Normen
FinStrG §146 Abs1
FinStrG §35 Abs1
FinStrG §58 Abs2
FinStrG §62 Abs2
FinStrG §84 Abs2
MRK Art5 Abs1 lita
MRK Art6
MRK Art6 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988160146.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte das Zollamt Arnoldstein über die Beschwerdeführerin wegen des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels (§§ 13, 35 Abs. 1 FinStrG) einer ca. 43 cm langen Damenhalskette aus Gold mit vereinfachter Strafverfügung (§ 146 Abs. 1 FinStrG) eine Geldstrafe in Höhe von 3.500 S verhängt und im Grunde des § 35 Abs. 4 iVm § 17 FinStrG auf Verfall der Kette erkannt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht verletzt, nicht des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels nach § 35 Abs. 1 iVm § 13 FinStrG fur schuldig erkannt und hiefür bestraft zu werden. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, sie habe das ihr zur Last gelegte Finanzvergehen nie gestanden. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Akteninhalt. Sie habe zwar die im Formular vorgedruckte Erklärung, wonach sie mit der Erlassung dieser Strafverfügung einverstanden sei, unterfertigt. Diese Erklärung habe sie jedoch in der Annahme abgegeben, daß die Angelegenheit damit nur an Ort und Stelle vorläufig erledigt werden sollte und sodann nach ihrer Rückkehr nach Österreich von der örtlich und sachlich zuständigen Behörde ein ordentliches Verfahren durchgeführt werden würde. Sie sei vor Abgabe dieser Erklärung auch nicht darüber aufgeklärt worden, daß die Angelegenheit mit Erlassung der angefochtenen vereinfachten Strafverfügung rechtskräftig abgeschlossen sein sollte und gegen diese Strafverfügung ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig sei. Da ihre Erklärung somit mit einem Irrtum behaftet sei, liege eine wirkliche Einwilligung ihrerseits zur Erlassung der angefochtenen vereinfachten Strafverfügung nicht vor. Die Erlassung der vereinfachten Strafverfügung sei somit mangels Einverständnisses der Beschwerdeführerin nicht zulässig. Im übrigen sei die vereinfachte Strafverfügung nicht hinlänglich begründet.
Vor Eingehen in die Beschwerde sind die Prozeßvoraussetzungen zu prüfen.
Gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B‑VG kann, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben.
Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides erhobenen § 146 Abs. 1 FinStrG können unter der Voraussetzung des § 58 Abs. 1 lit. g die Zollämter bei geringfügigen Finanzvergehen auf Grund eines Geständnisses durch Strafverfügung Geldstrafen nach Maßgabe der Strafsätze der §§ 33 bis 37, 44 bis 46 und 51, jedoch nur bis zu einem Höchstausmaß von 8.000 S verhängen und, soweit dies in den §§ 35, 37, 44 und 46 vorgesehen ist, den Verfall aussprechen (vereinfachte Strafverfügung). Gegen diese Strafverfügung ist ein Einspruch unzulässig. Eine solche Strafverfügung darf nur dann erlassen werden, wenn sich der Beschuldigte nach Bekanntgabe der in Aussicht genommenen Strafe und nach Belehrung, daß ein Einspruch unzulässig sei, mit der Erlassung der vereinfachten Strafverfügung einverstanden erklärt. Kosten des Strafverfahrens sind nicht zu ersetzen. Nach der Anordnung des Abs. 2 der zuletzt zitierten Gesetzesstelle gelten als geringfügige Finanzvergehen
a) Finanzordnungswidrigkeiten,
b) die Finanzvergehen nach den §§ 33 bis 37, § 34 Abs. 1 lit. c, §§ 45 und 46, wenn der strafbestimmende Wertbetrag oder die Summe der strafbestimmenden Wertbeträge (§ 53 Abs. 1 lit. b) 4.000 S nicht übersteigt.
Da gegen die vereinfachte Strafverfügung ein Einspruch unzulässig ist, tritt zugleich mit ihrer Zustellung die formelle und auch die materielle Rechtskraft ein. Durch diese zwingende Regelung über den Ausschluß eines Rechtsmittels gegen die vereinfachte Strafverfügung ist die für die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes notwendige Prozeßvoraussetzung der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges gegeben und die Beschwerde zulässig.
In der Sache selbst geht der Streit darüber, ob die belangte Behörde die sich auf der Grundlage des § 146 Abs. 1 FinStrG stellende Rechtsfrage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer vereinfachten Strafverfügung dem Gesetz gemäß beantwortete.
Voraussetzung für die Erlassung einer solchen Strafverfügung ist ‑ soweit für die Beschwerde von Relevanz ‑ das Vorliegen eines ‑ auch die Schuldseite umfassenden ‑ Geständnisses des Beschuldigten. Einem leugnenden Beschuldigten gegenüber darf schon deshalb keine vereinfachte Strafverfügung ausgesprochen werden, es muß vielmehr die Anzeige an das gemäß § 58 Abs. 1 lit. a FinStrG zuständige Zollamt erstattet werden. Ist der Beschuldigte geständig, muß ihm die beabsichtigte Strafe und der Umstand bekanntgegeben werden, daß gegen die vereinfachte Strafverfügung ein Einspruch unzulässig ist. Und nur dann, wenn dazu ausdrücklich das Einverständnis des Beschuldigten erklärt wird, darf die vereinfachte Strafverfügung erlassen werden. Ist der Beschuldigte damit verstanden, muß die Anzeige an das Zollamt am Sitz der Finanzlandesdirektion (§ 58 Abs. 1 lit. a FinStrG) werden.
Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, die Beschwerdeführerin habe die Begehung des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels vor dem Zollamt Arnoldstein gestanden und sich mit der Erlassung einer vereinfachten Strafverfügung einverstanden erklärt, auf nachstehende, im angefochtenen Bescheid vorgedruckte Erklärung:
„Erklärung des Reisenden: Ich bin mit der Erlassung dieser Strafverfügung, gegen die ein Einspruch unzulässig ist, einverstanden“.
Diese Erklärung ist von der Beschwerdeführerin eigenhändig unterschrieben. Daneben stehen Datum und Unterschrift des Organwalters. Die abgegebene Erklärung weist daher alle wesentlichen Merkmale einer Niederschrift (§ 56 Abs. 2 FinStrG, § 87 BAO) auf. Da dagegen keine Einwendungen erhoben wurden, liefert sie gemäß § 88 BAO Beweis über den Gegenstand und den Verlauf der betreffenden Amtshandlung.
Vor dieser Erklärung ist im Vordruck der vereinfachten Strafverfügung festgehalten, daß sich die Beschwerdeführerin hinsichtlich der streitverfangenen Damenhalskette im Werte von 12.200 S des versuchten Schmuggels (§ 35 Abs. 1 FinStrG) schuldig gemacht habe und hiefür mit einer Geldstrafe in Höhe von 3.500 S bestraft werde. Außerdem werde gemäß § 17 FinStrG auf Verfall des Tatgegenstandes erkannt.
Das Geständnis bezieht sich auf Tatsachen und stellt seiner juristischen Natur nach eine einseitige Wissenserklärung dar. Der Beschuldigte gesteht Tatsachenbehauptungen gegenüber dem das Finanzvergehen entdeckenden Organwalter ein.
Der belangten Behörde ist daher keine Rechtswidrigkeit anzulasten, wenn sie die Auffassung vertrat, daß die Beschwerdeführerin mit der Unterfertigung der ihrem Wortlaut nach eindeutigen Einverständniserklärung auch das Vorhandensein der Tatbestandsvoraussetzungen des im Vordruck angekreuzten Finanzvergehens des versuchten Schmuggels in objektiver und subjektiver Beziehung zugegeben hat.
Die Einverständniserklärung ist eine nicht formgebundene, empfangsbedürftige, einseitige Willenserklärung, die sofort bindet. Der Beschuldigte, der sie abgibt, gibt damit auch das prozessuale Recht auf, eine ihm ungünstigere Entscheidung der unteren Instanz durch Einspruchseinlegung nachprüfen zu lassen. Eine gültig abgegebene Einverständniserklärung kann wegen Willensmangels ebensowenig wie der Verzicht auf ein Rechtsmittel zurückgenommen oder widerrufen werden. Weist die Erklärung allerdings nicht jene Erfordernisse auf, die allgemein für das rechtsverbindliche Zustandekommen einer solchen gelten, bindet sie nicht (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1980, Zl. 89/79). Die Beschwerdeführerin macht im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Irrtum geltend und führt dazu aus, sie sei vor Abgabe dieser Erklärung nicht darüber aufgeklärt worden, daß die Angelegenheit mit Erlassung der vereinfachten Strafverfügung rechtskräftig abgeschlossen sein sollte und gegen diese Strafverfügung ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig sei.
Diesem Vorbringen ist zu erwidern, daß der Wortlaut der oben wiedergegebenen Einverständniserklärung bei objektiver Betrachtung klar und eindeutig ist. Umstände, die darauf schließen ließen, daß diese Erklärung durch ein nicht einwandfreies Verhalten, wie Drohung oder bewußte Täuschung durch den die Aufnahme dieser Erklärung beurkundenden Organwalter, zustande gekommen sein sollte, wurden im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgetragen und es gibt auch die Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür. Es liegt aber auf der Hand, daß sich derjenige, der in einem Finanzstrafverfahren auf einen ihm gesetzlich zustehenden Einspruch verzichtet, damit rechnen muß, daß er sich damit der Möglichkeit einer vielleicht aussichtsreicheren Rechtsverfolgung begibt.
Durfte die belangte Behörde aber, wie aufgezeigt, im Ergebnis davon ausgehen, daß eine dem Gesetz entsprechende rechtswirksame Einverständniserklärung der Beschwerdeführerin vorlag, so erweist sich der angefochtene Bescheid nicht mit der von der Beschwerdeführerin behaupteten Rechtswidrigkeit belastet.
Im weiteren Verfolg ihrer Rechtsrüge trägt die Beschwerdeführerin vor, die Erlassung einer vereinfachten Strafverfügung widerspreche dem Art. 6 MRK, weil es unzulässig sei, daß Zollämter als Verwaltungsbehörden nicht nur über die Stichhaltigkeit des gegen einen Beschuldigten erhobenen Verdachtes in strafrechtlicher Hinsicht entscheiden, sondern im Wege der Verfallserklärung auch direkt in das Eigentumsrecht des Beschuldigten eingreifen können. Es habe jedermann ein Recht darauf, daß über eine, gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage, ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht entscheide.
Auch dieser Einwand vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen.
Art. 6 Abs. 1 iVm Art. 5 Abs. 1 lit. a der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), dem nach dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 59/1964 Verfassungsrang zukommt, verlangt, daß über die Stichhaltigkeit strafrechtlicher Anklagen ein Tribunal selbst entscheidet. Es dürfen daher Freiheitsstrafen, wozu auch Ersatzfreiheitsstrafen gehören, nur durch „Tribunale“, nicht aber durch weisungsgebundene Verwaltungsbehörden ausgesprochen werden.
Sieht man davon ab, daß im Beschwerdefall lediglich eine Geldstrafe verhängt worden war und der Verfassungsgerichtshof in einem völlig gleichgelagerten Fall erst jüngst mit Beschluß vom 28. Juni 1988, B 1027/88, die Behandlung einer ebenfalls gegen eine vereinfachte Strafverfügung des Zollamtes Arnoldstein gerichtete Beschwerde abgelehnt hat, so übersieht die Beschwerdeführerin, daß jeder Beschuldigte die Möglichkeit hat, seinen Anspruch auf Durchführung eines ordentlichen Strafverfahrens im Sinne des Art. 6 MRK schon durch die Nichtabgabe der Einverständniserklärung wahrzunehmen. Im Falle des ordentlichen Verfahrens steht es dem Beschuldigten in weiterer Folge frei, gemäß § 58 Abs. 2 lit. b und § 62 Abs. 2 FinStrG die Fällung der Entscheidung durch unabhängige Senate, die als Tribunale iSd Art. 6 MRK anzusehen sind, zu beantragen. Wenn es die Beschwerdeführerin unterlassen hat, in ihrem Fall den Anspruch auf Entscheidung durch einen Senat (ein Tribunal) zu stellen, so ist es nach dem Gesagten ausgeschlossen, daß dadurch die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes stattfand (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Oktober 1985, B 285/85, VfSlg. 10638).
Aus diesen Erwägungen folgt, daß der angefochtene Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Beschwerde mußte daher gemäß dem § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.
Die Entscheidung über den Anspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 27. Oktober 1988
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