VwGH 87/11/0006

VwGH87/11/000620.12.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des A in B, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 26. Juni 1986, Zl. MA 12‑12310/83 A, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Wr 1973 §4
SHG Wr 1973 §8 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987110006.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 20. Dezember 1985 stellte der Beschwerdeführer den Antrag „auf Kostenübernahme von einer Restschuld gegenüber der Wohnhausverwaltung“. Er sei nicht in der Lage, den „Restbetrag von S 2.700,--“ zu bezahlen und laufe daher Gefahr, mit seiner bei ihm wohnenden Tochter obdachlos zu werden. In einer weiteren Eingabe vom 11. Jänner 1986 mit dem Betreff „Dienstaufsichtsbeschwerde“ urgierte er sein Begehren auf Übernahme der „offenen Mietkosten“.

Daraufhin erging der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - Sozialreferat für den 10. Bezirk vom 9. Mai 1986, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers „vom 11.1.1986 auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes“ mit der Begründung abgewiesen wurde, das anrechenbare Einkommen des Beschwerdeführers (Notstandshilfe) übersteige die im vorliegenden Fall anwendbare Richtsatzsumme (inklusive Mietanteil), daher sei der notwendige Lebensbedarf gedeckt. Die weiteren Ausführungen befassen sich damit, aus welchen Gründen die begehrte Übernahme des Mietzinsrückstandes auch als „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ nicht in Frage komme.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 26. Juni 1986 unter Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides abgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Dieser trat jedoch die Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung durch Beschluß vom 9. Dezember 1986, B 641/86, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Fall ging es nicht um einen Bedarf im Sinne des § 13 Abs. 6 WSHG, insbesondere nicht um die Deckung des laufenden Unterkunftsbedarfes (Mietbedarfes) des Beschwerdeführers, sondern um die Übernahme eines (nach der Aktenlage aus der Zeit von April bis einschließlich Juli 1985 stammenden) Mietzinsrückstandes von S 2.736,28. Eine derartige Mietschuld vermag nun als solche - sofern der laufende Unterkunftsbedarf des Hilfesuchenden gesichert ist - mangels einer „bestehenden Notlage“ (§ 4 erster Satz WSHG) noch keinen Anspruch auf Sozialhilfe zu begründen (siehe dazu sinngemäß die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1985, Zl. 83/11/0102, und vom 3. Dezember 1986, Zl. 85/11/0026). Anderes gilt freilich dann, wenn infolge einer offenen Mietschuld eine Notlage, insbesondere in Ansehung des Unterkunftsbedarfes des Hilfesuchenden, droht. Diesfalls besteht gemäß § 4 erster Satz WSHG ein Anspruch auf vorbeugende Gewährung von Sozialhilfe (siehe das bereits erwähnte Erkenntnis Zl. 83/11/0102). Das gilt entgegen der Meinung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift mangels einer entsprechenden unterschiedlichen Regelung im Gesetz auch dann, wenn die Mietschuld einer Zeit entstammt, in der der Betreffende noch nicht hilfsbedürftig im Sinne des WSHG war.

Im vorliegenden Beschwerdefall blieb ungeklärt, ob für den Beschwerdeführer, der drohende Obdachlosigkeit behauptet hatte, im Fall der Nichtbezahlung der offenen Mietschuld, diese Gefahr tatsächlich bestand. Sollte sie tatsächlich vorgelegen sein, so war der Beschwerdeführer verpflichtet, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten der ihm insoweit drohenden Notlage vorzubeugen. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des Wiener Sozialhilfegesetzes, wonach ein Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes (nur) demjenigen zusteht, der den Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält (§ 8 Abs. 1), und Hilfe nur insoweit zu gewähren ist, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfesuchenden nicht ausreichen, um den Lebensbedarf zu sichern (§ 10 Abs. 1).

Der Beschwerdeführer hat seinen vermeintlichen Anspruch auf Sozialhilfe bereits in seiner Berufung damit begründet, daß er zum Unterhalt seiner in Polen lebenden Ehegattin sowie ihrer vier Kinder verpflichtet sei, und die aus diesem Titel geleisteten Zahlungen mit S 2.000,-- monatlich beziffert. Er hat dieses Vorbringen auch in seiner Beschwerde aufrechterhalten. Der Beschwerdeführer hat damit den Bestand einer weiteren Verpflichtung neben jener zur Begleichung der offenen Mietschuld als Begründung seines Anspruches auf Sozialhilfe zur Abstattung der letzteren Verbindlichkeit ins Treffen geführt. Er vermag damit für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen. Unter der Annahme der Richtigkeit seines Vorbringens über die ihm obliegende Unterhaltsverpflichtung war der Beschwerdeführer zur Erbringung von Unterhaltsleistungen jedenfalls in dem Umfang nicht fähig, als er durch die Zahlung von Alimenten selbst in eine Notlage geraten wäre. Hat eine Person mehrere Verbindlichkeiten und droht ihr aus der Nichterfüllung einer dieser Schulden eine Notlage in Ansehung ihres Lebensbedarfes, so ist sie unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Sozialhilfe verpflichtet, in erster Linie diese Verbindlichkeit zu erfüllen.

Aus dem Gesagten folgt: Wenn und solange der Beschwerdeführer infolge Nichtbezahlung der Mietschuld von S 2.736,28 der Gefahr einer Notlage, insbesondere der Obdachlosigkeit ausgesetzt war, war er unter dem Gesichtspunkt der Sozialhilfe in erster Linie zur Begleichung dieser Mietschuld zwecks Vermeidung einer andernfalls drohenden Notlage verpflichtet. Er war dazu in Anbetracht der nach seinem eigenen Vorbringen erbrachten Alimentationszahlung von S 2.000,-- monatlich auch in der Lage - nach den unbestrittenen Annahmen der belangten Behörde bezog der Beschwerdeführer ein monatliches Einkommen von S 4.980,-- (Notstandshilfe); der für den Beschwerdeführer geltende Richtsatzbetrag und die von ihm zu zahlende Miete ergaben zusammen den Betrag von S 3.672,--. Da der Beschwerdeführer sein Einkommen nicht zur Begleichung der Mietschuld verwendet hat, obwohl er nach dem Gesagten dazu verpflichtet und auch in der Lage war, hat die belangte Behörde einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Übernahme der Mietschuld aus Mitteln der Sozialhilfe im Ergebnis zu Recht verneint.

Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 20. Dezember 1988

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