Normen
SHG Wr 1973 §11 Abs2;
SHG Wr 1973 §11;
SHG Wr 1973 §12;
SHG Wr 1973 §13 Abs6;
SHG Wr 1973 §4;
SHG Wr 1973 §6;
SHG Wr 1973 §7;
SHG Wr 1973 §8;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984110286.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 19. Dezember 1983 wurde gemäß § 8 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. Nr. 11/1973, der Antrag des Beschwerdeführers vom 29. September 1983 auf Abdeckung des bestehenden Mietenrückstandes und Übernahme der laufenden Miete auf Haftdauer für die Wohnung in W, N-gasse , abgelehnt. Die Behörde stehe auf dem Standpunkt, daß der Lebensdarf eines Strafgefangenen während der Haft durch die Unterbringung und Verpflegung in einer Strafvollzugsanstalt sowie andere Maßnahmen des Strafvollzuges gedeckt sei. Aus diesem Grunde bestehe auf Leistungen der Sozialhilfe während der Haft kein Rechtsanspruch, es sei denn, der Strafgefangene sei gegenüber anderen Personen, die ihren Unterhalt nicht bestreiten können, unterhaltspflichtig. Daher liege die Übernahme der Bezahlung einer Wohnungsmiete während der Haft im Ermessen des Sozialamtes. In der Regel fänden Fälle, in denen die Haftdauer sechs Monate nicht übersteige und die Miete nicht übermäßig hoch sei, Berücksichtigung. Laut Auskunft des Sozialen Dienstes der Strafvollzugsanstalt Garsten ende die Haft des Beschwerdeführers voraussichtlich erst am 6. Oktober 1991. Die Magistratsabteilung 52 habe bekannt gegeben, daß der Mietzinsrückstand für die Wohnung des Beschwerdeführers für die Monate April 1980 bis November 1983 S 22.782,63 und der Mietzins derzeit S 724,65 monatlich betrage. Im (gegen den Beschwerdeführer anhängigen) Kündigungsverfahren sei bisher noch kein Urteil ergangen. Im Hinblick auf die lange Haftdauer von 13 Jahren, die nur wegen eines schweren Verbrechens möglich sei, das auf einem besonders sozialschädlichen Verhalten beruhe sowie das ohnehin bereits laufende gerichtliche Kündigungsverfahren, sehe die Behörde keine Veranlassung, den bisher angefallenen Rückstand und die laufende Miete zu übernehmen.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluß vom 3. Oktober 1984, Zl. B 80/84, ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem in § 8 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 11 und 12 WSHG verankerten Recht auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, insbesondere auf Abdeckung des bestehenden Mietenrückstandes und Übernahme der laufenden Miete auf Haftdauer, und weiters in seinem Recht auf Parteiengehör und Feststellung des für die Erledigung der gegenständlichen Sache maßgeblichen Sachverhaltes verletzt. Begehrt wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die "Abdeckung des bestehenden Mietenrückstandes und Übernahme der laufenden Miete auf Haftdauer" aus Mitteln der Sozialhilfe, nicht jedoch darüber hinausgehende Ansprüche des Beschwerdeführers aus dem Titel des Lebensbedarfes abgelehnt. Daher gehen alle Beschwerdeausführungen, soweit sie sich auf die zuletzt genannten Ansprüche beziehen, ins Leere.
Gemäß § 8 Abs. 1 WSHG hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes - nach Maßgabe der weiteren Bestimmungen des zweiten Abschnittes dieses Gesetzes -, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Zum Lebensbedarf gehört der Lebensunterhalt (§ 11 Abs. 1 Z. 1). Dieser umfaßt gemäß § 12 leg. cit. insbesondere auch die Unterkunft.
Entgegen der Auffassung der Parteien dieses Verfahrens räumt das WSHG der Behörde bei der Entscheidung über die Gewährung von Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes lediglich in bezug auf die Art der Leistung (Geldleistung, Sachleistung oder persönliche Hilfe) in seinem § 11 Abs. 2 ein (Auswahl‑) Ermessen ein (siehe dazu das zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Vorarlberger Sozialhilfegesetz ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1981, Zl. 81/11/0039), nicht jedoch hinsichtlich der Leistung schlechthin. Daraus folgt:
Vermag eine Person die für sie erforderliche Unterkunft nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln zu beschaffen oder zu erhalten und erhält sie eine solche bzw. die hiefür erforderlichen Mittel auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen, so steht ihr im Sinne der §§ 7 und 8 WSHG ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Sicherung einer Unterkunft zu; andernfalls ist ein Rechtsanspruch zu verneinen.
Der Verwaltungsgerichtshof pflichtet der belangten Behörde insoweit bei, als im Falle der Verbüßung einer Haftstrafe für deren Dauer der Bedarf des Strafgefangenen nach Unterkunft gesichert, somit insoweit und in bezug auf seine Person eine einen Anspruch auf Sozialhilfe begründende Notlage nicht gegeben ist. Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde mit dem Hinweis auf die vom Beschwerdeführer zu verbüßende Haftstrafe zu Recht den geltend gemachten Bedarf nach einer Unterkunft in Wien verneint und die begehrte Geldleistung zur Beibehaltung der Wohnung des Beschwerdeführers aus Mitteln der Sozialhilfe verweigert hat.
Daran vermag auch das Vorbringen des Beschwerdeführers nichts zu ändern, er rechne wegen seiner (durch die angegriffene Gesundheit bedingten) Haftunfähigkeit mit einer baldigen Entlassung und es spräche auch der Gesichtspunkt der nach einer Haftentlassung nötigen "umfangreichen Sozialisierungsmaßnahmen" für die Sicherung des Weiterbehalts seiner Wohnung. Zwar ist gemäß § 4 WSHG Sozialhilfe auch vorbeugend zu gewähren, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine drohende Notlage in Ansehung der Unterkunft, die einen Anspruch auf vorbeugende Sozialhilfe begründet, ist aber jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Bedarf einer Person nach Unterkunft gedeckt ist und der Zeitpunkt des (allfälligen) zukünftigen Entstehens eines solchen Bedarfes nicht mit Gewißheit bereits in Kürze bevorsteht. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe mit der in Rede stehenden Bestimmung beabsichtigt, daß Sozialhilfemittel lediglich zur Abwehr der Gefahr des Verlustes der zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht benötigten Wohnung einer Person eingesetzt werden, zumal nach dem Gebot des § 6 WSHG im Falle des Eintritts des Bedarfes die dann (allenfalls) erforderliche Sozialhilfe ohnedies rechtzeitig einzusetzen hat.
Im Beschwerdefall kann von einer, einen Anspruch auf vorbeugende Sozialhilfe begründenden, drohenden Notlage in Ansehung der Unterkunft des Beschwerdeführers deshalb nicht die Rede sein, weil nach der insoweit unbestritten gebliebenen Sachverhaltsannahme der belangten Behörde die vom Strafgericht mit 13 Jahren bemessene Dauer der Freiheitsstrafe erst im Jahre 1991 endet und nach Aktenlage kein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme gegeben war, der Beschwerdeführer werde tatsächlich bald aus der Strafhaft entlassen werden. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in seinen aus dem Wiener Sozialhilfegesetz erfließenden Rechten verletzt.
Da der für die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage relevante Sachverhalt (nämlich die Tatsache der Verbüßung einer Haftstrafe und deren Dauer) dem Beschwerdeführer bekannt war und von ihm nie bestritten wurde, erweisen sich auch die Verfahrensrügen der mangelhaften Ermittlung des Sachverhaltes und der Nichtgewährung von Parteiengehör als unberechtigt.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 11. Dezember 1985
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
