VwGH 85/07/0194

VwGH85/07/019425.4.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Fürnsinn, Dr. Zeizinger und Dr. Kremla als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde der Verlassenschaft nach JH sen., vertreten durch den erbserklärten Erben JH jun., dieser vertreten durch Dr. Roland Paumgarten, Rechtsanwalt in Kufstein, Josef-Egger-Straße 3, gegen den Bescheid des Obersten Agrarsenates beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft vom 6. Juli 1983, Zl. 710.494/01-OAS/83, betreffend agrargemeinschaftliche Rechte (mitbeteiligte Partei: MN geb. H in K, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, Rathausplatz 2), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FlVfGG §15 Abs1;
FlVfGG §15 Abs2;
FlVfGG §17;
FlVfLG Tir 1978 §38;
FlVfLG Tir 1978 §73 lita;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FlVfGG §15 Abs1;
FlVfGG §15 Abs2;
FlVfGG §17;
FlVfLG Tir 1978 §38;
FlVfLG Tir 1978 §73 lita;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 9.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der die beschwerdeführende Partei vertretende erbserklärte Erbe ist Sohn des Erblassers und alleiniger Testamentserbe. Der Erblasser war Eigentümer der Liegenschaft EZ. 211 I KG X; mit dem Eigentum an dieser Liegenschaft war das Eigentum an der sogenannten A-alpe EZ. 239 II KG Y verbunden. Diese Alpe hat der Erblasser durch letztwillige Verfügung der nun am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Partei als Vermächtnis zugewendet. Mit Anbringen vom 29. März 1982 ersuchte die Mitbeteiligte um agrarbehördliche Genehmigung des Erwerbes dieser Alpe, falls es einer solchen bedürfe, andernfalls um entsprechende Verständigung.

Mit Bescheid vom 21. April 1982 entschied hierüber das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz gemäß § 33 Abs. 1 lit. b, § 38 Abs. 3 und 4 lit. d sowie § 73 des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes 1978, LGBl. Nr. 54 (TFLG 1978), wie folgt:

1) Die A-alpe in EZl. 239 II KG. Y stellt ein agrargemeinschaftliches Grundstück dar.

2) Die Absonderung der Mitgliedschaft an der Agrargemeinschaft A-alpe von der bisher alleinberechtigten Liegenschaft in EZl. 211 I KG. X ("U") wird verweigert.

Der Berufung der Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid wurde hierauf mit Erkenntnis des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 14. Oktober 1982 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 1 AgrVG 1950) in Verbindung mit § 33 Abs. 1 lit. b und § 38 Abs. 2 TFLG 1978 "Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid wegen Rechtswidrigkeit behoben", weil nach Ansicht dieser Rechtsmittelbehörde bei Vorhandensein nur eines (einzigen) Nutzungsberechtigten - die besagte Alpe gehört nur dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft "U" nicht mehr von einer Agrargemeinschaft bzw. einem agrargemeinschaftlichen Grundstück gesprochen werden könne und deshalb für die Aufhebung der realrechtlichen Bindung eine agrarbehördliche Absonderungsbewilligung nicht erforderlich sei.

Die von der Beschwerdeführerin gegen dieses Erkenntnis erhobene Berufung wies der Oberste Agrarsenat beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mit Erkenntnis vom 6. Juli 1983 gemäß § 1 AgrVG 1950 und § 66 Abs. 4 AVG 1950 sowie § 33 Abs. 1 lit. b und § 34 Abs. 1 TFLG 1978 ab und stellte gleichzeitig fest, daß

1. die A-alpe in EZ. 239 II KG Y kein agrarmeinschaftliches Grundstück darstellt und

2. die Agrargemeinschaft A-alpe nicht mehr besteht.

Begründend führte der Oberste Agrarsenat, nachdem er seine Zuständigkeit geprüft und bejaht hatte, dazu aus, es sei zunächst die Frage zu erörtern, ob im Beschwerdefall ein agrargemeinschaftliches Grundstück vorliege; (nur) bei positiver Beantwortung dieser Frage müßte in der Folge auf das Problem der Absonderung eingegangen werden. § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 setze für den Bestand eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes zwingend eine Mehrheit von Berechtigten und die gemeinschaftliche oder wechselweise Nutzung des Grundstückes voraus. Die im Beschwerdefall betroffene Alpe stehe aber im Alleineigentum des jeweiligen Eigentümers der Liegenschaft EZ. 211 I KG X, der das alleinige Nutzungsrecht habe. Bis zum Jahr 1950 seien mit der EZ. 211 I KG X (nur) 47/73 ideelle und ungeteilte Anteile an der Alpe verbunden gewesen. Am 8. Mai 1950 sei jedoch mit Genehmigung der Agrarbehörde ein Kaufvertrag abgeschlossen worden, kraft dessen die restlichen 26/73 Anteile an der Alpe von der EZ. 180 I KG Z auf die EZ. 211 I KG X übergegangen seien. Seit jenem Tag seien alle Anteilsrechte an der Alpe mit der EZ. 211 I KG X verbunden gewesen. Schon aus diesem Grund sei seit der Vereinigung des Eigentums an allen Anteilsrechten in einer Hand die Qualifikation der Alpe als agrargemeinschaftliches Grundstück beendet gewesen. Sie sei (damit) ins Eigentum derjenigen Person übergegangen, die das Eigentum an der letzten verbliebenen Stammsitzliegenschaft EZ. 211 I KG X mit allen Anteilsrechten habe. Aus § 33 Abs. 1 lit. b und § 34 Abs. 1 TFLG 1978 ergebe sich, daß unter dem in der Definition der agrargemeinschaftlichen Grundstücke erwähnten Recht, kraft dessen die agrargemeinschaftlichen Grundstücke genutzt werden könnten, die Zugehörigkeit der nutzungsberechtigten Person zu einer Agrargemeinschaft zu verstehen sei. Es ergebe sich ferner daraus, daß zwischen den agrargemeinschaftlichen Grundstücken und den Agrargemeinschaften insofern eine rechtserhebliche gegenseitige Beziehung bestehe, als es keine Agrargemeinschaften ohne agrargemeinschaftliche Grundstücke gebe, und nur ein Angehöriger einer Agrargemeinschaft die agrargemeinschaftlichen Grundstücke zu nutzen berechtigt sei. Mit der Beendigung der Qualifikation der Alpe als agrargemeinschaftliches Grundstück sei auch die betreffende Agrargemeinschaft nicht mehr existent gewesen und sei auch der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Innsbruck vom 9. Juni 1926, mit welchem ein Wirtschaftsplan und Verwaltungsstatut für die Alpe aufgestellt worden sei, wirkungslos geworden, da nun ein völlig neuer rechtserheblicher Sachverhalt vorliege. Eine agrarbehördliche Absonderungsbewilligung sei daher für die Aufhebung der realrechtlichen Bindung nicht erforderlich.

Das Erkenntnis des Obersten Agrarsenates bekämpfte die Beschwerdeführerin zunächst vor dem Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde jedoch mit Beschluß vom 7. Juni 1985, B 551/83, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Vor diesem Gerichtshof macht die Beschwerdeführerin inhaltliche sowie Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, wobei sie sich nach ihrem ganzen Vorbringen in dem Recht, daß der erstinstanzliche Bescheid aufrechterhalten werde, verletzt erachtet.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerde beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, sie habe mit der getroffenen Entscheidung die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten. Hierauf ist zuerst einzugehen, weil das angefochtene Erkenntnis bereits deswegen aufgehoben werden müßte, träfe der Einwand zu. Das ist indessen nicht der Fall. Der erstinstanzliche Bescheid wurde von der Mitbeteiligten mit Berufung in seinen beiden Spruchpunkten bekämpft. Mit dem Erkenntnis des Landesagrarsenates wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Sache, und zwar im selben Umfang, den sie als Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides gehabt hatte, entschieden, wobei die Behebung des Bescheides der Vorinstanz damit begründet wurde, daß die betroffene Alpe kein agrargemeinschaftliches Grundstück und deshalb keine agrarbehördliche Absonderungsbewilligung erforderlich sei. Sache des Berufungsverfahrens vor der nun belangten Behörde war wiederum der eben bezeichnete Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesagrarsenat. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Erkenntnis in der zuvor bezeichneten Hinsicht zur selben Rechtsanschauung wie der Landesagrarsenat bekannt, hat ihr jedoch spruchmäßig einen anderen Ausdruck verliehen. Dabei wurde der Rahmen, innerhalb dessen die belangte Behörde zuständigerweise tätig werden durfte, gewahrt, da die Sache des Berufungsverfahrens, wie gezeigt, gleich geblieben war und ihr als Berufungsbehörde das Recht zur Abänderung nach jeder, somit auch nach der bezeichneten Richtung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 zustand.

Unter dieser Voraussetzung mußte - ausgehend vom Rechtsstandpunkt der zweiten und dritten Instanz - einerseits die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen werden, denn deren Rechtsansicht, die sich mit jener des Bescheides erster Instanz deckte, wurde von der belangten Behörde nicht geteilt. Spruchmäßig war andererseits die (in Übereinstimmung mit jener der Mittelinstanz stehende) Anschauung der belangten Behörde damit noch nicht ausgedrückt worden. Im Erkenntnis des Landesagrarsenates war zudem offengeblieben, ob die Agrarbehörde erster Instanz überhaupt noch eine Entscheidung zu treffen habe. Weder das Unterbleiben einer solchen aber hätte dem Gesetz entsprochen - weil damit das Anbringen der Mitbeteiligten unerledigt gelassen worden wäre - noch eine neuerliche, nun der Rechtsansicht des Landesagrarsenates Rechnung tragende Entscheidung in der Sache durch die Agrarbehörde erster Instanz, denn dafür bestand kein Anlaß; insbesondere war die Behebung nicht nach § 66 Abs. 2 AVG 1950 (in Anbetracht eines qualifizierten mangelhaften Sachverhaltes), verbunden mit einer Rückverweisung der Angelegenheit, erfolgt. Hätte also richtigerweise der Landesagrarsenat den von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt in adäquater Weise in den Spruch seines Erkenntnisses aufnehmen müssen, war die belangte Behörde ihrerseits berechtigt, den darin gelegenen Fehler kraft ihrer Abänderungsbefugnis in der Sache - wie geschehen - inhaltlich richtigzustellen.

Die Mitbeteiligte hatte an die Agrarbehörde das Ersuchen gerichtet, ihrem Legatserwerb die agrarbehördliche Genehmigung zu erteilen oder bekanntzugeben, daß ihr Liegenschaftserwerb einer agrarbehördlichen Genehmigung nicht bedürfe. Bevor die Agrarbehörde eine meritorische Entscheidung über die Trennung des Eigentums an der Alpe von jenem an der Liegenschaft "U" treffen konnte, war klarzustellen, ob die Aufhebung der realrechtlichen Bindung als eine, agrarbehördlich bewilligungsbedürftige, Absonderung einer agrargemeinschaftlichen Mitgliedschaft anzusehen war, wofür wiederum die Voraussetzung bildete, daß insofern ein agrargemeinschaftliches Verhältnis vorlag. Diese - somit notwendigerweise zu beantwortende - Frage hat die belangte Behörde verneint, und zwar nicht lediglich im Weg einer Vorfragenbeurteilung, sondern - wofür sie gemäß § 73 lit. a TFLG 1978 zuständig war - in Form einer spruchmäßigen Entscheidung. Aus der betreffenden Feststellung folgte unmittelbar das Fehlen der bezeichneten Bewilligungspflicht, wobei dahinstehen kann, ob auch hierüber eine spruchmäßige Aussage zu treffen gewesen wäre, denn durch das Unterbleiben einer solchen ist jedenfalls in Rechte der Beschwerdeführerin nicht eingegriffen worden. Mit der zusätzlichen Feststellung im Spruchpunkt 2 des angefochtenen Erkenntnisses ist in Verbindung mit den dazugehörigen Begründungselementen verdeutlicht worden, worauf der fehlende agrargemeinschaftliche Charakter der Alpe zurückgeht. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang nicht etwa deswegen die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten, weil sie - wiewohl gemäß § 73 lit. a TFLG 1978 hiezu, und zwar schon von Amts wegen, berechtigt -

insoweit das von der Frage nach der rechtlichen Qualifikation der Alpe beherrschte Prozeßthema verfehlt hätte; denn der innere Zusammenhang mit diesem ist bereis aufgezeigt und im angefochtenen Erkenntnis ausführlich dargelegt worden.

Die oben wiedergegebene Argumentation selbst aber, die die belangte Behörde zu ihrer Rechtsanschauung führte - wonach die Vereinigung aller Anteilsrechte in Bindung an eine einzige Liegenschaft die früher bestehende Agrar"gemeinschaft" aufgelöst hat und ohne eine solche das fragliche Grundstück nicht als agrargemeinschaftlich angesehen werden kann -, ist durch das Gesetz gedeckt. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel geltend macht, ist ihr zunächst zu erwidern, daß schon in ihrer Berufung und zuletzt in der Verhandlung vor der belangten Behörde Gelegenheit zu dem ihr erforderlich erscheinenden Vorbringen zur Wahrung ihrer Rechte bestand. Was sodann den entscheidungsrelevanten Sachverhalt als solchen betrifft, hat die belangte Behörde im Vergleich zu dem vom Landesagrarsenat verwerteten Material lediglich noch auf den - von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellten Umstand des genannten agrarbehördlich genehmigten käuflichen Erwerbes im Jahr 1950 Bedacht genommen. Die die wirtschaftliche Bedeutung der Alpe für die Liegenschaft EZ. 211 I KG X behandelnden Ausführungen der Beschwerdeführerin ferner gehen an der maßgebenden Tatsache vorbei, daß seitens der belangten Behörde nicht darüber, sondern über den agrargemeinschaftlichen Charakter der realrechtlichen Zuordnung zu befinden war und entschieden wurde. Unzutreffend ist des weiteren die Annahme der Beschwerdeführerin, es wäre durch die belangte Behörde eine Absonderung "bewilligt" worden - da es doch in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses (folgerichtig) vielmehr heißt, eine solche im Sinn des § 38 TFLG 1978 sei "nicht erforderlich" -, oder es hätte die belangte Behörde die Zugehörigkeit zu einer Agrargemeinschaft "aufgehoben", während lediglich die Feststellung vom Nichtbestand einer solchen seit einem näher angegebenen Zeitpunkt ausgesprochen wurde. Es trifft schließlich auch nicht zu, daß von der belangten Behörde die Frage hätte geklärt werden müssen, ob es irgendwelche anderen agrargemeinschaftlichen Nutzungsberechtigten in bezug auf die in Rede stehende Alpe gebe; denn nach den Bestimmungen des Verwaltungsstatutes aus 1926 waren die Anteilsrechte nur an die dort angegebenen beiden Stammsitzliegenschaften (von denen die eine 1950 diese Qualität eingebüßt hat) gebunden.

Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 25. April 1989

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