Normen
ABGB §810;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §67 Abs1;
ASVG §67 Abs2;
ASVG §67 Abs3;
VwRallg;
ABGB §810;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §67 Abs1;
ASVG §67 Abs2;
ASVG §67 Abs3;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 19. Mai 1987 verpflichtete die beschwerdeführende Wiener Gebietskrankenkasse den Mitbeteiligten gemäß §§ 67 Abs. 3 und 83 ASVG, die auf dem Beitragskonto "Fa. J, Inh. B in W" rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren der Vorschreibungen Dezember 1985 bis April 1986, erste Nachtragsvorschreibung Jänner, Februar und März 1986, dritte Nachtragsvorschreibung Mai 1986, im Betrag von S 158.204,10 zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei B, Inhaber der genannten Firma, am 11. Mai 1984 verstorben. Der erblasserische Sohn, der Mitbeteiligte, habe die bedingte Erbserklärung abgegeben und mit Beschluß vom 15. Februar 1985 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien sei ihm die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses gemäß § 810 ABGB überlassen worden. Der Mitbeteiligte habe den in die Verlassenschaft fallenden Betrieb bis zum 31. Dezember 1986 auf Rechnung der Verlassenschaft weitergeführt. In der Zeit seiner Betriebsführung seien die im Spruch angeführten Sozialversicherungsbeiträge aufgelaufen. Der Mitbeteiligte hafte daher gemäß § 67 Abs. 3 ASVG, wonach derjenige mit dem Dienstgeber zur ungeteilten Hand für die fällig gewordenen Beiträge hafte, dem die wirtschaftliche Gefahr des Betriebes oder der erzielte Gewinn vorwiegend zufalle.
Der Mitbeteiligte erhob Einspruch und machte geltend, daß die Besorgung des Betriebes auch nach Überlassung der Besorgung der Verlassenschaft nicht auf eigene Rechnung des Mitbeteiligten erfolgt sei. Dies sei weder im Verlassenschaftsnoch im anschließenden Konkursverfahren der Fall gewesen. Der Mitbeteiligte sei verpflichtet gewesen, Rechnung zu legen und allfällige Überschüsse an die Verlassenschaft bzw. an die Masse abzuführen. Ihn habe daher weder die wirtschaftliche Gefahr des Betriebes getroffen, noch sei er über einen allfällig erzielten Gewinn verfügungsberechtigt gewesen. Für die Beitragsrückstände hafte daher lediglich die Masse im gegenständlichen Insolvenzverfahren.
1.2. Mit Bescheid vom 1. Dezember 1987 gab der Landeshauptmann von Wien diesem Einspruch statt und stellte fest, daß der Mitbeteiligte nicht verpflichtet sei, gemäß § 67 Abs. 3 ASVG die ihm als Mithaftenden angelasteten Beitragsrückstände zu bezahlen. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Mitbeteiligte in der Zeit vom 15. Februar 1985 bis 31. Dezember 1986 den in die Verlassenschaft fallenden Betrieb im Namen und auf Rechnung der Verlassenschaft weitergeführt. Daraus, daß er die Verwaltung im Namen und auf Rechnung der Verlassenschaft besorgt habe, ergebe sich jedoch, daß ihm keineswegs die wirtschaftliche Gefahr oder der erzielte Gewinn des Betriebes zufallen hätte können, weshalb eine Haftung gemäß § 67 Abs. 3 ASVG verneint werden müsse.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Nach der Beschwerdebegründung erfordere § 67 Abs. 3 ASVG eine rechtliche Zurechenbarkeit der wirtschaftlichen Gefahr bzw. des Gewinnes; die bloße Tatsächlichkeit genüge nicht. § 810 ABGB bestimme, daß dem Erben, der bei Antretung der Erbschaft sein Erbrecht hinreichend ausweise, die "Besorgung und Benützung" der Verlassenschaft zu überlassen sei. Der erbserklärte Erbe habe demnach ein Nutzungsrecht an der Verlassenschaft; ihn stehe in Ansehung der Einkünfte des Nachlasses das Recht zu deren Bezug zu, während er betreffs der Substanz des Nachlasses nur das Recht und die Pflicht zur einstweiligen Vertretung habe (WEIß in Klang2 III, 1013). Da dem Erben die Einkünfte zufielen, falle ihm auch der Gewinn im Sinne des § 67 Abs. 3 ASVG zu. Der Umstand, daß ein Betrieb weiterhin auf Rechnung der Verlassenschaft geführt werde, bedeute, daß der Verlassenschaft gemäß § 35 Abs. 1 ASVG die Dienstgebereigenschaft zukomme und sie gemäß § 58 ASVG Schuldnerin der während der Betriebsführung auf ihre Rechnung aufgelaufenen Beiträge sei. Dagegen sei der erbserklärte Erbe, dem die Besorgung und die Verwaltung des Nachlasses gemäß § 810 ABGB überlassen worden sei, nutzungs- und damit gewinnbezugsberechtigt, sodaß er neben der Verlassenschaft gemäß § 67 Abs. 3 ASVG für die während seiner Betriebsführung aufgelaufenen Beiträge mithafte.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 35 Abs. 1 ASVG lautet auszugsweise:
"(1) Als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer (Lehrling) in einem Beschäftigungs(Lehr)verhä1tnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist ..."
§ 67 Abs. 3 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 13/1962 bestimmt:
"Fällt einem anderen als dem Dienstgeber die wirtschaftliche Gefahr des Betriebes (der Verwaltung, des Haushaltes, der Tätigkeit) oder der erzielte Gewinn vorwiegend zu, so haften beide zur ungeteilten Hand für die fällig gewordenen Beiträge."
§ 810 ABGB lautet:
"Wenn der Erbe bei Antretung der Erbschaft sein Erbrecht hinreichend ausweist, ist ihm die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft zu überlassen."
2.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, Slg. NF Nr. 12325/A = ZfVB 1987/5/2107, eingehend mit dem Begriff des Dienstgebers im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG auseinandergesetzt und dabei unter anderem auch die Abgrenzungsfrage von der Haftung nach § 67 Abs. 3 ASVG berührt. Im genannten Erkenntnis führte der Gerichtshof unter anderem aus, bei dieser Abgrenzung des Begriffes des Dienstgebers sei wesentlich, wer (nach rechtlichen und nicht bloß nach tatsächlichen Gesichtspunkten) aus den im Betrieb getätigten Geschäften (im Gegensatz zu dem einen Nichtdienstgeber betreffenden Haftungsfall nach § 67 Abs. 3 ASVG unmittelbar) berechtigt und verpflichtet werde, wen also demnach das Risiko des Betriebes im gesamten unmittelbar treffe. Für die Dienstgebereigenschaft einer Person genüge es somit nicht, daß
ihr "die wirtschaftliche Gefahr des Betriebes ... oder der
erzielte Gewinn vorwiegend" zufalle. Die konkrete Frage, ob die Gesellschafter einer Personengesellschaft für Beitragsschuldigkeiten der Gesellschaft eine Haftung nach § 67 Abs. 3 ASVG trifft, über die im Verwaltungsweg zu entscheiden ist, oder ob sie, wenn überhaupt, nur nach § 128 HGB haften, war vom Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis nicht zu beantworten. Daß eine Haftung des Gesellschafters einer GesmbH für Beitragsverbindlichkeiten der GesmbH nicht auf § 67 Abs. 3 ASVG gestützt werden kann, hat der Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. Juni 1966, Slg. NF Nr. 6963/A, ausgesprochen (vgl. dazu auch Tlapek, Zur Auslegung des § 67 Abs. 3 ASVG, JBl 1966, 233; Krejci, Das Sozialversicherungsverhältnis, 208).
Für den Begriff der Haftungspflichtigen nach § 67 Abs. 3 ASVG folgt daraus, daß es sich dabei ganz offenbar nicht um jene Personen handelt, für deren Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, denn diese Personen werden bereits durch § 35 Abs. 1 ASVG und die ergänzenden Bestimmungen des § 67 Abs. 1 und 2 ASVG erfaßt.
§ 67 Abs. 3 ASVG soll vielmehr, so lehrt Krejci, aaO 204, einen Durchgriff durch "Strohmänner" ermöglichen, die zwar formell aus eigenem Recht über das betriebene Unternehmen disponieren, denen aber der wirtschaftliche Vorteil daraus ebensowenig wie der wirtschaftliche Nachteil endgültig zufalle.
2.2.2. Die Haftungsnorm des § 67 Abs. 3 ASVG sieht zwei voneinander getrennte Haftungstatbestände vor. Zum einen haftet derjenige Nichtdienstgeber, dem die wirtschaftliche Gefahr des Betriebes vorwiegend zufällt, zum anderen jener, dem der erzielte Gewinn vorwiegend zufällt. Die beiden Tatbestände sind getrennt voneinander zu sehen, weil sie mit einem alternativen "oder" miteinander verbunden sind (vgl. KREJCI, aaO 205).
Häufig werden beide Tatbestände verwirklicht sein, dies muß aber nicht der Fall sein. Letzteres zeigt der vorliegende Beschwerdefall, in welchem die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Haftung nach § 67 Abs. 3 ASVG auf das Recht des erbserklärten Erben, dem gemäß § 810 ABGB die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft überlassen wurde, Einkünfte aus der Verlassenschaft zu beziehen, stützt.
Zu prüfen ist daher im vorliegenden Fall, ob der zweite Haftungstatbestand des § 67 Abs. 3 ASVG, nämlich jener des vorwiegenden Gewinnanfalles verwirklicht ist.
2.3. Der zweite Haftungstatbestand des § 67 Abs. 3 ASVG stellt darauf ab, daß der erzielte Gewinn dem Nichtdienstgeber vorwiegend zufällt und knüpft daran dessen Mithaftung für die fällig gewordenen Beiträge. Unter dem Gewinn werden dabei die Überschüsse der Erträge über die Aufwendungen zu verstehen sein, bei einem Gewerbebetrieb der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben bzw. der durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Gewinn, jeweils bezogen auf den Haftungszeitraum. Daß nur jener Nichtdienstgeber mithaftet, dem in der Haftungsperiode vorwiegend die Gewinne zugefallen sein müssen, kommt im Wortlaut des § 67 Abs. 3 ASVG dadurch deutlich zum Ausdruck, daß auf das Zufallen der "erzielten" Gewinne und nicht auf eingeräumte Gewinnchancen oder Gewinnmöglichkeiten (z.B. bei einer überwiegenden Gewinnbeteiligung bei Ausschluß einer Verlustbeteiligung) abgestellt wird.
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, daß der Betrieb vom Mitbeteiligten als Verwalter nach dem Tod seines Vaters (am 11. Mai 1984) aufgrund der Überlassung der Besorgung der Verlassenschaft mit Gerichtsbeschluß vom 15. Februar 1985 auf Rechnung der Verlassenschaft bis zum 31. Dezember 1986 weitergeführt wurde, ferner daß am 4. April 1986 der Konkurs über das Vermögen der Verlassenschaft eröffnet wurde. Übereinstimmend gehen die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch davon aus, daß eine wirtschaftliche Erholung des Betriebes in dieser Phase keinesfalls eingetreten ist. Vielmehr wies die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse in ihrer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Äußerung vom 11. Mai 1988 "zur Klarstellung der wirtschaftlichen Situation" selbst darauf hin, daß der Erblasser bei seinem Tod bereits einen Beitragsrückstand von S 353.319,--, der auch im Verlassenschaftsverfahren angemeldet worden sei, hinterlassen habe und daß sich dieser Rückstand bis zur Konkurseröffnung am 4. April 1986 auf S 647.485,-- erhöht habe. Im Hinblick darauf also, daß dem Mitbeteiligten - von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unbestritten - aus dem in die Verlassenschaft gefallenen Gewerbebetrieb im haftungsgegenständlichen Zeitraum keinerlei erzielte Ertragsüberschüsse zugeflossen sind, erweist sich die Heranziehung des Mitbeteiligten zur Mithaftung nach § 67 Abs. 3 ASVG durch den Haftungsbescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse als verfehlt, die Aufhebung dieses Bescheides durch den Landeshauptmann als zutreffend und die Beschwerde der Gebietskrankenkasse als unbegründet. Es kann daher auch die Frage offen bleiben, ob dem gemäß § 810 ABGB zum Verwalter bestellten, bedingt erbserklärten Erben der Gewinn des Unternehmens auch dann rechtens zufließen könnte, wenn in der Folge keine Einantwortung, sondern die Eröffnung eines Nachlaßkonkurses erfolgt. Die Frage einer allfälligen Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen (vgl. dazu das den Mitbeteiligten betreffende hg. Erkenntnis vom 16. April 1991, Zl. 89/08/0337).
2.5. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.
Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie 48 Abs. 3 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 4, 5 und 7 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
2.7. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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