VwGH 89/14/0196

VwGH89/14/019621.12.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Egger, über die Beschwerde des FF in W, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf als zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt in Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 5. Juni 1989, Zl. 181/3-10/Scho-1989, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §20;
BAO §236 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der eine Tischlerei betreibt, beantragte für Abgabenschuldigkeiten im Betrag von S 146.029,85 eine Abgabennachsicht. Als Begründung führte er im Verwaltungsverfahren vor allem die angespannte wirtschaftliche Lage seines Unternehmens, das Fehlen ausreichender privater Mittel und Existenzgefährdung ins Treffen. Der Beschwerdeführer sei bestrebt, mit sämtlichen Gläubigern einen außergerichtlichen Ausgleich herbeizuführen.

Die belangte Behörde trug dem Nachsichtsansuchen des Beschwerdeführers mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid keine Rechnung. Der zur Nachsicht beantragte Rückstand bestehe nur aus "Automatikabgaben", auf deren Nachsicht ein sehr strenger Maßstab anzulegen sei. Die aus hoher Fremdmittelfinanzierung herrührenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers wären dem Unternehmerrisiko zuzuordnen. Dem außergerichtlichen Ausgleich habe noch kein Gläubiger zugestimmt und bei der bestehenden Überschuldung des Beschwerdeführers hätte eine Abgabennachsicht auch keinen Sanierungseffekt.

Vorliegende Beschwerde macht ausdrücklich nur inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend, weist aber auch auf Verfahrensmängel hin. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde stellt mit dem angefochtenen Bescheid in Abrede, daß die Einhebung der entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers nachzusehenden Abgabenschuldigkeiten im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nur dann, wenn sie die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung bejaht hätte, wäre aber von der Abgabenbehörde eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen gewesen, ob die Abgabenschuldigkeiten nachgesehen werden können (siehe z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0103). Daß die belangte Behörde (schon) das Tatbestandsmerkmal (den unbestimmten Gesetzesbegriff) der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneinte und keine Ermessensentscheidung (mehr) traf, zeigt deutlich das Begründungselement des angefochtenen Bescheides, infolge Fehlens einer unbilligen Härte könne eine Ermessensentscheidung nicht getroffen werden. Damit gehen auch alle Beschwerdeausführungen über das nach § 236 BAO zu übende Ermessen ins Leere.

Bezüglich der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung wird folgendes bemerkt:

Der Beschwerdeführer begehrte, wie auch die Beschwerde zeigt, die Abgabennachsicht, um die Existenz seines Unternehmens und damit auch die seiner Familie zu retten. Es kann nun in der Tat eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO darstellen, wenn die Einhebung von Abgaben die Existenz des Unternehmens des Beschwerdeführers (und damit seiner Familie) gefährdet (hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 1983, Zl. 82/15/0084, Slg. Nr. 5746/F, vom 13. Oktober 1983, Zl. 82/15/0091 und Zl. 82/15/0124, vom 10. April 1985, Zl. 83/13/0135, vom 4. Oktober 1985, Zl. 82/17/0021, vom 23. September 1988, Zl. 85/17/0121, und vom 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0005). Eine solche Unbilligkeit ist jedoch nicht zu unterstellen, wenn sich - z. B. in Anbetracht der Höhe der Überschuldung - an der Existenzgefährdung des Unternehmens nichts ändert, gleichgültig, ob die fraglichen Abgabenschuldigkeiten eingehoben oder nachgesehen werden. Vielmehr muß die wirtschaftliche Existenz gerade durch die Einbringung der gegenständlichen Abgaben gefährdet sein (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1985, Zl. 82/17/0021, und vom 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0005). Eine solche Gefährdung hat aber die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schlüssig verneint, indem sie feststellte, daß die Gewährung der beantragten Nachsicht bei dem bestehenden Ausmaß der Überschuldung des Beschwerdeführers nicht den geringsten Sanierungseffekt herbeiführen, an der Überschuldung und der durch sie bedingten Existenzgefährdung also nichts ändern könnte. Diese Feststellung hat die belangte Behörde zulässigerweise getroffen, wenn man in Rechnung stellt, daß die nachzusehenden Abgabenschuldigkeiten nur S 146.029,85 ausmachen, während die im angefochtenen Bescheid festgehaltene Überschuldung entsprechend dem Vermögensstatus des Unternehmens des Beschwerdeführers zum 28. Februar 1989 mehr als 3,8 Mio S betrug. Diese Zahlen lassen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers durchaus die Aussage zu, daß die begehrte Abgabennachsicht keinen Sanierungseffekt ausgelöst hätte.

Dem Beschwerdeführer ist allerdings insoweit beizupflichten, als im Rahmen eines allgemeinen, quotenmäßigen Forderungsverzichtes (Ausgleiches) ein Verzicht auf die Abgabenforderungen zur Sanierung des Unternehmens mit beitragen und im Falle einer solchen Sanierung die Einhebung der (vollen) Abgabenschuldigkeiten unbillig sein hätte können (siehe das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1983, Zl. 82/15/0084, Slg. Nr. 5746/F). Die Abgabenbehörde ist zur Gewährung einer Abgabennachsicht aber jedenfalls dann nicht verhalten, wenn keine realistische Hoffnung auf einen Ausgleich besteht. Der Beschwerdeführer hat nun zwar in der Berufung Bemühungen um einen außergerichtlichen Ausgleich ins Treffen geführt. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid aber auch fest, daß (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) "nicht die Zusage auch nur eines anderen Gläubigers vorliegt", was die Beschwerde sogar bestätigt. Der Beschwerdeführer meint lediglich, die Bemühungen um einen außergerichtlichen Ausgleich hätten sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch im "Anfangsstadium" befunden. Gegen dieses "Anfangsstadium" spricht allerdings, daß sich der Beschwerdeführer schon am 28. Februar 1989 über ein Sanierungs- und Ausgleichsvermittlungsbüro wegen eines außergerichtlichen Ausgleiches an seine Gläubiger gewandt und ihnen am 7. April 1989 einen Vorschlag für einen außergerichtlichen Ausgleich mit dem Ersuchen unterbreitet hatte, ihm baldigst die Zustimmung zukommen zu lassen. Daß die belangte Behörde, die über das Finanzamt vom Ausgleichsvorschlag unterrichtet war, dann (wie in der Gegenschrift erwähnt) noch mehrere Wochen mit ihrer Entscheidung zuwartete und dem Beschwerdeführer so Gelegenheit bot, einen außergerichtlichen Ausgleich unter allfälliger Einbindung des Abgabengläubigers herbeizuführen, ergibt sich aus dem Tag der Abfassung des angefochtenen Bescheides (5. Juni 1989). Bis zu diesem Tag hatte aber, wie ausgeführt, laut vom Beschwerdeführer bestätigter Feststellung der belangten Behörde noch kein einziger Gläubiger dem Ausgleichsvorschlag des Beschwerdeführers zugestimmt. Nicht einmal für den Zeitpunkt der Beschwerdeführung (6. September 1989) erwähnt der Beschwerdeführer die Annahme des vorgeschlagenen außergerichtlichen Ausgleiches.

Bei der geschilderten Sachlage durfte die belangte Behörde zu Recht davon ausgehen, daß eine Abgabennachsicht nichts an der Existenzgefährdung des Unternehmens des Beschwerdeführers geändert hätte und nur seinen übrigen Gläubigern zugute gekommen wäre. Sie hat daher die Abgabennachsicht zu Recht verweigert.

Es sei aber auch darauf hingewiesen, daß über eine Abgabennachsicht auf Grund der bei der Bescheiderlassung gegebenen Sach- und Rechtslage abzusprechen ist (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0005). Ändert sich (z.B.) die Sachlage, so kann neuerlich um Abgabennachsicht angesucht werden (siehe das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1975, Zl. 919/75). Nach der Lage des Beschwerdefalles und dem Gesagten wäre ein neuerliches Nachsichtsansuchen allenfalls erfolgversprechend, wenn es dem Beschwerdeführer tatsächlich gelingen sollte, einen gerichtlichen Ausgleich (Zwangsausgleich) oder einen außergerichtlichen Ausgleich zustande zu bringen, vorausgesetzt, daß nicht der Ausgleich selbst zur Beseitigung der Existenzgefährdung ausreicht. Aus dieser Sicht ist zum angefochtenen Bescheid folgendes zu sagen:

Der Umstand, daß der nachzusehende Abgabenrückstand aus "Automatikabgaben" besteht, schließt die Annahme einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht aus (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. März 1976, Zl. 1881/75, Slg. Nr. 4960/F), insbesondere dann nicht, wenn die Nachsicht die Existenz des Unternehmens des Beschwerdeführers (und seiner Familie) sichert.

Die belangte Behörde mißt weiters dem der Gewährung einer Abgabennachsicht abträglichen Unternehmerrisiko eine zu weitgehende Bedeutung zu, wenn sie ihm auch die durch zu hohe Fremdfinanzierung entstandenen finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmers (Beschwerdeführers) zuordnet. Denn die Fremdfinanzierung ist nur die mittelbare Ursache für die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens, die nach der zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als solche unmittelbar zu einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu führen vermag.

Zur Beschwerde bleibt noch anzumerken, daß die Tatsache, daß das Unternehmen des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch existent war, nichts darüber besagt, ob diese Existenz gefährdet war und vor allem nicht, ob die Einhebung der fraglichen Abgaben die Existenz gefährdete. Die vermißten Feststellungen der belangten Behörde über den Fortbestand des Unternehmens des Beschwerdeführers waren demnach nicht streitentscheidend.

Der Beschwerdeführer vermochte somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Wien, am 21. Dezember 1989

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