VwGH 88/01/0178

VwGH88/01/01787.12.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der Dr. GK in I, vertreten durch Dr. Herbert Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, Andreas‑Hofer‑Straße 6, gegen den Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 19. Mai 1988, Zl. K5/87, betreffend Berufsunfähigkeitspension, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52 Abs1
EGVG Art2
RAO 1868
RAO 1945 §49 Abs1
RAO 1945 §50 Abs1
Satzung Versorgungseinrichtung RAK Tir 1986 §6 Abs2
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988010178.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Tiroler Rechtsanwaltskammer hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin gehört als Rechtsanwalt der Tiroler Rechtsanwaltskammer an. Mit Eingabe vom 27. Mai 1987, gerichtet an die Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer, begehrte sie Gewährung der Versorgungsleistung durch Auszahlung der Berufsunfähigkeitspension in der Höhe der jeweiligen Alterspension. Begründend führte sie im wesentlichen aus, infolge eines Wirbelsäulen- und Bandscheibenleidens sei sie zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes nicht mehr fähig. Dazu legte sie ein Schreiben der Universitätsklinik für Neurochirurgie Innsbruck (Univ. Prof. Dr. VG und Prof. Dr. KT) vom 18. Mai 1987 vor, das einen Befund auf Grund von röntgen- und computertomographischen Untersuchungen des Schädels und der Wirbelsäule enthält.

Das Kuratorium der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer bestellte hierauf den Univ.-Doz. Dr. LL zum Sachverständigen und ersuchte ihn mit Nte vom 16. Juni 1987 ein Gutachten darüber zu erstellen, ob die Beschwerdeführerin berufsunfähig sei. Gegebenenfalls wolle eine neuro‑chirurgische bzw. internistische Zusatzbeurteilung eingeholt werden.

Der genannte Sachverständige holte zunächst Befund und Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. WD vom 23. Juli 1987 ein. Dieser Sachverständige erstattete an die Tiroler Rechtsanwaltskammer einen neurologisch‑psychiatrischen Befund unter Einbeziehung des neurochirurgischen Befundes von Prof. Dr. KT und gelangte zusammenfassend zu folgenden Schlußfolgerungen:

„Frau Dr. K leidet schon seit 1961 an rezidivierenden vertebragenen Beschwerden - zunächst vor allem von Seiten der Lendenwirbelsäule, zuletzt auch von Seiten der HWS.

Röntgenologisch findet sich in diesem Zusammenhang eine mäßiggradige, degenerative Veränderung der unteren LWS; computertomographisch bestehen Vertebrostenosen, sowie lumbale Discusprotrusionen, jedoch kein Discusprolaps.

Auch an der HWS bestehen mäßiggradige, spondylarthrotische Veränderungen.

Ein objektiver, radikulärer Ausfall liegt jedoch derzeit nicht vor.

Ebenso hat sich kein Hinweis auf eine intrakranielle Veränderung ergeben; eine cerebeläre Ataxie i.e.S. ist nicht zu objektivieren.

Das vielfältige, psychosomatische Beschwerdebild wie es hier angegeben wird (siehe Schreiben an die Rechtsanwaltskammer vom 27.5.1987) ist somit weniger durch den organneurologischen Befund, sondern überwiegend durch den psychischen Befund eines ausgeprägten hyperästhetischemotionellen Schwächezustandes zu erklären.

Es ist wegen dieses hyperästhetisch‑emotionellen Schwächezustandes Berufsunfähigkeit anzunehmen.“

Auch der Sachverständige Univ.Doz. Dr. LL erstattete dem Kuratorium der Tiroler Rechtsanwaltskammer am 12. August 1987 Befund und Gutachten nach Untersuchung der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen. Das Gutachten lautet:

„Frau Dr. K leidet seit vielen Jahren an einem zunehmenden Cervicalsyndrom und Lumbalsyndrom, wie es konservativer Therapie zugänglich war und zugänglich ist. Ein akut werdendes, operationsbedürftiges Bandscheibenleiden lag nie vor. Letztlich wurde im April 87, im Rahmen einer interdisziplinären und maschinellen Abklärung eine Einengung des Spinalkanals (Vertebralstenose) befundet, wie sie zu den komplexen Beschwerden Anlaß geben kann bzw. wie sie bei fortschreitender Eintretung von motorischen Lähmungen zu einer operativen Intervention (Laminektomie) führen könnte. Ein angegebenes klimakterisches Beschwerdebild bzw. ein cardiales Beschwerdebild wurden nicht weiter abgeklärt. Auch eine Schilddrüsendiagnostik wurde nicht weiter betrieben. Rein vom Stütz- und Bewegungsapparat aus liegen aufgrund mäßiger degenerativer Veränderungen bei zusätzlicher Übergewichtigkeit sicher Einschränkungen altersgemäßer Belastbarkeit vor, wie sie jedoch allein keinesfalls Invalidität bedingen würden. Ein übliches Kalkül müßte auf leichte und mittelschwere Arbeit mit der Möglichkeit die Arbeitshaltung zu wechseln gestellt werden; des weiteren auf Berufstätigkeit an einem wetter- und windgeschützten Arbeitsplatz; ohne weitere Einschränkung vom Arbeitsweg, ohne Erfordernis besonderer Arbeitspausen.

Fachneurologisch wird der neurochirurgische Befund, wie er im April 87 vorlag, neuerlich bestätigt. Eine signifikante Verschlechterung ist hier zwischenzeitlich nicht eingetreten. Vor allem konnte kein zentralbedingter Ausfall bzw. Defektzustand befundet werden.

Aus der reinen Morphologie heraus, also aus dem neurologischen Befund allein, wäre somit das obeingeschätzte Kalkül, wenn überhaupt, nur gering weiter einzuengen. Auf die neurochirurgisch erfolgten kurativen Empfehlungen zur Gewichtsreduktion, zur intensiven physikotherapeutischen und eventuell gelegentlich entschwellenden bzw. schmerzlindernden Medikamenteneinnahme wird abschließend nochmals hingewiesen. Sie sprechen ebenfalls für ein behandelbares, komplexes, sicher Beschwerden verursachendes Bild, jedoch nicht für ein akutes Leiden, insbesondere Bandscheibenleiden, das operativer Therapie zugeführt werden müßte bzw. im Akutstadium Invalidität bedeuten würde.

Wesentlicher Inhalt des komplexen Geschehens ist der psychiatrischen Beurteilung zuzuordnen, die ‑ dies ist auch spontaner Eindruck des unfallchirurgischen Gutachters ‑ von einem ausgeprägten hyperästhetisch‑emotionellen Schwächezustand spricht, wie er sich tief in die Persönlichkeit eingegraben hat, korrekturunfähig scheint, sodaß aus ihm schon im Hinblick auf den Inhalt von § 6 Abs. 1 der Satzung der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer Berufsunfähigkeit angenommen wird.“

Das Kuratorium der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer beschloß hierauf am 24. August 1987 zur Frage der Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin Befund und Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen einzuholen.

Gegen diesen Beschluß erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung an die belangte Behörde, die jedoch mit Beschluß (richtig Bescheid) vom 1. Oktober 1987 die Vorstellung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückwies.

Mit Bescheid vom 24. November 1987 wies das Kuratorium der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer den Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. Mai 1987, ihr die Berufsunfähigkeitspension nach § 6 der Satzung der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer zu gewähren, ab. Begründend wird im wesentlichen ausgeführt, ein hyperästhetisch‑emotioneller Schwächezustand sei ein Beschwerdebild psychogener Art, das in dem davon Betroffenen ein übersteigertes Krankheitsbewußtsein erwecke. Ob, warum und inwieweit dieses Bewußtsein die Fähigkeit der Beschwerdeführerin beeinträchtige, ihren Beruf als Rechtsanwältin auszuüben, sei den beiden insoweit unschlüssigen Gutachten der genannten Sachverständigen nicht zu entnehmen und habe auch deshalb nicht festgestellt werden können, weil die Beschwerdeführerin eine darauf abzielende Untersuchung abgelehnt habe. Das Wirbelsäulen- und Bandscheibenleiden, aus dem allein die Beschwerdeführerin ihre Berufsunfähigkeit ableite, bedinge jedoch nach keinem der genannten Gutachten eine Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin.

Die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid erster Instanz wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. In der Bescheidbegründung wird im wesentlichen ausgeführt, die beiden Sachverständigen seien zu dem Ergebnis gekommen, daß die Beschwerden der Beschwerdeführerin an der Wirbelsäule und den Bandscheiben keine Invalidität bedingen würden. Festgestellt werde, daß die Beschwerdeführerin seit vielen Jahren an einem zunehmenden Cervical- und Lumbalsyndrom leide, wobei mäßig degenerative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat (Lenden- und Halswirbelsäule) vorlägen, die Einschränkungen altersgemäßer Belastbarkeit bedingten, daß aber durch dieses organische Zustandsbild eine Invalidität nicht vorliege. Der Beschwerdeführerin sei nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. LL leichte und mittelschwere Arbeit, mit der Möglichkeit, die Arbeitshaltung zu wechseln, Berufstätigkeit an einem wetter- und windgeschützten Arbeitsplatz, ohne weitere Einschränkung vom Arbeitsweg und ohne Erfordernis besonderer Arbeitspausen zumutbar. Bei diesen Anforderungen lasse sich aber der Beruf eines Rechtsanwaltes ausüben, wenn auch eingeräumt werde, daß die Berufsausübung bei der Beschwerdeführerin mit mehr Anstrengungen und Schmerzen verbunden sein werde als bei einem Gesunden. Aus den eingeholten Sachverständigengutachten lasse sich also zweifelsfrei entnehmen, daß bei der Beschwerdeführerin aus organischen Gründen derzeit eine Unfähigkeit, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben, nicht vorliege. Der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. WD habe weiters ausgeführt, daß das vielfältige, psychosomatische Beschwerdebild der Beschwerdeführerin, wie sie es selbst angebe, weniger durch den organneurologischen Befund, sondern überwiegend durch den psychischen Befund eines ausgeprägten hyperästhetisch-emotionellen Schwächezustandes zu erklären sei. Wegen dieses Schwächezustandes sei bei der Beschwerdeführerin die Berufsunfähigkeit anzunehmen. Dieses Argument übernehme der chirurgische Sachverständige Dr. LL in seinem Gutachten ebenfalls ‑ wobei er hier aber eindeutig sein eigenes Fachgebiet verlasse, was schon damit dokumentiert sei, daß er selbst ausführe, der wesentliche Inhalt des komplexen Geschehens sei der psychiatrischen Beurteilung zuzuordnen. Was die Ausführungen der Gutachter hinsichtlich des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden hyperästhetisch‑emotionellen Schwächezustandes betreffe, schließe sich die belangte Behörde der Ansicht der Behörde erster Instanz voll an, daß in diesem Punkt die Gutachten nicht schlüssig seien und daher ein weiteres psychiatrisches Gutachten zur Abklärung dieser Frage nötig wäre. Der neurologisch‑psychiatrische Sachverständige Dr. WD, in dessen Fachgebiet die erwähnte Frage an und für sich gehöre, habe sich nämlich in seinen Untersuchungen und seinem Befund nur mit der neurologischen Seite der Beschwerden der Beschwerdeführerin an Lenden- und Halswirbelsäule befaßt und keine Exploration zur Abklärung der psychiatrischen Beurteilung des Zustandsbildes durchgeführt. Nach Ansicht der belangten Behörde habe daher die Behörde erster Instanz zu Recht auf der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens bestanden. Im Rahmen des Vorstellungsverfahrens sei die belangte Behörde an dem psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. HH herangetreten, ob dieser zu der abzuklärenden Frage ein psychiatrisches Gutachten ohne persönliche Untersuchung der Beschwerdeführerin allein auf Grund der Aktenlage erstellen könne, was der Genannte aber verneint habe. Auf die Anfrage der belangten Behörde, ob sich die Beschwerdeführerin einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen werde, sei innerhalb der gesetzten Frist keine definitive Antwort und Stellungnahme eingelangt. In ihrer Eingabe vom 28. März 1988 habe sie keine diesbezügliche Einverständniserklärung abgegeben, sodaß davon auszugehen sei, daß die Beschwerdeführerin eine psychiatrische Untersuchung und Begutachtung verweigere.

Rechtliche Grundlage für die Berufsunfähigkeitspension sei die Satzung der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer, die mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 2. Juli 1986, Zl. 16.270/8‑I 6/86, genehmigt worden sei. Nach Wiedergabe des § 6 dieser Satzung wird in der Bescheidbegründung weiter ausgeführt, der Beschwerdeführerin sei die Unfähigkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht gegeben. Körperliche Gebrechen, die eine solche Unfähigkeit zur Folge hätten, lägen nach den eingeholten Sachverständigengutachten nicht vor; ob geistige Gebrechen vorlägen, wofür auf Grund der Erwähnung in den Sachverständigengutachten gewisse Hinweise vorhanden seien, habe jedoch mangels Bereitschaft der Beschwerdeführerin, sich einer psychiatrischen Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen, nicht geklärt werden können. Da die Beschwerdeführerin verpflichtet sei, zum Nachweis des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit, sich einer entsprechenden Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen und eine solche ihr auch zumutbar sei, sei die Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht bescheinigt. § 6 Abs. 2 der Satzung sei nicht so aufzufassen, daß nur ein einziges Sachverständigengutachten eingeholt werden dürfe. Es könne daher ein eingeholtes Gutachten ergänzt, durch ein weiteres widerlegt oder bekräftigt werden, oder aber bei Überschneidung von Fachgebieten auch die Einholung mehrerer Gutachten erforderlich sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension verletzt und beantragt Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Über die Beschwerde und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 49 Abs. 1 RAO haben die Rechtsanwaltskammern Einrichtungen zur Versorgung ihrer Mitglieder für den Fall des Alters und der Berufsunfähigkeit sowie zur Versorgung der Hinterbliebenen für den Fall des Todes des Mitgliedes mit einer zu beschließenden Satzung, die gemäß § 27 Abs. 5 RAO der Genehmigung des Bundesministers für Justiz bedarf, zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Nach § 50 Abs. 1 RAO hat jeder Rechtsanwalt bei Vorliegen der Voraussetzungen und bei Eintritt des Versorgungsfalles Anspruch auf Berufsunfähigkeitsversorgung. Absatz 2 desselben Paragraphen enthält die Grundsätze die in den Satzungen der nach festen Regeln festzusetzenden Versorgungseinrichtungen zu beachten sind.

Auf Grund der genannten gesetzlichen Bestimmungen wurde in der Vollversammlung vom 19. Juni 1986 die Satzung der Versorgungseinrichtung der Tiroler Rechtsanwaltskammer beschlossen, mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 2. Juli 1986, Zl. 16.270/8‑I 6/86, genehmigt und im Anwaltsblatt Nr. 10/1986, S. 582 f, publiziert. Der im Beschwerdefall maßgebliche § 6 „Berufsunfähigkeitspension“ hat folgenden Wortlaut:

„(1) Die Berufsunfähigkeitspension in der Höhe der Alterspension gebührt bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen jenen Rechtsanwälten, die das für den Anfall der Alterspension erforderliche Lebensalter noch nicht erreicht haben, jedoch infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes unfähig sind und auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichten, in der Liste der Rechtsanwälte gelöscht sind und auch keine der im § 5 beschriebenen Tätigkeiten ausüben.

(2) Die Berufsunfähigkeit ist durch einen Sachverständigen, der vom Kuratorium (§ 15) bestimmt wird, festzustellen und zu bescheinigen.“

Im Verfahren sind von den Behörden der Rechtsanwaltskammer die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 nicht anzuwenden (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1987, Zl. 86/01/0193, und vom 9. November 1988, Zl. 88/01/0114). Soweit nicht für das Verfahren besondere Vorschriften bestehen, sind daher nur allgemeine Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verwaltungserfahrens anzuwenden.

Im Beschwerdefall stellt die zitierte Vorschrift des § 6 Abs. 2 der Satzung eine solche besondere Verfahrensregelung dar, die die Beweisführung im Falle der Berufsunfähigkeit abweichend vom Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 regelt. Aus der hier anzuwendenden Norm ergibt sich nämlich, daß die Berufsunfähigkeit durch einen Sachverständigen, der von der Behörde bestimmt wird, festzustellen und zu bescheinigen ist. Aus dem Wortlaut der Norm ist nicht zu erschließen, daß im Verfahren über die Frage der Berufsunfähigkeit nur ein Sachverständiger von der Behörde bestimmt werden könnte, weil das Wort „ein“ in diesem Fall nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel zu verstehen ist. Es kann daher zur Begutachtung der für die Berufsunfähigkeit maßgeblichen fachärztlichen Fragen durchaus die Einholung mehrerer Sachverständigengutachten erforderlich werden, wie es auch im Gegenstand der Fall war.

Die besondere Fassung der Norm beschränkt jedoch in diesem Verfahren die Tätigkeit der Behörde ausdrücklich auf die Bestimmung des oder der Sachverständigen, während sie die Feststellung und Bescheinigung der Berufsunfähigkeit ausschließlich dem oder den Sachverständigen überträgt. Daß der Normgeber zur Frage der Berufsunfähigkeit kein umfangreiches und langwieriges Beweisverfahren anordnen wollte, ergibt sich deutlich aus der Verwendung des Wortes „bescheinigen“. Geht man davon aus, so bestand bei der durch die übereinstimmenden Gutachten bescheinigten Feststellung der Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin keine Veranlassung, einen oder mehrere weitere Sachverständige zu bestellen, um die erstatteten Gutachten zu ergänzen oder zu überprüfen. Dies umsoweniger, als das Gutachten des Sachverständigen Dr. WD sich ohnehin ausdrücklich auf einen „neurologisch‑psychiatrischen Befund“ bezieht, sodaß das von diesem Sachverständigen festgestellte Leiden jedenfalls in dessen Fachgebiet (Neurologie und Psychiatrie) fällt. Eine zusätzliche Begutachtung der Beschwerdeführerin durch einen Facharzt der Psychiatrie - wie die belangte Behörde für notwendig befunden hat ‑ wäre demnach nur dann angezeigt gewesen, wenn zumindest eines der Gutachten die Frage der Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht beantwortet oder die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens für erforderlich bezeichnet hätte.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Die Abweisung des Mehrbegehrens auf Ersatz von Umsatzsteuer und Stempelgebühren gründet sich darauf, daß einerseits nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Umsatzsteuer durch den zuerkannten Pauschalbetrag abgegolten wird, andererseits Stempelgebühren nur im Ausmaß der entstandenen Gebührenpflicht zuerkannt werden können.

Wien, am 7. Dezember 1988

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