Normen
ASVG §113 Abs1 idF 1986/111;
ASVG §113 Abs1;
ASVG §59 idF 1986/111;
ASVG §59;
AVG §66 Abs4;
VStG §51 Abs4;
ASVG §113 Abs1 idF 1986/111;
ASVG §113 Abs1;
ASVG §59 idF 1986/111;
ASVG §59;
AVG §66 Abs4;
VStG §51 Abs4;
Spruch:
Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. MIT BESCHEID VOM 29. MÄRZ 1988 hat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse der mitbeteiligten Partei als Dienstgeber im Sinne des § 35 ASVG gemäß § 113 Abs. 1 ASVG einen Beitragszuschlag in der Höhe von S 27.000,-- vorgeschrieben. Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Beschwerdeführerin vom 24. November bis 14. Dezember 1987 gemäß § 42 ASVG bei der mitbeteiligten Partei eine Beitragsprüfung durchgeführt. Dabei sei festgestellt worden, daß die mitbeteiligte Partei im überprüften Zeitraum Jänner 1983 bis Dezember 1986 gegen die Meldevorschriften verstoßen habe.
Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Einspruch.
1.2. Diesem Einspruch wurde mit dem ANGEFOCHTENEN BESCHEID VOM 18. MAI 1989 Folge gegeben und der Bescheid der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 behoben. In der Begründung des angefochtenen Bescheides weist die belangte Behörde zunächst darauf hin, daß die Beschwerdeführerin die Höhe der Verzugszinsen hinsichtlich der nachverrechneten Beiträge mit S 68.715,32 bekanntgegeben habe. § 113 Abs. 1 ASVG räume dem Sozialversicherungsträger die Möglichkeit der Vorschreibung eines Beitragszuschlages unter der Verzugszinsenhöhe - wie dies gegenständlich der Fall sei - nicht ein. Der (im Einspruchsverfahren nachgetragenen) Rechtsmeinung der Beschwerdeführerin, sie sei bei der Vorschreibung des Beitragszuschlages von einer pauschal herabgesetzten Höhe der Verzugszinsen im Sinne des § 59 Abs. 2 ASVG ausgegangen, um auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners Bedacht zu nehmen, vermöge die belangte Behörde ebensowenig zu folgen, wie der von der Beschwerdeführerin abschließend beantragten Vorschreibung eines Beitragszuschlages von S 68.715,30 anstelle des ursprünglichen Zuschlages von S 27.000,-- für den Fall, daß sich die belangte Behörde der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht anschließen könne. Der normative Gehalt des von der Beschwerdeführerin getroffenen bescheidmäßigen Abspruchs gehe nämlich dahin, daß die Beschwerdeführerin bei der Vorschreibung des Zuschlages eindeutig von den Bestimmungen des § 113 Abs. 1 ASVG ausgegangen und weder dem Spruch noch der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zu entnehmen sei, daß sie sich bei ihrer Entscheidung von den nunmehr von ihr zitierten Regelungen des § 59 ASVG hätte leiten lassen. Der belangten Behörde sei es daher verwehrt, der auf § 113 Abs. 1 ASVG basierenden erstinstanzlichen Entscheidung nach ihrer Anfechtung im angefochtenen Bescheid die Gesetzesstelle des § 59 ASVG zugrunde zu legen. Den Ausführungen der Beschwerdeführerin sei unmißverständlich zu entnehmen, daß eine entsprechende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der mitbeteiligten Partei nur eine "Sanktion unter der Verzugszinsenhöhe zur Folge haben" könne. Eine solche Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse könne im Rahmen des § 113 Abs. 1 ASVG - wie sich aus dessen klaren Wortlaut ergebe - nicht stattfinden. Eine entsprechende Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Situation des Beitragsschuldners lasse jedoch die im § 59 Abs. 2 ASVG eingeräumte Vorgangsweise zu. Danach könne der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn die in dieser Gesetzesstelle aufgestellten Voraussetzungen vorlägen. Ein Beitragszuschlag nach § 113 Abs. 1 ASVG hätte somit im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der mitbeteiligten Partei, deren Berücksichtigung nach Auffassung der Beschwerdeführerin eine "Sanktion in Verzugszinsenhöhe" nicht rechtfertige, nicht vorgeschrieben werden dürfen.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Partei hat sich am Beschwerdeverfahren
nicht beteiligt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gemäß § 113 Abs. 1 ASVG (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des Art. I Z. 33 der 41. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 111/1986) können Beitragszuschläge den in § 111 ASVG genannten Personen (Stellen) in den dort unter Ziffer 1 bis 3 näher umschriebenen Fällen vorgeschrieben werden. Die beiden letzten Sätze dieser Gesetzesbestimmung lauten:
"Bei der Festsetzung des Beitragszuschlages hat der Versicherungsträger insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners und die Art des Meldeverstoßes zu berücksichtigen. Der Beitragszuschlag darf jedoch die Höhe der Verzugszinsen nicht unterschreiten, die ohne seine Vorschreibung aufgrund des § 59 Abs. 1 für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären."
Gemäß § 59 Abs. 1 ASVG sind von rückständigen Beiträgen Verzugszinsen in einem dort näher geregelten Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten, wenn nicht gemäß § 113 Abs. 1 ASVG ein Beitragszuschlag vorgeschrieben wird. Gemäß § 59 Abs. 2 ASVG kann der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn durch ihre Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären. Die Verzugszinsen können überdies nachgesehen werden, wenn es sich um einen kurzfristigen Zahlungsverzug handelt und der Beitragsschuldner ansonsten regelmäßig seine Beitragspflicht erfüllt hat.
2.2. Wie aus den vorgelegten Verwaltungsakten und den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingelangten Schriftsätzen ersichtlich ist, bestehen zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, betreffend die Auslegung der zitierten Gesetzesbestimmungen, folgende Auffassungsunterschiede:
2.2.1. Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse vertritt die Auffassung, daß die im § 113 Abs. 1 letzter Satz ASVG mit der Höhe der Verzugszinsen festgelegte Untergrenze für den Beitragszuschlag es gestatte, nicht nur die gemäß § 59 Abs. 1 ASVG ermittelte Höhe der Verzugszinsen der Bemessung des Beitragszuschlages zugrunde zu legen, sondern - für den Fall, daß die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen - auch die ermäßigte Verzugszinsenhöhe gemäß § 59 Abs. 2 leg. cit. 2.2.2. Die belangte Behörde ist hingegen der Auffassung, daß die Festsetzung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 ASVG aufgrund des klaren Wortlautes dieser Gesetzesbestimmung nur die Alternative zulasse, entweder einen Beitragszuschlag in der Mindesthöhe des § 59 Abs. 1 ASVG zu verhängen, oder von der Verhängung eines Beitragszuschlages überhaupt Abstand zu nehmen. Nur im letztgenannten Fall darf nach Auffassung der belangten Behörde der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die in § 59 Abs. 2 ASVG eingeräumte Vorgangsweise einschlagen. Da die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall von entsprechend berücksichtigungswürdigen wirtschaftlichen Verhältnissen der mitbeteiligten Partei ausgegangen ist, deren Berücksichtigung die belangte Behörde im Rahmen des § 113 Abs. 1 ASVG aber für nicht zulässig hält, erachtete die belangte Behörde unter diesen Umständen die Verhängung eines Beitragszuschlages für nicht zulässig.
2.3. Wie der Verwaltungsgerichtshof unter anderem in seinem Erkenntnis vom 24. Oktober 1989, Zl. 89/08/0189, AW 89/08/0039, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur ausgeführt hat, ist der Beitragszuschlag nach § 113 Abs. 1 ASVG in der auch hier anzuwendenden Fassung nicht als Verwaltungsstrafe, sondern als eine (neben der Bestrafung nach den §§ 111, 112 ASVG ermöglichte) wegen des durch die Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwandes in der Verwaltung sachlich gerechtfertigte weitere Sanktion für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und damit als ein Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung anzusehen. Demgemäß darf der Beitragszuschlag dann, wenn mit dem festgestellten Meldeverstoß auch eine Beitragsnachentrichtung verbunden ist, - bei Bedachtnahme auf den Regelungszusammenhang des § 113 ASVG mit § 59 ASVG - ähnlich wie nach der alten Rechtslage weder den durch den Meldeverstoß verursachten Verwaltungsmehraufwand zuzüglich der Verzugszinsen infolge der verspäteten Beitragsentrichtung noch das Doppelte der näher umschriebenen Beiträge übersteigen. Er darf aber in solchen Fällen - anders als nach der Rechtslage bis zur 41. Novelle zum ASVG - nach dem klaren Wortlaut des § 113 Abs. 1 ASVG , unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beitragsschuldners und der Art des Meldeverstoßes auch eine Untergrenze, nämlich die Höhe der Verzugszinsen, die ohne seine Vorschreibung aufgrund des § 59 Abs. 1 ASVG für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären, nicht unterschreiten. Der Art des Meldeverstoßes und damit dem Verschulden des Meldepflichtigen an diesem Verstoß kommt - neben anderen Umständen, wie z.B. den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beitragsschuldners - nur bei der Ermessensübung INNERHALB der objektiven Grenzen Bedeutung zu. Dieser Regelungsinhalt schließt es auch aus, der Verwendung der Worte "können" bzw. "kann" in § 113 Abs. 1 ASVG die Bedeutung beizumessen, es sei dadurch zumindest in den obgenannten Fällen die Befugnis zu einer Ermessensentscheidung eingeräumt worden: Bei Vorliegen der in § 113 Abs. 1 ASVG genannten Voraussetzungen, nämlich eines Meldeverstoßes, mit dem eine Beitragsnachentrichtung verbunden ist, müßte nämlich andernfalls die genannte Bestimmung im Hinblick auf Art. 18 B-VG als verfassungswidrig beurteilt werden, weil in ihr keine Tatbestandsmerkmale, die für das Absehen von der Verhängung eines Beitragszuschlages maßgebend sein könnten, normiert sind.
Vor dem Hintergrund des obgenannten Zweckes des Rechtsinstitutes des Beitragszuschlages als weitere Sanktion für die Nichteinhaltung der Meldepflichten und damit als Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung ist es auch sachgerecht, daß durch § 113 Abs. 1 letzter Satz ASVG die Anwendung des § 59 Abs. 2 leg. cit. ausgeschlossen wird. Während nämlich § 59 Abs. 1 ASVG die Sanktion der Verzugszinsen schon daran knüpft, daß die Beiträge nicht innerhalb von elf Tagen nach ihrer Fälligkeit eingezahlt werden, erfordert die Verhängung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 ASVG darüber hinaus die Verletzung der dem Beitragsschuldner obliegenden Meldepflicht. Während also in einem Fall (nämlich in jenem des § 59 Abs. 1 ASVG) der Versicherungsträger seine Beitragsforderung zumindest bereits kennt, ist sie ihm in den Fällen des § 113 Abs. 1 ASVG infolge eines Verstoßes gegen die Meldepflichten gar nicht bekannt geworden, wodurch der Versicherungsträger auch nicht in die Lage versetzt worden ist, offene, aber bei Fälligkeit nicht entrichtete Beiträge mit den ihm dafür zur Verfügung gestellten Maßnahmen einzutreiben. Dieser Unterschied im Tatsächlichen rechtfertigt es auch, daß in den Fällen des § 113 Abs. 1 ASVG ein Unterschreiten der gesetzlichen Verzugszinsen im Sinne des § 59 Abs. 2 ASVG anders als bei der zuletzt genannten Gesetzesbestimmung nicht vorgesehen ist (so auch das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1989, Zl. 89/08/0189, AW 89/08/0039, auf welches unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung verwiesen wird).
2.4. Der belangten Behörde ist daher zwar einerseits darin beizupflichten, daß die Beschwerdeführerin nicht berechtigt war, bei Verhängung des Beitragszuschlages die sich aus § 59 Abs. 1 ASVG ergebende Grenze zu unterschreiten. Dies bedeutet jedoch - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - keineswegs, daß angesichts der wirtschaftlichen Situation der mitbeteiligten Partei die Beschwerdeführerin überhaupt keinen Beitragszuschlag verhängen durfte; es ergibt sich aus dem dargelegten Regelungszusammenhang lediglich, daß der Beschwerdeführerin im Falle eines Meldeverstoßes kein Wahlrecht zukommt, ob sie nur Verzugszinsen im Sinne des § 59 Abs. 1 (mit der Möglichkeit des Abs. 2) ASVG vorschreibt oder einen Beitragszuschlag im Sinne des § 113 Abs. 1 ASVG; sie ist vielmehr verpflichtet, von der letztgenannten Gesetzesbestimmung Gebrauch zu machen. Die belangte Behörde durfte daher nicht mit einer Aufhebung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 vorgehen und damit eine Sachentscheidung des Inhaltes treffen, daß die Beschwerdeführerin zu keiner neuerlichen Entscheidung über den Beitragszuschlag berechtigt sei; sie hätte vielmehr von ihrer in § 66 Abs. 4 letzter Satz AVG 1950 normierten Befugnis, den bei ihr bekämpften Bescheid in jeder Richtung abzuändern, Gebrauch machen und für den Fall der Aufrechterhaltung des Rechtsmittels den Beitragszuschlag zumindest in der Höhe der Verzugszinsen festsetzen müssen, zumal dem im Administrativverfahren kein Verschlechterungsverbot (analog § 51 Abs. 4 VStG 1950) entgegensteht (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. N.F. 11237/A).
Dadurch, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
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