Normen
ABGB §273a Abs1;
ASVG §35 Abs1;
AVG §9;
ABGB §273a Abs1;
ASVG §35 Abs1;
AVG §9;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
Begründung
Mit BESCHEID VOM 9. MÄRZ 1988 sprach die mitbeteiligte Tiroler Gebietskrankenkasse aus, daß ihr "die Firma JK und AK" gemäß §§ 49, 51 und 54 ASVG, § 62 Abs. 2 AlVG, § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Einhebung des Wohnbauförderungsbeitrages, § 13 EFZG, § 12 IESG sowie § 19 des Arbeiterkammergesetzes die im Spruch näher bezeichneten, bereits fälligen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten habe. Dann heißt es im Bescheid wörtlich: "Gemäß § 35 Abs. 1 ASVG ist Herr JK" (der Beschwerdeführer) "als Dienstgeber zu betrachten und schuldet gemäß § 58 Abs. 2 ASVG die vorgenannten Beträge".
In der Begründung dieses erstinstanzlichen Bescheides führt die mitbeteiligte Partei aus, daß die Firma "JK und AK" im Jahre 1987 in der Markthalle in S einen Blumenhandel betrieben und in den Monaten Juni bis September 1987 verschiedene Dienstnehmer beschäftigt hätte, für die Sozialversicherungsbeiträge offen seien.
Erhebungen der Kasse bei Frau AK (der Mutter des Beschwerdeführers) hätten ergeben, daß diese zwar bis 31. Dezember 1986 mit 10 % als Gesellschafterin bei der Firma K Blumen GesmbH beteiligt gewesen sei, über eine neue und später eröffnete Firma JK und AK, Blumenhandel, aber nichts wisse und damit auch nichts zu tun habe. In Wahrheit gehöre der Betrieb daher allein dem Beschwerdeführer und sei von diesem auch ohne Mitwirkung anderer Gesellschafter betrieben worden. Der Beschwerdeführer sei daher gemäß § 35 Abs. 1 ASVG als Dienstgeber anzusehen.
Die im Verfahren erhobenen Einwände, der Beschwerdeführer sei schon vor Eröffnung des gegenständlichen Betriebes unter Sachwalterschaft gestellt worden und alle seine Handlungen im Zusammenhang mit der Eröffnung des Betriebes seien nichtig, erachtete die mitbeteiligte Partei als unbeachtlich: die Sachwalterschaft erstrecke sich nur auf den zivilrechtlichen Bereich und könne im öffentlich-rechtlichen Bereich keinerlei Wirkungen entfalten. Tatsache sei, daß der Beschwerdeführer mehrere Dienstnehmer gegen Entgelt beschäftigt habe und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden seien. Eine Nichtigkeit könne in diesem öffentlich-rechtlichen Bereich nicht in Frage kommen, weil die Arbeit geleistet, das Entgelt ausbezahlt worden sei und "jetzt nicht so getan werden kann als wäre dies alles nicht geschehen; auch eine Rückgängigmachung" sei daher nicht möglich. Es sei auch unbillig und geradezu rechtswidrig, wenn die Arbeitnehmer zwar ihre Arbeit hätten leisten müssen, auf die mit der Arbeitsleistung aber automatisch verbundenen Rechte, wie Entgelt, Sozialversicherung und den damit verbundenen Schutz bzw. Anwartschaft auf eine eventuelle Unfallrente oder Pension verzichten müßten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Sachwalter EINSPRUCH. Darin wird im wesentlichen gerügt, daß die Behörde aus den Erklärungen der Mutter des Beschwerdeführers, an einer Firma nicht beteiligt zu sein, zu Unrecht den Umkehrschluß gezogen habe, daß der Betrieb auf Rechnung des Beschwerdeführers geführt werde und er als Dienstgeber anzusehen sei. Aufgrund eines Beschlusses des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 5. Februar 1986 sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer unter so schweren gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen leide, daß er nicht mehr in der Lage sei, seine Vermögensverhältnisse und sonstigen finanziellen Fragen ohne die Gefahr schwerer Nachteile für ihn selbst zu regeln. Er sei daher in allen geschäftlichen Dingen und in Fragen seiner Einkommens- und Vermögensverwaltung geschäftsunfähig. Aus diesem Umstand resultiere, daß der Beschwerdeführer im Jahre 1987 weder tatsächlich noch rechtlich in der Lage gewesen sei, einen Betrieb zu führen oder auf seine Rechnung führen zu lassen, noch irgendwelche verbindliche rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben. Der Beschwerdeführer sei daher auch insbesondere nicht in der Lage, einen verbindlichen Dienstvertrag, sei es mündlich oder schriftlich, mit irgendwelchen Arbeitnehmern abzuschließen. Aus diesem Grunde sei auch kein rechtsgültiges Beschäftigungsverhältnis mit irgendwelchen Dienstnehmern zustande gekommen. Mangels rechtlich relevanten Handelns des Beschwerdeführers (eine Zustimmung durch den Sachwalter bzw. Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht sei weder behauptet worden, noch liege derartiges vor) habe daher weder jemals ein Betrieb existiert, welcher auf Rechnung des Beschwerdeführers geführt worden sei, noch habe es Beschäftigungsverhältnisse mit Dienstnehmern gegeben. Da das öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnis und die daraus resultierende Beitragspflicht nach den Bestimmungen des ASVG an den Bestand eines rechtsgültigen zivilrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses geknüpft sei und nicht davon unabhängig entstehen könne, gebe es im gegenständlichen Fall kein Versicherungsverhältnis, welches eine Beitragspflicht auslösen könne. Die Frage, ob es im öffentlich-rechtlichen Bereich eine Nichtigkeit mangels Geschäftsfähigkeit gebe oder nicht, könne daher dahingestellt bleiben. Eine andere Beurteilung würde auch dem Schutzgedanken der Sachwalterschaft vollkommen zuwiderlaufen, da der Betroffene ja gerade durch die Eröffnung der Sachwalterschaft vor Schaden aus seinem Unvermögen bewahrt werden solle.
Mit dem ANGEFOCHTENEN BESCHEID wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers nur insoweit Folge gegeben, als im erstinstanzlichen Bescheid anstelle des Satzteiles "die Firma JK und AK, Blumenhandel" die Wortfolge "Herr JK" gesetzt wurde. Im übrigen wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen.
Nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens geht die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, daß der Beschwerdeführer nicht die den Schlußfolgerungen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zugrundeliegenden Erhebungen bestreite, wonach eine Firma JK und AK, Blumenhandel, im Jahre 1987 überhaupt nicht existiert habe, da sich die Mutter des Beschwerdeführers nie an einer derartigen Firma beteiligt habe, sodaß der Betrieb alleine dem Beschwerdeführer gehöre. Es sei "somit davon auszugehen, daß der 'Betrieb' im Jahre 1987 allein von Herrn JK geführt" worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung komme es aber bei der Beurteilung der Frage, auf wessen Rechnung der Betrieb geführt werde, nur darauf an, wer aus den im Betrieb getätigten Geschäften berechtigt und verpflichtet werde, und nicht darauf, daß die tatsächliche Betriebsführung durch diese Person erfolge. Für die Dienstgebereigenschaft einer Person sei es auch nicht wesentlich, daß sie Vertragspartner des Beschäftigten sei. Vielmehr sei es entscheidend, daß ihr - unabhängig von rechtlichen Beziehungen zum Versicherten und unabhängig von der wirtschaftlichen Belastung durch das Entgelt - das Risiko des Betriebes rechtlich zurechenbar sei. Unter diesen Gesichtspunkten ergebe sich zwingend die Dienstgebereigenschaft des Beschwerdeführers, da dieser (wörtlich)
"einerseits, aus welchem Vermögen immer, die Kosten für die Betriebsführung, insbesondere für die Entlohnung der Dienstnehmer bestritt, während er andererseits in den Genuß des Erlöses der in seinem Betrieb verkauften Waren gelangte. Gegenteilige Behauptungen hat nicht einmal der Einspruchswerber selbst vorgebracht. Es ist somit unzweifelhaft, daß Herr JK - mit oder ohne Wissen und Zustimmung seiner Sachwalterin - sich bei der Führung des gegenständlichen Betriebes berechtigt und verpflichtet hat bzw. aus dieser Betriebsführung tatsächlich berechtigt und verpflichtet wurde";
unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer zum Abschluß von formellen Dienstverträgen berechtigt oder befähigt gewesen sei, habe er jedenfalls die Dienste "seiner Mitarbeiter in Anspruch genommen und auch honoriert, sodaß zumindest de facto Beschäftigungsverhältnisse entstanden" seien. Damit würden unabhängig vom Parteiwillen die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Pflichtversicherung und die Beitragspflicht eintreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und mitgeteilt, daß sie auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichte. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG sind die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer vollversichert.
Gemäß § 35 Abs. 1 ASVG gilt als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter anstelle des Entgeltes verweist.
2.2. In der Beschwerde wird (sinngemäß) die Auffassung vertreten, daß aufgrund der für den Beschwerdeführer erfolgten Bestellung eines Sachwalters von der Geschäftsunfähigkeit des Beschwerdeführers im Bereich der Einkommens- und Vermögensverwaltung auszugehen sei. Entgegen der im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung sei die Geschäftsfähigkeit des Beschwerdeführers für die Frage, ob er Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG sein könne (und er daher die ihm gemäß § 58 Abs. 2 ASVG vorgeschriebenen Beiträge schulde), von Bedeutung. Aus der Unfähigkeit des Beschwerdeführers, Geschäfte abzuschließen, aus welchen er berechtigt und verpflichtet werde, folge auch die rechtliche Unmöglichkeit einen Betrieb zu führen.
2.3. Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht:
2.3.1. Im grundlegenden Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, Slg. 12325/A, hat der Verwaltungsgerichtshof die Dienstgebereigenschaft im Sinne des § 35 ASVG in Abhängigkeit von der Beantwortung der Frage beurteilt, wer nach RECHTLICHEN (und nicht bloß tatsächlichen) Gesichtspunkten aus den im Betrieb getätigten Geschäften berechtigt und verpflichtet wird, wen also demnach das Risiko des Betriebes im Gesamten unmittelbar trifft.
Für die Dienstgebereigenschaft einer Person sei entscheidend - so heißt es im zitierten Erkenntnis sinngemäß weiter - ob der betreffenden Person im Falle der Führung des Betriebes durch dritte Personen die RECHTLICHE Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Betriebsführung zustehe. Die rechtliche (und nicht die faktische) Seite der Betriebsführung hielt der Verwaltungsgerichtshof vor allem deshalb für ausschlaggebend, weil das ASVG dem Dienstgeber im Sinne des § 35 vielfältig sanktionierte Pflichten im bezug auf das an ein Beschäftigungsverhältnis anknüpfende Versicherungs- und Leistungsverhältnis auferlege, deren Erfüllung zumindest eine rechtliche Einflußnahme auf die Betriebsführung erfordere (vgl. die zahlreichen Hinweise im zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, Slg. Nr. 12325/A, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
2.3.2. Gemäß § 9 AVG 1950 ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist.
Gemäß § 273 a Abs. 1 ABGB kann sich die behinderte Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung (abgesehen vom Fall des § 273 a Abs. 1 Satz zwei und Abs. 2 ABGB) rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten.
§ 282 ABGB bestimmt, daß - soweit nichts anderes bestimmt ist - die Bestimmungen für den Vormund auch für die Rechte und Pflichten des Sachwalters (Kurators) maßgebend sind. Gemäß § 245 ABGB bedarf der Vormund zur Vertretung in Angelegenheiten des § 154 Abs. 2 und 3 der Genehmigung des Gerichtes. Gemäß § 154 Abs. 3 ABGB zählen dazu insbesondere die Gründung, der Erwerb, die Umwandlung, Veräußerung oder Auflösung sowie die Änderung des Gegenstandes eines Unternehmens.
2.3.3. Aus den genannten Rechtsvorschriften ergibt sich, daß der Beschwerdeführer ohne Einwilligung des Sachwalters und - in den Fällen des § 154 Abs. 3 ABGB - ohne Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes ein Unternehmen weder erwerben noch sich aus den mit der Führung eines solchen Unternehmens verbundenen Rechtsgeschäften wirksam verpflichten konnte. Ob aus den "rechtsgeschäftlichen Handlungen" des Beschwerdeführers gesetzliche Schuldverhältnisse bereicherungsrechtlicher Art entstanden sind (vgl. insbesondere zur Abwicklung von Arbeitsverträgen F. BYDLINSKI in Festschrift Wilburg (1965), 45 ff; ferner SPIELBÜCHLER, DRdA 1987, 122 f sowie KREJCI in Rummel, 2. Auflage, RdZ 5 ff zu § 1152 ABGB), ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer Dienstgeber im Sinne des § 35 ASVG geworden ist, ohne Belang, weil das Entstehen gesetzlicher Schuldverhältnisse (auch wenn sie zu einem Entgeltanspruch von "Dienstnehmern" im Sinne der §§ 1431, 1152 ABGB führen) nicht das Vorliegen jener rechtlichen Einflußmöglichkeit bedeutet, welche der Verwaltungsgerichtshof im zuvor zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates für unerläßlich erachtet hat. Insbesondere aus der Art und Weise der Einbindung des Dienstgebers in die Sozialversicherungadministration und aus der Fülle der ihm in diesem Zusammenhang zugewiesenen (und auf verschiedenste Art sanktionierten) Aufgaben ergibt sich, daß als Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG nur jemand in Betracht kommen kann, der auch rechtlich in der Lage ist, diese Aufgaben zu erfüllen. Dies ist bei jemandem, dem - wie im Falle des Beschwerdeführers - ein Sachwalter zur Einkommens- und Vermögensverwaltung beigegeben ist, nicht der Fall.
Dadurch, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, insbesondere auf dessen Art. III Abs. 2. Die Stempelgebühren waren zufolge der sachlichen Abgabenbefreiung des § 110 ASVG nicht zuzusprechen.
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