VwGH 87/13/0006

VwGH87/13/000630.9.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rat Dr. Papierer, über die Beschwerde der EI in W, vertreten durch Dr. Johann Suppan, Rechtsanwalt in Wien I., Kohlmarkt 5, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 11. November 1986, Zl. 6/1-1332/3/84, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 1973 bis 1978 sowie die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer für die Jahre 1973 bis 1978, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs4;
BAO §303 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 1974 bis 1978 und die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erklärte in den Streitjahren 1974 bis 1978 Einkünfte aus Gewerbebetrieb (und zwar betreffend den Reitstall S sowie das Unternehmen A) und aus Vermietung und Verpachtung; im Jahre 1976 auch Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Im Zuge einer im Jahre 1980 durchgeführten, u.a. die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin für die Streitjahre umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer, soweit dies für das nunmehrige verwaltungsgerichtliche Verfahren von

Bedeutung ist, folgendes fest:

GEWINNERMITTLUNG

Tz 12: Zinsen - nichtabzugsfähige Ausgaben gemäß § 20

EStG

Aus den geltend gemachten Betriebsausgaben der Jahre 1973 bis 1978 wurden die Zinsen für ein Privatdarlehen als nicht abzugsfähige Ausgaben gemäß § 20 EStG 1972 ausgeschieden. Dieses Darlehen wurde 1968 aufgenommen, um fällige Personensteuer-Rückstände zu bezahlen, die durch den Verkauf der Liegenschaft Wien X., im Jahr 1966 entstanden sind. Diese betrugen:

1973

239.621,27

1974

259.387,55

1975

283.044,89

1976

194.712,--

1977

150.113,--

1978

114.079,40

Die obigen Beträge wurden dem jeweiligen Betriebsergebnis

zugerechnet.

Tz 13: Privatanteil Auto

Der Privatanteil wurde von der Betriebsprüfung auf 50 % der

in der Vermietung der A geltend gemachten Autokosten erhöht.

 

1973

1974

1975

Privatanteil Auto lt. BP" " lt. HB

23.417,-- 0

33.378,-- 12.000,--

36.020,-- 12.000,--

Erh.Privatanteil Autolt. BP = Erfolgsändg===============

+ 23.417,--========

+ 21.378,--========

+ 24.020,--========

  

1976

1977

Privatanteil Auto lt. BP " " lt. HB

 

36.254,-- 10.000,--

39.017,-- 10.000,--

Erh. Privatanteil Auto lt. BP= Erfolgsänderung=================

 

+ 26.254,--========

+ 29.017,--========

Tz 14: PKW Kosten 1978

Aus den geltend gemachten Betriebsausgaben 1978 wurden Autokosten in der Höhe von S 34.608,43 gemäß § 20 a EStG 72 ausgeschieden

Erfolgsänderung + 34.608,43

====================

Tz 15: Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1974 - 1978

Aus den Einkünften aus Gewerbebetrieb lt. Veranlagung wurden die Verluste aus den Reitstall S als Liebhaberei ausgeschieden

 

1973

1974

1975

A lt. BP

+ 283.294,--

+ 289.131,--

+ 46.770,--

Gastwirtschaft

0

0

0

Reitstall

0

0

0

Einkünfte aus Gewerbebetrieb======================

+ 283.294,--=========

+ 289.131,--=========

+ 46.770,-- ========

 

1976

1977

1978

A

- 91.510,--

- 115.443,--

- 12.061,--

Gastwirtschaft

0

0

0

Reisttall

0

0

0

Eink. aus Gewerbebetrieb==================

- 91.510,--========

- 115.443,-- =========

- 12.061,--========

Tz 16: Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung

Der Überschußanteil an der Hausgemeinschaft Wien X., G-gasse der Jahre 1976 und 1978 wurde steuerlich bisher nicht erfaßt

 

1976

1978

B-g.

704.185,--

818.339,--

G-g.

16.662,--

16.536,--

 

720.847,--========

834.875,--========

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ - neben anderen Bescheiden, die für das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht von Bedeutung sind - Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer für die Jahre 1974 bis 1978. Gleichzeitig ergingen entsprechende neue Sachbescheide. Begründend verwies das Finanzamt auf § 303 Abs. 4 BAO und auf den Inhalt des Betriebsprüfungsberichtes.

Die Beschwerdeführerin erhob u.a. auch gegen diese Bescheide Berufung, in welcher sie gegen die Wiederaufnahme vorbrachte, daß neue Tatsachen und Beweismittel nicht hervorgekommen seien. Das Finanzamt habe nur den schon bekannten Sachverhalt nachträglich anders gewürdigt. Dem Finanzamt sei bekannt gewesen, daß von der der Beschwerdeführerin gehörigen Firma A zwei Darlehen aufgenommen worden seien, mit denen die Beschwerdeführerin die aus Anlaß der Veräußerung eines Betriebsgrundstückes angefallene Einkommensteuer bezahlt habe. Die Aufnahme dieser Darlehen in die Bilanz der A sei ein Fehler gewesen, der sowohl dem Steuerpflichtigen als auch dem Finanzamt unterlaufen sei. Auch der Prüfer habe diese Darlehen nicht aus den Bilanzen herausgenommen, sondern nur die Zinsen gestrichen.

Im Zuge des Berufungsverfahrens legte die Beschwerdeführerin ihre Bilanzen und Abgabenerklärungen für die Jahre 1968 bis 1972 und die dazu ergangenen Steuerbescheide vor, da ihr die belangte Behörde mitgeteilt hatte, ihr stünden diese Urkunden wegen der bereits 1978 erfolgten Skartierung nicht mehr zur Verfügung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung der Beschwerdeführerin, soweit diese Entscheidung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung ist, dahingehend, daß

a) die Berufung gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1974 bis 1978 als unbegründet abgewiesen und

b) der Berufung hinsichtlich Einkommensteuer 1974 bis 1978 teilweise (und zwar hinsichtlich einer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht strittigen Frage) Folge gegeben wurde.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Prüfung habe zur Wiederaufnahme sowohl des durch das Finanzamt Mödling durchgeführten Gewinnfeststellungsverfahrens für die Streitjahre als auch zur Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer für die Jahre 1973 bis 1978 geführt. Hinsichtlich der Einkünfte aus dem Reitstall habe das Finanzamt Mödling der Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der gemäß § 187 BAO erlassenen Gewinnfeststellungsbescheide (betreffend den Reitstall) Folge gegeben, weshalb die nachträgliche Feststellung des Nichtvorliegens einer diesbezüglichen Einkunftsquelle zu entfallen habe. Aus diesem Grund seien auch die im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Umsatzsteuerbescheide in Stattgebung der Berufung aufzuheben gewesen.

Zur Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer für die Streitjahre führte die belangte Behörde aus, Tatsachenfeststellungen, auf Grund deren eine Berichtigung des jeweiligen Privatanteils an den Kfz-Kosten erfolgt sei, seien dem Betriebsprüfungsbericht nicht zu entnehmen, diesbezüglich liege daher kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund vor. Was das nachträgliche Hervorkommen der Verwendung der beiden Darlehen zur Begleichung von Personensteuerschulden betreffe, sei der Betriebsprüfung jedoch beizupflichten, daß dieser Umstand aus den Erklärungen und Bescheiden 1973 bis 1978 nicht ersichtlich sei. Insbesondere sei daraus der Umstand der bereits 1968 erfolgten Darlehensaufnahme und der zeitliche Zusammenhang der Darlehensaufnahme mit der Bezahlung von Personensteuerschulden nicht zu ersehen; dasselbe treffe für die zweite Darlehensaufnahme 1971 zu. Die Berufung gegen die die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer verfügenden Bescheide sei daher abzuweisen gewesen.

Zur Einkommensteuer begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid dahingehend, daß die Beschwerdeführerin die Feststellung der Betriebsprüfung, wonach die fraglichen Darlehen (ausschließlich) wegen Personensteuerschulden aufgenommen worden seien, nicht in Abrede gestellt habe. Eine betriebliche Veranlassung dieser Darlehen sei nicht behauptet worden. Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der einem Unternehmer zustehenden Privatautonomie auch Zinsen aus betrieblichen Krediten, "die auch durch laufende Privatentnahmen vergrößert wurden", als Betriebsausgaben anerkannt, doch sei diese Judikatur im Beschwerdefall nicht anzuwenden, da der (nicht betriebliche) Grund der Aufnahme der Darlehen nicht bestritten werde. Die Bezahlung der Privatsteuern könne gemäß § 20 EStG 1972 zu keinen Betriebsausgaben führen, weshalb auch die damit unmittelbar im Zusammenhang stehenden Schuldzinsen keine Betriebsausgaben seien. Es fehle somit am notwendigen Zusammenhang zwischen betrieblichen Aufwendungen und den durch ihre Finanzierung bedingten Darlehenszinsen.

Gegen diesen Bescheid - und zwar ausdrücklich nur hinsichtlich der Wiederaufnahme und der Einkommensteuer für die Jahre 1974 bis 1978 - richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren Rechten auf Unterbleiben einer ungesetzlichen Wiederaufnahme und auf Absetzung der in den Jahren 1974 bis 1978 geltend gemachten Zinsenaufwendungen als Betriebsausgaben verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen und Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Soll eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne dieser Gesetzesstelle auf Grund einer abgabenbehördlichen Prüfung zulässig sein, dann muß aktenmäßig erkennbar sein, daß dem Finanzamt nachträglich Tatumstände zugänglich gemacht wurden, von denen es nicht schon Kenntnis gehabt hat. Eine nachträglich andersgeartete rechtliche Beurteilung oder Würdigung des schon bekannt gewesenen Sachverhaltes allein rechtfertigt einen behördlichen Eingriff in die Rechtskraft nicht (vgl. dazu Stoll, BAO-Handbuch, Wien 1980, S. 727, und die dort angeführte Judikatur).

Im Beschwerdefall hat sich das Finanzamt zur Begründung der strittigen Wiederaufnahme mit einem Hinweis auf den Inhalt des Prüfungsberichtes begnügt, in welchem der Prüfer eine von den vorangegangenen Einkommensteuerbescheiden abweichende Vorgangsweise bei der Gewinnermittlung a) hinsichtlich der Beurteilung des Reitstalles S als Voluptuar; b) hinsichtlich des Privatanteils Auto bzw der PKW-Kosten; c) hinsichtlich der strittigen Zinsen; und im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung d) hinsichtlich eines bisher steuerlich nicht erfaßten Überschußanteiles an der Hausgemeinschaft Wien 10., G-gasse, in den Jahren 1976 und 1978 vorgeschlagen hat. Der Bericht läßt allerdings in keinem dieser Punkte erkennen, welche Tatumstände erst im Zuge der Prüfung ans Licht gekommen bzw welche Beweismittel neu hervorgekommen wären. Dies hatte hinsichtlich des Reitstalles S (oben a) bereits die Behebung der Wiederaufnahme durch das Finanzamt Mödling zur Folge. Hinsichtlich der Änderung der Kfz-Kosten (oben b) ist die belangte Behörde selbst zu dem Ergebnis gekommen, daß diesbezüglich ein Wiederaufnahmsgrund nicht vorliegt. Zur Frage der nachträglichen steuerlichen Erfassung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus den Jahren 1976 und 1978 (oben d) fehlt es überhaupt an einer Erwähnung im angefochtenen Bescheid. Neue Tatsachen und Beweismittel im Bereich von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus einer Hausgemeinschaft hätten allenfalls nur zur Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens führen können.

Zur Frage der im Mittelpunkt der gegensätzlichen Ausführungen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stehenden Behandlung der Darlehenszinsen schließlich (oben c) wurde in Tz 12 des Berichtes nur festgehalten, im Jahre 1968 sei ein Privatdarlehen aufgenommen worden, um fällige Personensteuer-Rückstände zu bezahlen. Daraus läßt sich nicht erkennen, daß im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO bedeutsame Tatumstände oder Beweismittel neu hervorgekommen wären. Obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ausdrücklich behauptet hat, die Aufnahme und die Verwendung der beiden Darlehen sei dem Finanzamt längst bekannt gewesen, dieses habe aber dessenungeachtet die Aufnahme der Darlehen in die Bilanz der Austria Molkerei zur Kenntnis genommen und die dafür geleisteten Zinsenzahlungen als Betriebsausgaben anerkannt, hat die belangte Behörde die Darlegung von Ermittlungsergebnissen, die zur Annahme des Hervorkommens neuer Tatsachen geführt haben, im angefochtenen Bescheid unterlassen.

Auch der Hinweis der belangten Behörde, der Zusammenhang der Darlehensaufnahmen mit der Bezahlung von Einkommensteuerschulden sei aus den Unterlagen (insbesondere auch aus den Bilanzen) für die Jahre 1973 bis 1978 nicht zu ersehen, stellt keine taugliche Begründung für die im angefochtenen Bescheid bestätigte Wiederaufnahme dar, weil damit allein noch nicht die Berufungsbehauptung widerlegt ist, wonach diese Umstände dem Finanzamt bekannt gewesen seien. Es war auch nicht Sache der Beschwerdeführerin, das Nichtvorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes nachzuweisen, sondern Aufgabe der Abgabenbehörden, die von ihnen verfügte Wiederaufnahme durch unmißverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen seien.

Die Beschwerdeführerin erhebt daher mit Recht den Vorwurf, daß die amtswegige Wiederaufnahme im Beschwerdefall nicht auf gesetzmäßige Weise zustande gekommen ist.

Der angefochtene Bescheid erweist sich demnach schon in der Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin in den Streitjahren mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. Er war daher - ohne daß darauf einzugehen war, ob die strittigen Zinsen als Betriebsausgaben zu behandeln waren oder nicht - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG im Umfang der Anfechtung aufzuheben.

Bei diesem Verfahrensergebnis konnte von der Abhaltung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 30. September 1987

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