Normen
LMG 1975 §40 Abs1 litb;
VStG §30 Abs2;
VStG §39 Abs1;
LMG 1975 §40 Abs1 litb;
VStG §30 Abs2;
VStG §39 Abs1;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. April 1983 verfügte der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) unter Berufung auf § 39 Abs. 1 VStG 1950 und § 40 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 7 Abs. 1 lit. c des Lebensmittelgesetzes (LMG 1975) die Beschlagnahme von 217.800 Kapseln a 320 mg des Produktes "SS" incl. der dazugehörigen Werbemittel zur Sicherung des Verfalles und ordnete gemäß § 40 Abs. 4 LMG 1975 an, dass die beschlagnahmte Ware im Betrieb W, N Straße 64, belassen werde.
In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es sei nach dem Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung vom 23. November 1982 die am 27. Oktober 1982 bei der Erstbeschwerdeführerin abgenommene Probe des Produktes "SS" gesundheitsschädlich, weil es bei der empfohlenen Einnahme von 9 bis 45 Kapseln dieses Produktes je Tag unter Einschränkung der übrigen Nahrungsaufnahme zu gesundheitlichen Schäden durch die Aufnahme von Jod und durch mangelnde Zufuhr von Eiweiß, essenziellen Fettsäuren und Vitaminen kommen könne. Ferner sei das Produkt falsch bezeichnet, weil der Beipacktext und die für das Produkt werbenden Zeitungsinserate nach § 9 Abs. 1 LMG 1975 verbotene gesundheitsbezogene Angaben aufwiesen, die überdies auf Grund der Zusammensetzung des Produktes unzutreffend seien, nämlich: "Die Einnahme von S 1/2 Stunde vor der Mahlzeit trägt - abgesehen von ihrem großen Nährwert - dazu bei, die Verminderung der Mahlzeiten besser zu vertragen", "Sie enthält bis zu 70 % Eiweißstoffe", "Als Zusatznahrung für Personen, die unter Gewichtskontrolle stehen, sowie als Eiweißlieferant für Kinder, Sportler und Vegetarier", "Es ist klinisch und wissenschaftlich erwiesen, dass SS einen ausgezeichneten Weg zur Gewichtsabnahme darstellt", "Das neue Abnehmen mit S", "S zum Abnehmen, Saftfasten .... Man trinkt eine Woche lang nur frisch gepresste Fruchtsäfte und nimmt dazu S. Das schwemmt Unreinheiten aus und hilft, etwas rascher abzunehmen", "vertreibt den auftretenden großen Hunger" usw. Auf Grund dieses Gutachtens seien am 26. Jänner 1983 von der Magistratsabteilung 59 - Marktamtsabteilung für den 13./14. Bezirk bei der Erstbeschwerdeführerin 217.800 Kapseln des Produktes "SS" einschließlich der dazugehörigen Werbemittel (gemäß § 39 Abs. 1 VStG 1950 in Verbindung mit § 40 Abs. 1 lit. a Z. 1 und § 40 Abs. 1 lit. b LMG 1950 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 leg. cit.) vorläufig beschlagnahmt worden. Mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 13./14. Bezirk vom 22. Februar 1983 sei die Beschlagnahme dieser Gegenstände gemäß § 39 Abs. 1 VStG zur Sicherung des Verfalls angeordnet worden. In der dagegen eingebrachten Berufung werde geltend gemacht, dass laut dem in Ablichtung vorgelegten Gutachten der Lebensmittelversuchsanstalt Wien 19, Blaasstraße 29, vom 11. Februar 1983, der Jodgehalt des gegenständlichen Produktes selbst bei Genuss der höchstmöglichen auf der Packung angegebenen Menge nur etwa die Hälfte des täglichen Jodbedarfs des Menschen decke und das Produkt daher nicht gesundheitsschädlich sei. Da aus Art und Aufmachung des Produktes für jedermann erkennbar sei, dass es zusätzlich zur täglichen Nahrung genommen werden solle, bestehe keine Gefahr, dass beim Konsumenten Ausfallserscheinungen auftreten. Sollten gesundheitsbezogene Angaben über das Produkt tatsächlich nach § 9 Abs. 1 LMG 1975 verboten gewesen sein, so liege kein schwer wiegender Verstoß gegen das LMG 1975 vor, der eine Beschlagnahme rechtfertige.
Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres Bescheides weiter aus, es stehe unbestritten fest, dass es sich beim Produkt "SS" um eine dem LMG 1975 unterliegende Ware handle, die einer Beschlagnahme nach § 40 LMG 1975 zugänglich sei, und dass dieses Produkt zur Zeit der Beschlagnahme bereits in Verkehr gebracht gewesen war. Falls das Produkt gesundheitsschädlich sei, sei sein Inverkehrbringen nach § 56 Abs. 1 Z. 1 LMG 1975 oder - bei fahrlässiger Begehung - nach § 57 Abs. 1 LMG 1975 gerichtlich strafbar. Da die Verwaltungsbehörde nach § 40 Abs. 2 LMG 1975 zur Erlassung eines Beschlagnahmebescheides nur insoweit zuständig sei, als der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vorliege, habe sich die belangte Behörde auf die Prüfung zu beschränken gehabt, ob durch das Inverkehrbringen des Produktes mit den von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung zitierten Angaben im Beipacktext und in den Zeitungsinseraten der begründete Verdacht eines nach § 74 Abs. 1 LMG 1975 als Verwaltungsübertretung strafbaren Verstoßes gegen das Verbot des § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975, falsch bezeichnete Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, bestehe und ob dieser Verstoß besonders schwer wiegend sei und daher die Beschlagnahme nach § 40 Abs. 1 lit. b LMG 1975 rechtfertige.
Die belangte Behörde führte in der Begründung ihres Bescheides weiter aus, dass im vorliegenden Fall die Angaben über den großen Nährwert des Produktes und dessen Eignung zur Bekämpfung des Hungergefühls und zur Gewichtsabnahme Hinweise auf physiologische, insbesondere schlankmachende Wirkungen darstellten und nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 9 Abs. 1 lit. a LMG 1975 ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt unter das Verbot gesundheitsbezogener Angaben fielen. Die Angaben über den Eiweißgehalt des Produktes stellten eine falsche Bezeichnung im Sinne des § 8 lit. f LMG 1975 dar, weil sie nach dem in dieser Hinsicht von den Beschwerdeführern gar nicht bestrittenen Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und - forschung unwahr und daher zur Irreführung über einen nach der Verkehrsauffassung wesentlichen Gehalt an einem wertbestimmenden Bestandteil geeignet seien. Das Inverkehrbringen des Produktes mit all diesen Angaben falle unter das Verbot des § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975. Im Hinblick auf die Vielzahl der unzulässigen gesundheitsbezogenen bzw. falschen Angaben sei der begründete Verdacht eines besonders schwer wiegenden Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 zu bejahen (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Oktober 1982, Zl. 81/10/0146).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher, in eventu wegen formaler Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Beschwerdeführer erachten sich in dem Recht, dass die gegenständliche Beschlagnahme nicht verfügt werde, verletzt und bringen dazu im wesentlichen vor, dass gegen den Zweitbeschwerdeführer als lebensmittelrechtlich Verantwortlichen und im Rahmen der Haftungsbeteiligung auch gegen die erstbeschwerdeführende Gesellschaft beim Strafbezirksgericht Wien ein Strafverfahren anhängig sei, in dem es u.a. um fahrlässige Gesundheitsschädlichkeit des Produktes "SS" gemäß § 57 und um wissentliche Falschbezeichnung dieses Produktes gemäß § 63 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 gehe. Da gegen "die Beschwerdeführer" ein gerichtliches Strafverfahren wegen wissentlicher Falschbezeichnung anhängig sei, fehle es der Verwaltungsbehörde auf Grund der Bestimmung des § 30 Abs. 2 VStG an der Voraussetzung einer von der Verwaltungsbehörde zu ahndenden strafbaren Handlung und damit am Recht zur Beschlagnahme durch die Verwaltungsbehörde. Eine gerichtliche Beschlagnahme sei, obwohl das gerichtliche Strafverfahren sowohl wegen § 57 als auch wegen § 63 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 anhängig sei, nicht erfolgt, weil sich das Gericht offenbar auf den Standpunkt gestellt habe, dass weder die etwaige fahrlässige Herbeiführung von Gesundheitsschädlichkeit noch die wissentliche Falschbezeichnung eine gerichtliche Beschlagnahme rechtfertigten. Es sei daher umso weniger eine verwaltungsbehördliche Beschlagnahme wegen nicht wissentlicher Falschbezeichnung mangels gesetzlicher Grundlagen gerechtfertigt.
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 ist es verboten, Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die falsch bezeichnet sind.
Gemäß § 8 lit. f dieses Gesetzes sind Lebensmittel, Verzehrprodukte und Zusatzstoffe falsch bezeichnet, wenn sie mit zur Irreführung geeigneten Angaben über Umstände, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung, wesentlich sind, wie über Art, Herkunft, Verwendbarkeit, Haltbarkeit, Zeitpunkt der Herstellung, Beschaffenheit, Gehalt an wertbestimmenden Bestandteilen, Menge, Maß, Zahl oder Gewicht, oder in solcher Form oder Aufmachung oder mit verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben (§ 9) in Verkehr gebracht werden.
§ 9 leg. cit. lautet wie folgt:
"(1) Es ist verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen
a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jungerhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;
b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;
c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.
(2) Die Verbote des Abs. 1 gelten nicht für jene althergebrachten Bezeichnungen, die keinerlei Zweifel über die Beschaffenheit der Ware zulassen.
(3) Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist. Der Bescheid ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr gegeben sind."
Gemäß § 74 Abs. 1 LMG 1975 macht sich, sofern die Tat nicht nach § 63 Abs. 2 Z. 1 einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen, wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, kosmetische Mittel oder Gebrauchsgegenstände der im § 6 lit. a, b oder e bezeichneten Art falsch bezeichnet, oder Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe, kosmetische Mittel, die falsch bezeichnet sind, oder solche falsch bezeichneten Gebrauchsgegenstände in Verkehr bringt.
Gemäß § 63 Abs. 2 Z. 1 ist mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen, wer entgegen im Österreichischen Lebensmittelbuch darüber bestehenden Bestimmungen Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe wissentlich falsch bezeichnet oder Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, von denen er weiß (§ 5 Abs. 3 StGB), dass sie falsch bezeichnet sind, sofern darüber im Österreichischen Lebensmittelbuch Bestimmungen bestehen.
§ 39 Abs. 1 VStG 1950 lautet:
"Liegt der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vor, für die der Verfall von Gegenständen als Strafe vorgesehen ist, so kann die Behörde zur Sicherung des Verfalles die Beschlagnahme dieser Gegenstände anordnen."
Auf diese Bestimmung haben sowohl die erste als auch die zweite Instanz die Beschlagnahme gestützt.
Wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides zutreffend dargelegt hat, hatte sie sich auf die Prüfung zu beschränken, ob durch das Inverkehrbringen des genannten Produktes mit den von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und - forschung im Gutachten vom 23. November 1982 zitierten Angaben im Beipacktext und in den für das Produkt werbenden Zeitungsinseraten der begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 1 in Verbindung mit dem Verbot des § 7 Abs. 1 lit. c LMG 1975 bestand. Aus der Begründung des Bescheides ergibt sich, dass die belangte Behörde zur Beurteilung gelangte, dass im Gegenstandsfall nicht eine wissentliche Falschbezeichnung im Sinne des § 63 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 - die einen vom Gericht zu ahndenden Tatbestand darstellt -, sondern der Verdacht der vorgenannten Verwaltungsübertretung vorgelegen ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, dass der belangten Behörde bei dieser Beurteilung ein Fehler unterlaufen ist. Die belangte Behörde konnte daher - ohne Rechtsverletzung - die angeordnete Beschlagnahme auf § 39 Abs. 1 VStG 1950 stützen, da die dort geforderten Voraussetzungen nach der Aktenlage gegeben waren. Ob die Voraussetzungen einer Beschlagnahme auch nach § 40 Abs. 1 lit. b LMG 1975 vorlagen, kann dabei dahingestellt bleiben.
Was die von den Beschwerdeführern unter Hinweis auf § 30 Abs. 2 VStG ins Treffen geführte Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Beschlagnahme betrifft, ist zu bemerken:
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes sind die Verwaltungsbehörden im Hinblick auf die oben zitierten Bestimmungen der §§ 63 Abs. 2 Z. 1 und 74 Abs. 1 LMG 1975 dann berechtigt, einen Beschlagnahmebescheid zu erlassen, wenn es nicht auf der Hand lag, dass eine Zuständigkeit des Gerichtes gegeben ist. Dies deshalb, weil es die Rechtsnatur der Beschlagnahme als "vorläufige Maßregel" (vgl. Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen II; S. 266) erfordert, dass die Behörde im Zweifel ihre Zuständigkeit in Anspruch nimmt.
Im Beschwerdefall kann es daher dahinstehen, ob das Vorbringen der Beschwerdeführer in Hinsicht auf ein diesbezügliches Gerichtsverfahren dem Neuerungsverbot des § 41 VwGG unterliegt; aus den Verwaltungsakten ergibt sich nämlich kein Anhaltspunkt dafür, dass es für die belangte Behörde auf der Hand liegen musste, es läge ein Verstoß gegen § 63 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 vor.
Da die Beschlagnahme somit zu Recht erfolgte, wie dies die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides auch zutreffend dargestellt hat, war die gegen den Bescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, wobei gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 27. Juli 1987
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