VwGH 87/13/0135

VwGH87/13/013518.11.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rat Dr. Papierer, über die Beschwerde des Dr. FG, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 22. Mai 1987, Zl. GA 5‑1845/87, betreffend Gewährung von Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs1 litb
FamLAG 1967 §2 Abs1 lite
VwGG §42 Abs2 litc Z3
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1987130135.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog bis einschließlich Oktober 1985 für seinen Sohn C, geb. 1965, Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG). Anschließend leistete der Sohn des Beschwerdeführers den Präsenzdienst bis einschließlich Mai 1986. Ab Oktober 1986 war der Sohn des Beschwerdeführers dann im Rahmen eines Maturantenpraktikums bei der Gemeinde Wien tätig, auf welches er durch ein Schreiben des Arbeitsamtes Angestellte vom 5. September 1986 hingewiesen worden war, in dem über diese Tätigkeit mitgeteilt wurde:

„...

Sie sind bei uns für eine Beschäftigung vorgemerkt. Nun wurde zwischen der Arbeitsmarktverwaltung und der Gemeinde Wien ein

MATURANTENPRAKTIKUM

vereinbart, das Maturanten eine praktische Berufungsvorbereitung vermitteln soll. Dieses einjährige Praktikum ist eine Schulungsmaßnahme nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz, das heißt, die Teilnehmer erhalten während der Dauer der Schulung eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes in der Höhe von S 5.130,-- und sind in dieser Zeit voll sozialversichert.

Sie stehen in keinem Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien und können aus dieser Schulung keinen Anspruch auf Anstellung ableiten.

...“

Einzige Streitfrage des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, ob dem Beschwerdeführer für die Zeit von Juni bis September 1986 gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG Familienbeihilfe für seinen Sohn C zusteht.

Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist diese Frage zu bejahen, weil das sogenannte Maturantenpraktikum als Berufsausbildung im Sinne der genannten Gesetzesstelle anzusehen sei.

Die belangte Behörde vertrat den gegenteiligen Standpunkt und wies die vom Beschwerdeführer gegen den abweisenden Bescheid des Finanzamtes erhobene Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet ab.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Gesetzgeber habe, um der prekären Situation auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, durch das Arbeitsmarktförderungsgesetz BGBl. Nr. 31/1969 (AMFG), Instrumentarien geschaffen, deren Anwendung u.a. Schulabgängern die Eingliederung in das Berufsleben erleichtern solle. Das vom Sohn des Beschwerdeführers besuchte „Maturantenpraktikum“ stelle eine solche Maßnahme dar. Dabei handle es sich zwar um „Ausbildung“ im weitesten Sinne, nicht aber um Berufsausbildung im Sinne des FLAG. Zu letzterem Begriff gehörten zweifellos die allgemeinbildende Schulausbildung, der Besuch einer Universität oder der Besuch einer gesetzlich anerkannten und speziell der Berufsausbildung dienenden Schule, also sämtliche Bestrebungen, die darauf abzielten, dem Auszubildenden das der angestrebten beruflichen Tätigkeit entsprechende Rüstzeug geistiger bzw. manueller Art zu verschaffen, nicht aber jegliche Form der Aneignung von Wissen oder der Erlangung diverser Fertigkeiten. Dies selbst dann nicht, wenn dieses Wissen oder diese Fertigkeiten für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mehr oder minder von Nutzen sein mögen.

Ergänzende Erhebungen der belangten Behörde hätten ergeben, daß der Sohn des Beschwerdeführers im Rahmen einer „Arbeitserprobung“ bzw. einer „praktischen Berufsvorbereitung“ bei der MA 33 der Gemeinde Wien untergebracht sei und dort mit den spezifisch anfallenden Arbeiten vertraut gemacht werde. Auf diese Weise könnten im Wege der Arbeitsmarktpolitik Schulabgänger, die vorerst keine Anstellung fänden und einen weiteren Bildungsweg nicht beschritten, kurzfristig beschäftigt werden. Durch diese mit öffentlichen Mitteln geförderten Ausbildungsmaßnahmen würden die daran Teilnehmenden im Hinblick auf eine allfällige künftige Tätigkeit bei der ausbildenden oder bei einer anderen Stelle eingeschult; sie unterschieden sich von den bereits in ein Dienstverhältnis aufgenommenen Personen lediglich durch die Art der Entschädigung für die von ihnen erbrachten Leistungen. Daran ändere auch nichts, daß aus der Teilnahme kein Anspruch auf Anstellung abgeleitet werden könne.

Eine derartige, im Anschluß an eine abgeschlossene Schulbildung aufgenommene praktische Ausbildung sei aber nur dann als Berufsausbildung im Sinne des FLAG zu werten, wenn diese Praxis für die Ausübung des Berufes vorgeschrieben sei. Die Teilnahme an dem Maturantenpraktikum stehe aber weder im direkten Zusammenhang mit der abgeschlossenen Mittelschulausbildung noch mit einer allfälligen späteren Berufsausübung, sondern sei im privaten Interesse des Kindes gelegen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Zuerkennung von Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. b und e FLAG verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Zivildienstes und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Zivildienstes begonnen oder fortgesetzt wird.

Im Beschwerdefall sind die Anspruchsvoraussetzungen des Beschwerdeführers im Sinne dieser Gesetzesstelle mit einer Ausnahme unbestritten; strittig ist allein, ob der Sohn des Beschwerdeführers mit der Aufnahme seiner Tätigkeit im Rahmen des „Maturantenpraktikums“ eine Berufsausbildung begonnen oder fortgesetzt hat.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe ihm zu den Ergebnissen der von ihr durchgeführten ergänzenden Erhebungen nicht das Parteiengehör gewährt. Die belangte Behörde gesteht in ihrer Gegenschrift zu, daß sie es unterlassen habe, dem Beschwerdeführer das Ergebnis ihrer (telefonischen) Kontaktaufnahme mit dem Landesarbeitsamt über die Art der Schulung im Rahmen des Maturantenpraktikums vorzuhalten, sie meint aber, auch ein derartiger Vorhalt hätte nicht zum Nachweis einer Berufsausbildung des Sohnes des Beschwerdeführers im Sinne des FLAG führen und somit letztlich auch keinen anders lautenden Bescheid herbeiführen können.

Diese Argumentation der belangten Behörde vermag die im Beschwerdefall unterlaufene Verletzung des Parteiengehörs nicht aus der Welt zu schaffen. Dennoch fehlt diesem Verfahrensfehler nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die für einen darauf zu gründenden Erfolg der vorliegenden Beschwerde erforderliche Relevanz, weil der Beschwerdeführer nicht aufzeigt, daß und aus welchen Gründen die von der belangten Behörde erzielten Ermittlungsergebnisse unzutreffend wären. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung des Parteiengehörs kann dann nicht herbeigeführt werden, wenn sich der Beschwerdeführer ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ darauf beschränkt hat, diesen Mangel aufzuzeigen, ohne jedoch die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen zu bekämpfen und ohne darzulegen, was er vorgebracht hätte, wenn ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden wäre (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 610, angeführte Vorjudikatur).

Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides macht der Beschwerdeführer geltend, aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut der Mitteilung des Arbeitsamtes an seinen Sohn, aus der ausdrücklichen Verneinung eines Dienstverhältnisses sowie aus dem beschriebenen Zweck der Tätigkeit sei abzuleiten, daß es sich bei dem strittigen Maturantenpraktikum um eine besondere Art der Berufsausbildung im Sinne des FLAG handle, weshalb der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe berechtigt sei.

Eine nähere Umschreibung des Begriffes „Berufsausbildung“ enthält das Gesetz nicht. Unter diesen Begriff sind sicher alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird. Dies trifft etwa auch für die sogenannten kaufmännischen Maturantenlehrgänge zu, mit denen der Beschwerdeführer ‑ wie noch zu zeigen sein wird, zu Unrecht ‑ das strittige Maturantenpraktikum auf eine Stufe zu stellen versucht.

Ihren Abschluß findet eine Berufsausbildung jedenfalls mit dem Beginn der Ausübung eines bestimmten Berufes, auch wenn für den konkreten Arbeitsplatz noch eine spezifische Einschulung erforderlich sein mag, wie dies ‑ ungeachtet der Qualität der vorangegangenen Berufsausbildung ‑ regelmäßig der Fall sein wird.

Für die zur Lösung des Beschwerdefalles notwendige Abgrenzung stellt der Beschwerdeführer zutreffend die Frage, ob das strittige Maturantenpraktikum näher dem Typus „Schule“ oder näher zum Typus „Arbeitsverhältnis“ stehe. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers spielt es jedoch für die Beantwortung dieser Frage keine entscheidende Rolle, daß die Tätigkeit des Praktikanten außerhalb eines arbeitsrechtlichen Dienstverhältnisses und ohne Anspruch auf spätere Anstellung ausgeübt und von dritter Seite (der Arbeitsmarktverwaltung) durch Gewährung einer Beihilfe (§ 19 AMFG) entlohnt wird. Der Verwaltungsgerichtshof folgt vielmehr der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung, wonach weder das Fehlen eines Dienstverhältnisses noch die Art und Höhe der dem Praktikanten gewährten Entschädigung darüber hinwegtäuschen können, daß dessen Tätigkeit sich inhaltlich nicht von der eines am Beginn der konkreten Berufsausübung stehenden Dienstnehmers unterscheidet, der für seinen Arbeitsplatz ungeachtet seiner vorangegangenen Berufsausbildung praktischer Einschulung bedarf. Der Unterschied zu einem im Anfangsstadium eines Arbeitsverhältnisses stehenden Beschäftigten besteht vielmehr nur darin, daß die Anlernzeit im Falle des Teilnehmers an einem „Maturantenpraktikum“ mit Rücksicht auf die angespannte Lage am Arbeitsmarkt ohne arbeitsrechtliche Verpflichtungen des Ausbildenden (wie etwa dem Abschluß oder der Zusage eines Dienstvertrages und der direkten Entlohnung) absolviert wird.

Der Hinweis des Beschwerdeführers auf einschlägige sozialversicherungsrechtliche Judikatur geht ins Leere, zumal auch der Verwaltungsgerichtshof nicht bezweifelt, daß etwa die Lehrlingsausbildung oder der Besuch des Realgymnasiums an der Theresianischen Akademie bzw. eines kaufmännischen Maturantenlehrganges im Sinne des oben Ausgeführten als „Berufsausbildung“ anzusehen sind. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem im Beschwerdefall strittigen „Maturantenpraktikum“ jedoch um eine spezifische praktische Einschulung, die nur aus Gründen der mangelnden Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen nicht wie sonst üblich im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet, und die auch nicht als Voraussetzung für eine einschlägige Berufsausübung vorgeschrieben ist.

Die belangte Behörde hat daher zutreffend erkannt, daß der Sohn des Beschwerdeführers mit dem Antritt dieses Maturantenpraktikums keine Berufsausbildung begonnen oder fortgesetzt hat, weshalb für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenzdienstes und dem Beginn dieses Praktikums Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG nicht zustand. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 18. November 1987

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