VwGH 89/11/0129

VwGH89/11/012920.2.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte

Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. März 1989, Zl. MA 70-8/196/89, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs1 litf;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs1 litf;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. März 1989 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für die Gruppen B und E gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend für die Dauer von sechs Monaten (vom 7. Februar bis 7. August 1989) entzogen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützte die Annahme, der Beschwerdeführer sei verkehrsunzuverlässig, darauf, daß er mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt, vom 8. November 1988 rechtskräftig schuldig erkannt wurde, am 10. Oktober 1988 um 0.30 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws in Wien auf der Strecke zwischen der Auffahrt Landstraßer Gürtel auf die A 23 und Wien II, Schüttelstraße/Rotundenbrücke, die durch Verbotszeichen gemäß § 52 Z. 10a StVO 1960 kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erheblich überschritten und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach "§ 52 Z. 10a i.V.m. 99/2c StVO" begangen zu haben. Die belangte Behörde stellte fest, daß der Beschwerdeführer damals auf der A 23 zwischen der Zufahrt Landstraßer Gürtel und Abfahrt Zentrum mit einer Geschwindigkeit von 150 bis 160 km/h und in der Folge so schnell gefahren sei, daß ihn der Meldungsleger aus den Augen verloren habe. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei mit seinem Hund, der unter Erstickungsanfällen gelitten habe, zum Tierarzt unterwegs gewesen, sei auf Grund der rechtskräftigen Bestrafung unbeachtlich. Im Hinblick auf das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung handle es sich um ein besonders rücksichtsloses Verhalten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Aus dem selben Grund seien auch besonders gefährliche Verhältnisse anzunehmen gewesen.

Es kann im vorliegenden Beschwerdefall dahinstehen, ob auf Grund der Zitierung des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 in der genannten Strafverfügung für die Kraftfahrbehörden bindend feststand, daß eine bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit indizierende Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vorliegt. Die belangte Behörde hat sich nämlich zusätzlich mit dem in Rede stehenden Verhalten des Beschwerdeführers vom 10. Oktober 1988 auseinandergesetzt und begründet, worin sie die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Staßenbenützern und die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bei Begehung der Übertretung erblickt.

Der Auffassung der belangten Behörde kann allerdings hinsichtlich des Tatbestandselementes der besonderen Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern nicht beigetreten werden, weil es sich bei den Ausführungen im angefochtenen Bescheid, daß "auf der Südost-Tangente auch zur Tatzeit (00.30 Uhr) noch ein gewisses Verkehrsaufkommen herrscht", nicht um konkrete Feststellungen über das Vorhandensein anderer Straßenbenützer zur Tatzeit handelt. Kann sohin nicht davon ausgegangen werden, daß andere Straßenbenützer im Nahbereich des vom Beschwerdeführer gelenkten Pkws vorhanden waren, dann kann dem Beschwerdeführer auch nicht mangelnde Rücksichtnahme auf andere Straßenbenützer vorgeworfen werden (vgl. das Erkenntnis vom 22. September 1989, Zl. 89/11/0073, mit weiteren Judikaturhinweisen). Entgegen der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung der belangten Behörde kann auch nicht von einem besonders rücksichtslosen Verhalten gegenüber dem Lenker des Streifenwagens gesprochen werden, der zunächst vergeblich versucht hat, den Beschwerdeführer einzuholen.

Von besonders gefährlichen Verhältnissen im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 kann nur dann gesprochen werden, wenn zu dem - an sich bereits unter gefährlichen Verhältnissen begangenen - Verstoß gegen Verkehrsvorschriften noch ein weiteres, die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse begründendes Sachverhaltselement hinzutritt (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juni 1989, Zl. 89/11/0061, mit weiteren Judikaturhinweisen). Als solches kommen bei Überschreitungen zulässiger Höchstgeschwindigkeiten insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit, starkes Verkehrsaufkommen sowie der Verlauf und die Breite der Straße in Betracht. Diese Sachverhaltselemente sind aber nicht losgelöst vom konkreten Fahrverhalten, insbesondere der Fahrgeschwindigkeit, zu beurteilen. Die Fahrgeschwindigkeit ist zu den genannten zusätzlichen Sachverhaltselementen in Beziehung zu setzen. Es kann somit nicht ohne weiteres gesagt werden, daß ein bestimmtes Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - prozentuell oder absolut - allein schon das Tatbestandsmerkmal der besonders gefährlichen Verhältnisse erfüllt; es ist jedoch im Rahmen der geschilderten Gesamtbewertung der Begleitumstände einer Geschwindigkeitsüberschreitung von großer Bedeutung.

Im Lichte dieser Überlegungen hält die Annahme der belangten Behörde, der Vorfall vom 10. Oktober 1988 sei unter besonders gefährlichen Verhältnissen geschehen, der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung stand. Das vom Beschwerdeführer befahrene Straßenstück der A 23 liegt in jenem Teil dieser Autobahn, in dem sich mehrere Kurven und in kurzer Aufeinanderfolge Zufahrten und Abfahrten befinden. So passierte der Beschwerdeführer ab der Zufahrt Landstraße (Gürtel) die Abfahrt und Zufahrt St. Marx und kurz vor der Abfahrt Richtung Zentrum noch eine Zufahrt. Auf dem folgenden Straßenstück hatte sich der Beschwerdeführer unter Beachtung des Verkehrs auf der A 4 auf einen der in Richtung Zentrum führenden Fahrstreifen einzuordnen und befuhr in die Folge die Schüttelstraße, in der vor der Rotundenbrücke von rechts in kurzen Abständen mehrere Straßen einmünden.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht das von der belangten Behörde festgestellte Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, stellt sich aber auf den Standpunkt, daß besonders gefährliche Verhältnisse nicht vorgelegen seien. Seine Auffassung, daß das von ihm befahrene Stück der A 23 von der Bauart her geeignet sei, mit "Geschwindigkeiten von 130 km/h, bzw. wesentlich mehr", befahren zu werden, kann im Hinblick auf die oben beschriebenen, gerichtsbekannten Straßenverhältnisse nicht geteilt werden. Seine Behauptung, zwischen der Zufahrt Landstraße (Gürtel) und der Abfahrt Richtung Zentrum gebe es keine Zu- und Abfahrten, ist unrichtig. Gegen die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse spricht auch nicht der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Umstand, daß sich (unter Zugrundelegung einer mittleren Bremsverzögerung von 6,5 bis 7,5 m/sec2) ein Anhalteweg von ca. 167 m ergibt und der von der belangten Behörde genannte Anhalteweg von 270 m nur bei ungünstigen Reaktions- oder Bremsverzögerungswerten richtig sein kann. Wäre der Beschwerdeführer nur mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefahren, hätte sich (unter Zugrundelegung der von ihm angenommenen Reaktionszeit und Bremsverzögerungswerte) ein Anhalteweg von nur 58 m ergeben. Dieser Unterschied der Anhaltewege im Zusammenhalt mit den oben beschriebenen Straßenverhältnissen rechtfertigt den rechtlichen Schluß der belangten Behörde, daß die vom Beschwerdeführer begangene Geschwindigkeitsüberschreitung unter besonders gefährlichen Verhältnissen erfolgt ist. Es liegt somit eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vor.

Gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 sind für die Wertung der bestimmten Tatsachen bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend. Im Rahmen des Wertungskriteriums der Verwerflichkeit fällt zum Nachteil des Beschwerdeführers besonders ins Gewicht, daß er sechs Vorstrafen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen aufweist, davon fünf aus den Jahren 1987 und 1988, woraus geschlossen werden kann, daß bei ihm eine starke Neigung zur Begehung derartiger Delikte bestand und ihn auch wiederholte Bestrafungen nicht von der Begehung weiterer derartiger Delikte abhalten konnten. Im Zusammenhang mit dem Wertungskriterium der Gefährlichkeit der Verhältnisse ist zu berücksichtigen, daß dann, wenn eine bestimmte Tatsache deshalb vorliegt, weil der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen gegen die für das Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat, sich aus dem Vorliegen einer solchen Tatsache bereits unmittelbar die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967 ergibt (siehe die Erkenntnisse vom 24. September 1984, Zl. 83/11/0271, und vom 24. Oktober 1989, Zl. 88/11/0229). Die seit der Tat verstrichene Zeit (weniger als vier Monate bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides) ist zu kurz, um einen für den Beschwerdeführer günstigen Ausschlag zu geben, zumal während dieser Zeit das Verwaltungsstrafverfahren (von dem der Beschwerdeführer auf Grund seiner Anhaltung nach der Tat unter Verständigung von der Anzeige Kenntnis hatte) durchgeführt wurde. Im Hinblick auf diese Wertungskriterien hat die belangte Behörde mit Recht die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers angenommen. Diese Wertungskriterien wurden auch bei der gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 2 KFG 1967 festzusetzenden Zeit, für die die Lenkerberechtigung vorübergehend entzogen wird, ausreichend berücksichtigt, wobei insbesondere die große Zahl einschlägiger Vorstrafen gegen die Festsetzung einer kürzeren Zeit gesprochen hat.

Der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde habe zu Unrecht den 7. Februar 1989 als Beginn der Entziehungszeit festgesetzt, weil der erstinstanzliche Bescheid bereits am 6. Februar 1989 hinterlegt worden sei und die Hinterlegung die Wirkung der Zustellung habe. Es genügt in diesem Zusammenhang, den Beschwerdeführer auf § 17 Abs. 3 dritter Satz Zustellgesetz hinzuweisen, wonach hinterlegte Sendungen mit dem ersten Tag der Abholfrist - das war im vorliegenden Fall der 7. Februar 1989 - als zugestellt gelten. Auf den Tag der Hinterlegung kommt es somit nicht an.

Die Auffassung des Beschwerdeführers, das Ende der Frist wäre jedenfalls um einen Tag vorzuverlegen, ist ebenfalls verfehlt, weil eine nach Monaten bestimmte Frist mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monates endet, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a und Art. 4 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen samt Erklärung der Republik Österreich, BGBl. Nr. 254/1983; zur unmittelbaren Anwendbarkeit dieses Übereinkommens vgl. hg. Erkenntnis vom 4. Juli 1989, Zl. 88/08/0089). Da das KFG 1967 keine andere Berechnungsweise der Fristen vorsieht, war im Hinblick auf den Fristbeginn am 7. Februar 1989 der 7. August 1989 als Ende der Entziehungszeit von 6 Monaten zu bestimmen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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