VwGH 82/13/0050

VwGH82/13/005011.4.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Traumüller, über die Beschwerde des OR in W, vertreten durch Dr. Herwig‑Rainer Hanslik, Rechtsanwalt in Wien I, Wildpretmarkt 1/21, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 21. Dezember 1981, Zl. 6/1‑1570/4/80, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1971 bis 1974, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §207 idF 1980/151
BAO §208 idF 1980/151

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1982130050.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war einer der beiden Gesellschafter‑Geschäftsführer (Beteiligungsverhältnis je 50 v. H.) einer im Jahr 1976 im Handelsregister gelöschten Ges.m.b.H., die bis zur ihrer Löschung den Handel mit Orientteppichen betrieben hat. Bei der Ges.m.b.H. fand für die Jahre 1970 bis 1974 eine Betriebsprüfung statt, bei der unter anderem Umsatz- und Gewinnzuschätzungen erfolgten. Die zugeschätzten Gewinne wurden als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt und dem Beschwerdeführer sowie dem zweiten Gesellschafter‑Geschäftsführer entsprechend den Beteiligungsverhältnissen an der Ges.m.b.H. je zur Hälfte zugerechnet (TZ. 13 des Betriebsprüfungsberichtes). Mit Niederschrift vom 2. Dezember 1976 wurde das Ergebnis dieser Prüfung vom Beschwerdeführer persönlich zur Kenntnis genommen.

Mit Schreiben vom 3. Mai 1977 forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer auf, Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1970 bis 1974 auszufüllen und bis 10. Juni 1977 dem Finanzamt einzusenden. Als Grund hiefür wurden die bei der Betriebsprüfung festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen angegeben.

Zwischenzeitig, und zwar am 14. April 1977, waren dem steuerlichen Vertreter der Ges.m.b.H., Rechtsanwalt Dr. H., die zum Teil im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Umsatzsteuer-, Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerbescheide betreffend die Ges.m.b.H. sowie der Betriebsprüfungsbericht zugestellt worden. Mit Schreiben vom 5. Mai 1977 retournierte Dr. H. die Bescheide und den Betriebsprüfungsbericht wiederum dem Finanzamt mit dem Bemerken, er sei vom Handelsgericht Wien nur zum Liquidator der Ges.m.b.H. bestellt worden. Da die Liquidation am 7. Februar 1977 durch Überweisung eines Betrages von S 155.383,‑ ‑ an die Finanzprokuratur beendet worden sei, habe er an das Gericht den Antrag gestellt, ihn als Liquidator zu entheben. Er sei daher für die Zustellung der Bescheide nicht mehr „zuständig“.

Das Finanzamt vertrat demgegenüber in einem Schreiben an Dr. H. vom 10. Mai 1977 weiterhin die Auffassung, daß Dr. H. vom Handelsgericht Wien zum Liquidator der Ges.m.b.H. bestellt worden sei und bis zu seiner Enthebung durch das Gericht ‑ diese erfolgte erst mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 9. Mai 1977 ‑ grundsätzlich uneingeschränkte Vertretungsbefugnis gehabt habe. Die Zustellung der genannten Bescheide und des Betriebsprüfungsberichtes an ihn sei daher rechtswirksam erfolgt.

Mit Schreiben vom 7. Juni 1977 teilte Rechtsanwalt Dr. H. dem Finanzamt mit, er habe die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers übernommen. Der Beschwerdeführer habe von der Ges.m.b.H. stets nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erhalten, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterworfen worden waren. Er sei nicht in der Lage, zu den bei der Betriebsprüfung festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen Stellung zu nehmen. Im übrigen werde er die Feststellungen der Betriebsprüfung „soweit sie Auswirkungen auf seine Abgabepflicht haben sollten, nicht anerkennen“.

In der Folge erließ das Finanzamt Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1971 bis 1974, in denen dem Beschwerdeführer neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die vom Prüfer festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen als Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von S 230.900,‑ ‑(1971), S 620.400,‑ ‑ (1972), S 504.050,‑ ‑ (1973) und S 884.650,‑ ‑ (1974) zugerechnet wurden. In der Begründung der Bescheide wurde auf den Betriebsprüfungsbericht verwiesen.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und stellte den Antrag, „die vorgeschriebenen Einkommensteuern von insgesamt S 1,100.808,-- zur Gänze abzuschreiben“. Eine nähere Begründung könne erst nach Zustellung des Betriebsprüfungsberichtes an ihn erfolgen. Außerdem wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß „zumindest teilweise“ bereits Verjährung des Abgabenanspruches eingetreten sei.

In einem weiteren Schriftsatz führte der Beschwerdeführer aus, die Bescheide „über die Wiederaufnahme wegen Feststellungen der Betriebsprüfung“ seien rechtlich irrelevant, da sie nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Aber selbst wenn sich die Prüfungsfeststellungen als richtig herausstellen sollten, bedeute dies nicht, daß dem Beschwerdeführer „direkte oder indirekte Gewinnausschüttungen“ zugeflossen seien. Wenn überhaupt, so könnten die „Gewinnteile“ nur dem zweiten Gesellschafter zugerechnet werden, da dieser, und nicht der Beschwerdeführer, mit den Agenden Verwaltung, Buchführung und Steuerentrichtung betraut gewesen sei. Der Beschwerdeführer bot für dieses Vorbringen als Zeugen die ehemalige Steuerberaterin der Ges.m.b.H. sowie den zweiten Gesellschafter an.

Im Hinblick darauf, daß die dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Aussagen dieser Zeugen keinen Anhaltspunkt dafür ergaben, daß die verdeckten Gewinnausschüttungen nur dem zweiten Gesellschafter zuzurechnen seien, erklärte der Beschwerdeführer schließlich, die betreffenden Gelder seien „sofort wieder in die Anschaffung des Warenlagers investiert“ worden. Zum Beweis dieser Tatsache sei anzuführen, „daß im Zuge des Zollverfahrens glaublich 228 Stück Perserteppiche aus dem Betriebsvermögen der Ges.m.b.H. beschlagnahmt wurden“. Bei einer „effektiven“ Ausschüttung von Gewinnen an die Gesellschafter hätte die Ges.m.b.H. niemals ein derartiges Warenlager finanzieren können.

Die belangte Behörde gab der Berufung in Punkten, die nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind, teilweise Folge; im übrigen wies sie das Berufungsbegehren ab. Was die Bemessungsverjährung anlange, so sei zu sagen, daß „ganz abgesehen vom Verdacht der Abgabenhinterziehung“ die fünfjährige Frist für die Abgabenbemessung durch die im Jahr 1976 erfolgte Betriebsprüfung unterbrochen worden sei. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Zustellmängel lägen nicht vor, weil der für die Dauer des Liquidationszeitraumes zum Empfang sämtlicher die Ges.m.b.H. betreffender Schriftstücke bevollmächtigte Rechtsanwalt Dr. H. die zitierten Bescheide und den Betriebsprüfungsbericht übernommen, wenn auch später wieder an das Finanzamt zurückgestellt habe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 207 Abs. 2 und § 208 Abs. 1 lit. a BAO verjährt das Recht, Einkommensteuer festzusetzen, fünf Jahre nach Ablauf jenes Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Die Verjährung wird durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen (§ 209 Abs. 1 BAO).

Die belangte Behörde erblickt in der bei der Ges.m.b.H. durchgeführten Betriebsprüfung eine Unterbrechungshandlung betreffend die Verjährung der Einkommensteuer des Beschwerdeführers. Damit ist sie aus folgenden Überlegungen im Recht:

An sich ist es richtig, daß eine abgabenrechtliche Prüfung nur hinsichtlich jener Abgaben eine Unterbrechungshandlung darstellt, die Gegenstand der Prüfung sind (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1962, Zl. 1189/61, Slg. Nr. 2753/F). Es kann nun im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob der Umstand, daß die Prüfung des körperschaftsteuerpflichtigen Gewinnes einer Kapitalgesellschaft auch allfällige verdeckte Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter und die hiefür von der Gesellschaft einzubehaltende und abzuführende Kapitalertragsteuer mitumfaßt, dazu führt, daß in der Prüfung auch eine Amtshandlung zur Geltendmachung des entsprechenden Einkommensteueranspruches gegenüber dem jeweiligen Gesellschafter zu erblicken ist. Unbestritten ist nämlich, daß der Beschwerdeführer als Gesellschafter‑Geschäftsführer der Ges.m.b.H. an der Schlußbesprechung vom 2. Dezember 1976 betreffend die bei der Ges.m.b.H. durchgeführte Betriebsprüfung teilgenommen und mit seiner Unterschrift erklärt hat, daß die „Prüfungsfeststellungen und das Prüfungsergebnis“ mit ihm eingehend durchbesprochen worden sind. Unter TZ 13 des Betriebsprüfungsberichtes wird festgehalten, daß Einsatzverkürzungen und Mengendifferenzen als Ausgangsbasis für die Schätzung der Umsätze der Ges.m.b.H. herangezogen worden seien. Von der Umsatzdifferenz seien die an die Lieferanten zu zahlenden Schulden abgezogen worden. Den solcherart ermittelten Rohgewinn habe der Prüfer „je zur Hälfte als verdeckte Gewinnausschüttung an die Gesellschafter behandelt“. Der Bericht enthält auch detaillierte Zahlenangaben betreffend die verdeckten Gewinnausschüttungen der einzelnen Jahre, die bei den beiden Gesellschaftern als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen wären. Damit, daß dem Beschwerdeführer diese Feststellungen nachweislich vor Ablauf des Jahres 1976 (dies war das der Entstehung der Einkommensteuerschuld des Beschwerdeführers für das Jahr 1971 fünftfolgende Kalenderjahr) zur Kenntnis gebracht worden waren, diente die in der Schlußbesprechung vom 2. Dezember 1976 zu erblickende Amtshandlung nicht nur zur Geltendmachung von Abgabenansprüchen gegenüber der Ges.m.b.H., sondern auch zur Geltendmachung des Einkommensteueranspruches gegenüber dem Beschwerdeführer. Hierin unterscheidet sich die gegenständliche Feststellung des Betriebsprüfers von dem bei abgabenrechtlichen Prüfungen häufig hervorkommenden Kontrollmaterial, das Hinweise auf die Steuerpflicht dritter Personen zu geben vermag. Das Hervorkommen bzw. Feststellen derartigen Kontrollmaterials wird für sich allein noch so lange keine Unterbrechungshandlung im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO betreffend den allfälligen Abgabenanspruch gegenüber einer dritten Person darstellen, als die Abgabenbehörde nicht durch eine nach außen erkennbare Amtshandlung an die Auswertung des Kontrollmaterials schreitet. Wird aber von der Abgabenbehörde ein konkreter Abgabentatbestand festgestellt und dem Abgabepflichtigen zur Kenntnis gebracht, dann kann nicht mehr gesagt werden, daß keine nach außen erkennbare Amtshandlung zur Geltendmachung des Abgabenanspruches gegenüber dem Abgabepflichtigen gesetzt worden sei.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die Einkommensteuerbescheide seien insoweit mangelhaft, als in ihrer Begründung auf das Ergebnis der Betriebsprüfung bei der Ges.m.b.H. verwiesen werde, das der Ges.m.b.H. aber nie rechtswirksam zur Kenntnis gelangt sei, weil sie zum Zeitpunkt der Schlußbesprechung nicht mehr existiert habe. Auch dieses Vorbringen des Beschwerdeführers ist verfehlt. Wie bereits ausgeführt, wurden mit dem Beschwerdeführer in der Schlußbesprechung vom 2. Dezember 1976 die Prüfungsfeststellungen und das Prüfungsergebnis eingehend durchbesprochen und von ihm mit eigenhändiger Unterschrift zur Kenntnis genommen. Ein Verweis auf das Ergebnis dieser Betriebsprüfung in der Begründung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1971 bis 1974 war daher zulässig. Der vom Beschwerdeführer gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen betreffend die Funktion des Nachtragsliquidators, seine Funktionsdauer sowie die Existenz der Ges.m.b.H. und die rechtswirksame Zustellung von Abgabenbescheiden an diese, erübrigt sich.

Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren vorgebracht, daß die vom Betriebsprüfer den Gewinnen der Ges.m.b.H. zugerechneten Beträge nicht ausgeschüttet, sondern in die Anschaffung des vom Zollamt beschlagnahmten (und späterhin für verfallen erklärten) Warenlagers ‑ „glaublich 228 Stück Perserteppiche“ ‑ investiert worden seien. Die belangte Behörde hat sich mit diesem Argument nicht auseinandergesetzt, obwohl dem Betriebsprüfungsbericht nicht eindeutig entnommen werden kann, ob dieser Umstand bei den Gewinnzurechnungen bereits voll berücksichtigt worden ist. Da dem Abgabenverfahren bei der Ges.m.b.H. ‑ wie die belangte Behörde im Gegensatz zu der Abgabenbehörde erster Instanz richtig erkannt hat ‑ keine Bindungswirkung für das Einkommensteuerverfahren des Beschwerdeführers zukam, war es für ein mängelfreies Einkommensteuerverfahren erforderlich, zum Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen und jene Gründe darzulegen, die die belangte Behörde berechtigt hätten, den Angaben des Beschwerdeführers keine tatsächliche und rechtliche Bedeutung beizumessen. Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 11. April 1984

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