, könne den Ausfuhrnachweis nicht ersetzen. Für diese Lieferung sei wegen des Fehlens des Ausfuhrnachweises die Steuerfreiheit nicht gegeben.

Das Finanzamt nahm das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für 1984 wieder auf. Bei der Festsetzung der Umsatzsteuer folgte es der wiedergegebenen Auffassung des Betriebsprüfers.

In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, H sei tatsächlich in Klagenfurt gemeldet; dabei handle es sich um seinen "Jugendwohnsitz". An der angegebenen Anschrift wohne seine Mutter, die er "zu allen heiligen Zeiten" besuche; zu diesen Besuchstagen lebe er mit ihr zusammen. Er selbst arbeite in Deutschland. Den Fall S betreffend sei es richtig, daß kein "österreichischer Ausfuhrnachweis" vorhanden sei. Es gebe jedoch "Einfuhrnachweise der Länder, in die das Auto exportiert" worden sei.

Zur Stellungnahme des Betriebsprüfers, wonach H seit 1954 in Klagenfurt gemeldet sei und im Jahr 1979 der Meldebehörde bekanntgegeben habe, daß nunmehr sein "Nebenwohnsitz" in Klagenfurt und sein "Hauptwohnsitz" in München liege, äußerte sich die Beschwerdeführerin nach entsprechendem Vorhalt dahin, daß "eine polizeiliche Wohnsitzanmeldung zu wenig" sei.

Die Beratung und Abstimmung des Berufungssenates fand am 26. April 1989 statt. Am 23. Mai 1989 übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde die Fälle H und S betreffend je eine vom 17. Mai 1989 datierte Ausfuhrbescheinigung für Umsatzsteuerzwecke (Lager-Nr. U 34), eine Rechnung der Beschwerdeführerin und eine Warenerklärung zum Eingangsvormerkverkehr.

Mit dem angefochtenen Bescheid, der am 12. Juli 1989 ausgefertigt und am 28. Juli 1989 dem Vertreter der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, wies die belangte Behörde u. a. die Berufung gegen den die Umsatzsteuer 1984 betreffenden Bescheid als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, ein Abnehmer, der (auch) einen inländischen Wohnsitz habe, sei kein ausländischer Abnehmer im Sinne des § 7 UStG 1972. Eine Ausfuhrlieferung im Sinne der zitierten Vorschrift setze überdies nicht nur einen ausländischen Abnehmer, sondern zudem die Verbringung des Gegenstandes ins Ausland in Erfüllung des Umsatzgeschäftes und die Erbringung eines den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Ausfuhrnachweises voraus. Im Fall H könne dem Berufungsbegehren schon deshalb nicht entsprochen werden, weil die Beschwerdeführerin zum Vorhalt, daß H nach eigenen Angaben gegenüber der Meldebehörde in Klagenfurt seinen "Nebenwohnsitz", habe, nicht Stellung genommen habe. Auch im Fall S könne die Steuerfreiheit nicht gewährt werden, da der Ausfuhrnachweis, der zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit zähle, nicht erbracht worden sei.

Gegen den die Umsatzsteuer für 1984 betreffenden Teil des oben angeführten Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde. Als Verletzung von Verfahrensvorschriften wird geltend gemacht, daß die belangte Behörde auf die noch im Rahmen des Berufungsverfahrens vorgelegten Ausfuhrnachweise nicht Bedacht genommen habe. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerdeführerin in dem Umstand, daß die belangte Behörde aus einer "polizeilichen Meldung" auf einen inländischen Wohnsitz geschlossen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 UStG 1972 liegt eine Ausfuhrlieferung im Sinne des § 6 Z. 1 nur vor, wenn

1. der Unternehmer das Umsatzgeschäft, das seiner Lieferung zugrunde liegt, mit einem ausländischen Abnehmer abgeschlossen hat,

2. der Gegenstand in Erfüllung dieses Umsatzgeschäftes in das Ausland befördert oder versendet worden ist,

3. diese beiden Voraussetzungen buchmäßig (§ 18 Abs. 8) nachgewiesen sind, und

4. die Versendung oder Beförderung in das Ausland gemäß den Vorschriften der Abs. 2 und 3 des § 7 nachgewiesen wurde.

Im Fall H hat die belangte Behörde die Auffassung vertreten, eine Ausfuhrlieferung im Sinne des § 7 UStG 1972 liege schon deshalb nicht vor, weil H (auch) einen inländischen Wohnsitz habe.

Nach § 7 Abs.1 Z. 1 lit. a UStG 1972 ist ausländischer Abnehmer ein Abnehmer, der seinen Wohnsitz (Sitz) außerhalb des Bundesgebietes hat. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen, daß ein Abnehmer, der neben seinem ausländischen Wohnsitz auch über einen inländischen Wohnsitz (Doppelwohnsitz) verfügt, kein ausländischer Abnehmer im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 1 lit. a UStG 1972 ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juni 1987, Zl. 86/15/0078, und vom 16. März 1989, Zl. 88/14/0246).

Der Begriff des Wohnsitzes ist für den Bereich der Abgabenvorschriften in § 26 Abs. 1 BAO geregelt. Danach hat jemand einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Auf die subjektive Absicht und Einstellung, etwa am Ort der Niederlassung zu bleiben, kommt es nicht an; ebensowenig ist erforderlich, daß die Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet. Maßgeblich ist vielmehr das "Innehaben" einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß der Inhaber die Wohnung jederzeit für seinen Wohnbedarf benutzen kann (vgl. die bei Stoll, BAO - Handbuch, 5. Auflage, 71 f, angeführte hg. Rechtsprechung).

Das Vorhandensein einer Wohnung, die H. bei Aufenthalten im Inland für seinen Wohnbedarf benutzen kann, wird von der Beschwerdeführerin, die im Berufungsverfahren dargelegt hat, daß H bei seinen Inlandsaufenthalten in der Wohnung seiner Mutter mit dieser zusammenlebe, gar nicht bestritten. Zwar bildet die Meldung im Sinne des § 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1972 über das polizeiliche Meldewesen (Meldegesetz 1972), BGBl. Nr. 30/1973, weder eine Voraussetzung für die Annahme eines Wohnsitzes noch kann sie für sich alleine diese Annahme begründen; wenn die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung aus der Aufrechterhaltung der behördlichen Meldung in Klagenfurt durch H bei Begründung seines ausländischen Wohnsitzes und der Bekanntgabe, daß in Klagenfurt nunmehr sein "Nebenwohnsitz" liege, gefolgert hat, daß die oben dargelegten Voraussetzungen für die Annahme eines Doppelwohnsitzes vorlägen, kann darin im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Kontrolle der Beweiswürdigung auf ihre Schlüssigkeit schon deshalb kein Verfahrensfehler erkannt werden, weil die Beschwerdeführerin nichts vorgetragen hat, was gegen diese Schlußfolgerung spräche. Die Beschwerdeführerin, die sich darauf beruft, Ausfuhrlieferungen getätigt zu haben, und dafür die Befreiung von der Umsatzsteuer in Anspruch nimmt, wäre aber verpflichtet gewesen, zweifelsfrei nachzuweisen, daß sie das ihrer Lieferung zu Grunde liegende Umsatzgeschäft mit einem ausländischen Abnehmer abgeschlossen hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1987, Zl. 85/15/0214). Es wäre somit ihre Sache gewesen, darzulegen und zu beweisen, daß H ungeachtet der Aufgabe seiner Wohnung in K seine behördliche Meldung aufrechterhielt ("Scheinmeldung"); dies hat sie aber nicht behauptet. Die belangte Behörde hat daher zu Recht H nicht als ausländischen Abnehmer im Sinne des § 7 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972 angesehen. Ob für die Lieferung an ihn ein Ausfuhrnachweis erbracht wurde, ist nicht von Bedeutung, da bereits bei Fehlen einer der oben unter 1. - 4. genannten materiell-rechtlichen Voraussetzungen die Steuerfreiheit zu versagen ist.

Im Fall S hat die belangte Behörde ihren Standpunkt, es lägen die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung im Sinne des § 7 UStG 1972 nicht vor, bisher ausschließlich auf das Fehlen der Ausfuhrbescheinigung gestützt. Sie hat dabei nicht darauf Bedacht genommen, daß die Beschwerdeführerin - zwar nach der Beratung und Abstimmung des Berufungssenates, aber noch vor der Zustellung der Entscheidung - eine offenbar die strittige Lieferung betreffende, vom 17. Mai 1989 datierte Ausfuhrbescheinigung für Umsatzsteuerzwecke (Lager-Nr. U 34) und weitere diesen Geschäftsfall betreffende Urkunden (Rechnung, Warenerklärung zum Eingangsvormerkverkehr) vorgelegt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, daß die Abgabenbehörden zweiter Instanz auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge Bedacht zu nehmen haben, die ihnen bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens, der im Falle einer schriftlichen Erledigung, wie sie auch im Beschwerdefall getroffen wurde, erst mit deren Zustellung erfolgt, zur Kenntnis gelangen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 1981, Zl. 14/2830/80, und vom 25. September 1985, Zl. 84/13/0180).

Ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten, wie er in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift geltend gemacht wird, kann zwar zu einem Zurücktreten der Verpflichtung der Behörde, den Sachverhalt nach allen Richtungen über das von ihr als erwiesen erkannte Maß durch eigene Ermittlungen zu prüfen, führen (vgl. die bei Stoll, aaO 269, angeführte hg. Rechtsprechung), nicht aber zum Unterbleiben der Feststellung von Tatsachen und der Würdigung von Beweismitteln, die vor Abschluß des Verfahrens zur Kenntnis der Behörde gelangen. Auch die ausführlichen Darlegungen in der Gegenschrift, die sich gegen die Beweiskraft der vorliegenden Urkunden richten, vermögen die fehlenden Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen (vgl. die bei Dolp, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage 607 angeführte hg. Rechtsprechung).

Daß die belangte Behörde die übrigen Voraussetzungen der Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung geprüft und das Vorliegen einer oder mehrerer davon verneint hätte, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß sie bei Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Urkunden zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Die fehlende Auseinandersetzung mit den von der Beschwerdeführerin vor Abschluß des Berufungsverfahrens vorgelegten Urkunden bedeuten somit eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Beachtung ein anderer Bescheid hätte ergehen können.

Da der Bescheid eine inhaltliche Trennung nicht zuläßt, mußte er im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Gänze aufgehoben werden, obwohl der Verwaltungsgerichtshof die von der belangten Behörde vertretene Auffassung teilt, daß es sich bei H. nicht um einen ausländischen Abnehmer handelt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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