VwGH 85/17/0030

VwGH85/17/003029.11.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Kramer, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Tobola, über die Beschwerde des Dr. JV in S, gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 29. Jänner 1985, Zl. II-123/23-1985, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages in Angelegenheit von Kanalanschlußgebühren (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs3;
VwGG §42 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.330,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.0. Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

1.1. Mit Eingaben vom 5. und 7. Mai 1984 erhob der Beschwerdeführer jeweils Vorstellung gegen zwei Bescheide des Gemeinderates der Gemeinde S vom 30. April 1984 betreffend die Kanalanschlußgebühr für die Häuser S. 9 und Nr. 69. Da die Bezirkshauptmannschaft Oberwart als Gemeindeaufsichtsbehörde in der Folge säumig geworden war, brachte der Beschwerdeführer am 15. November 1984 einen erkennbar auf § 73 Abs. 2 AVG 1950 gestützten Devolutionsantrag ein.

In der Folge stellte die Bezirkshauptmannschaft Oberwart am 4. Dezember 1984 die beiden Vorstellungsbescheide vom 22. Oktober und vom 29. November 1984 zu, mit welchen sie die Bescheide des Gemeinderates aufhob und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwies. Gegen diese Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Oberwart erhob der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof je eine Beschwerde zu den Zlen. 84/17/0213 und 84/17/0214 und machte darin Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft geltend.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Übergang der Entscheidungspflicht betreffend die genannten Vorstellungsverfahren der Bezirkshauptmannschaft Oberwart gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 zurück. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, daß es der Oberbehörde infolge der Nachholung der Bescheide durch die säumige Bezirkshauptmannschaft nicht mehr möglich sei, eine Entscheidung in der Sache, also eine Erledigung der Vorstellungen selbst, zu treffen. Der Einschreiter habe jedoch einen Rechtsanspruch darauf, daß über seinen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht entschieden werde. Da eine Sachentscheidung nicht möglich sei, sei der Devolutionsantrag zurückzuweisen.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der der Beschwerdeführer geltend macht, daß mit dem Einlangen seines Devolutionsantrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung auf diese Behörde übergegangen sei. Die Zuständigkeit sei der bisher zuständigen Behörde endgültig entzogen (VfSlg. 3011). Dadurch, daß die belangte Behörde den Devolutionsantrag zurückgewiesen habe, sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Sachentscheidung verletzt worden.

1.4. Mit Erkenntnissen vom 13. November 1985, Zlen. 84/17/0213 und 84/17/0214, hob der Verwaltungsgerichtshof die unter Punkt 1.1. genannten Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Oberwart antragsgemäß wegen Unzuständigkeit dieser Behörde auf.

1.5. Die im vorliegenden Beschwerdeverfahren belangte Burgenländische Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

 

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof kann im Beschwerdefall die Frage dahingestellt sein lassen, ob die belangte Burgenländische Landesregierung die unzuständigerweise von der Bezirkshauptmannschaft Oberwart nachgeholten Bescheide zum Anlaß einer Einstellung des bei ihr anhängigen Verfahrens über den Devolutionsantrag wegen Gegenstandslosigkeit nehmen (oder - wie sie es getan hat - mit Zurückweisung vorgehen) durfte oder ob sie nicht dennoch eine Sachentscheidung zu treffen gehabt hätte. Die Prüfung dieser Frage erübrigt sich nämlich im Hinblick auf das mittlerweile ergangene hg. Erkenntnis vom 13. November 1985, Zlen. 84/17/0213 und 84/17/0214, und zwar aus nachstehenden verfahrensrechtlichen Erwägungen:

2.2. Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt die Rechtssache durch die verwaltungsgerichtliche Aufhebung des angefochtenen Bescheides in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte.

Die in dieser Bestimmung normierte "ex-tunc"-Wirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Oktober 1978, Zlen. 1785 bis 1787/78 = ZfVB 1979/3/871, und die dort zitierte Vorjudikatur) bedeutet, daß der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet auch, daß allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs-)Akten, die während der Geltung des dann vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, im nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 185, und das eben zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Oktober 1978).

Da nun der angefochtene Zurückweisungsbescheid und die (unzuständigerweise) nachgeholten Vorstellungsbescheide der Bezirkshauptmannschaft Oberwart nicht darüber hinaus in einem gesetzlich normierten, untrennbaren Zusammenhang - etwa nach Art des stufenförmigen Aufbaues von Titelbescheid und einer Abfolge von Vollstreckungsakten (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1956, Slg. N. F. Nr. 4084/A; vgl. aber auch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 1976, Slg. Nr. 7908, und vom 23. Juni 1982, B 453/79 = ZfVB 1983/2/916, und die dort als untrennbar aufgefaßten Verfahrenszusammenhänge) - stehen, ist der angefochtene Bescheid der Landesregierung durch die verwaltungsgerichtliche Aufhebung der Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Oberwart normativ nicht etwa in Wegfall geraten, sondern hat infolge der "ex-tunc"-Wirkung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes die von der belangten Behörde zur Begründung herangezogene Basis verloren. Die Rechtslage ist daher so zu beurteilen, als ob die Bezirkshauptmannschaft Oberwart über die beiden Vorstellungen nach wie vor nicht entschieden hätte.

Der angefochtene Zurückweisungsbescheid erweist sich daher schon aus diesem Grunde als inhaltlich rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie 59 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985, wobei der Kostenersatz nur im begehrten Ausmaß zuzusprechen war.

2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 29. November 1985

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte