VwGH 2013/22/0220

VwGH2013/22/02209.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 15. Juli 2013, Zl. 164.887/2- III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, ihm einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen, gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 27. Dezember 2003 in das Bundesgebiet eingereist und habe am 7. Jänner 2004 einen Asylantrag eingebracht. Über diesen Antrag sei vom Bundesasylamt "negativ entschieden" worden; gleichzeitig sei gegen ihn eine Ausweisung erlassen worden. Der vom Beschwerdeführer daraufhin angerufene Asylgerichtshof habe den Bescheid des Bundesasylamtes "in Verbindung mit der erlassenen Ausweisung" mit Erkenntnis vom 22. April 2010 bestätigt.

Den hier gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer am 13. Dezember 2010 eingebracht. Dieser Antrag sei im Wesentlichen damit begründet worden, dass sich der Beschwerdeführer schon seit etwa acht Jahren im Bundesgebiet aufhalten würde und mittlerweile sehr stark integriert wäre. Er wäre eine Lebensgemeinschaft mit einer philippinischen Staatsangehörigen, die über eine gültige "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" verfüge, eingegangen. Er habe - bezugnehmend auf das Vorbringen zur beruflichen Integration - eine Honorarnote des Unternehmens M vom August 2012 vorgelegt. Zum Nachweis seiner Deutschkenntnisse habe er ein "Österreichisches Sprachdiplom A2" beigebracht.

Bereits die Behörde erster Instanz habe die Notwendigkeit erkannt, den Antrag des Beschwerdeführers im Hinblick auf Art. 8 EMRK einer umfassenden inhaltlichen Prüfung zu unterziehen.

Im Rahmen ihrer eigenen Beurteilung nach Art. 8 EMRK stellte die belangte Behörde zunächst auf den seit Ende Dezember 2003 dauernden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ab. Jedoch sei der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde - bis zum Abschluss des Asylverfahrens am 22. April 2010 lediglich im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen gewesen. Im Zuge seiner Asylantragstellung habe er angegeben, verheiratet zu sein. Seine Gattin und seine beiden Töchter würden in Indien leben. Nunmehr habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass eine Lebensgemeinschaft mit einer philippinischen Staatsangehörigen bestünde. Von einem schützenswerten Privatleben könne hier aber nicht ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer und auch seine "angebliche" Lebensgefährtin, die über einen bis 22. Jänner 2015 befristeten Aufenthaltstitel verfüge, jeweils mit einem anderen Partner aufrecht verheiratet seien. Auch habe der Beschwerdeführer Sorgepflichten gegenüber seinen beiden - seinen Angaben zufolge - in Indien lebenden Töchtern. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben des Unternehmens M gehe hervor, dass die Beschäftigung "offensichtlich" erst seit August 2012 bestehe. Da er somit die Beschäftigung erst seit kurzer Zeit ausübe, sei der Beschwerdeführer auf dem Arbeitsmarkt nicht maßgeblich integriert.

Der Beschwerdeführer habe durch den unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet, obwohl gegen ihn eine Ausweisung erlassen worden sei, gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen. Diesen Bestimmungen komme ein sehr hoher Stellenwert zu. Fremde seien nach Erlassung einer Ausweisung grundsätzlich gehalten, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet (wieder) herzustellen. Diesem Erfordernis sei der Beschwerdeführer nicht nachgekommen.

Die belangte Behörde gelangte sohin zum Ergebnis, dass Art. 8 EMRK die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gebiete.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (16. Juli 2013) nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. Nr. 68/2013 richtet.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 41a Abs. 9 NAG von Amts wegen (§ 44a NAG) oder auf begründeten Antrag (§ 44b NAG), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 NAG vorliegt (Z 1), dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 2) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a NAG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt (Z 3).

In der Beschwerde wird - an mehrfacher Stelle - betont, die belangte Behörde habe sich betreffend seine Lebensgemeinschaft mit einer philippinischen Staatsangehörigen in ihrer Wortwahl vollkommen vergriffen und diese mit aktenwidrigen Behauptungen ("angeblich") herabgewürdigt und als unbeachtlich herabqualifiziert.

Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass die belangte Behörde von einer nicht der Rechtslage entsprechenden Ansicht ausgegangen ist, wenn sie meint, dass dem Bestehen einer Lebensgemeinschaft im Rahmen einer Beurteilung nach Art. 8 EMRK allein deswegen kein Gewicht beizumessen sei, weil hinsichtlich dieser Partner das Eheband formell noch mit anderen Personen aufrecht sei. Des Weiteren ist einzuräumen, dass der im angefochtenen Bescheid enthaltene Hinweis auf eine "angebliche" Lebensgemeinschaft so verstanden werden könnte, dass die belangte Behörde von der Unrichtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ausgeht. Dem angefochtenen Bescheid lassen sich aber demgegenüber dazu weder eine solche Ansicht tragende Feststellungen noch beweiswürdigende Überlegungen entnehmen.

Dazu ist auszuführen, dass das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt ist, sondern auch faktische Familienbindungen erfasst, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2012/21/0178). Auch eine aufrechte Lebensgemeinschaft fällt unter das von Art. 8 EMRK geschützte Familienleben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0197, und vom 21. April 2011, Zl. 2011/01/0131).

Die diesbezügliche Fehleinschätzung durch die belangte Behörde - und der damit im Zusammenhang stehende Begründungsmangel - führt fallbezogen aber nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Dies aus folgenden Gründen:

Der Beschwerdeführer verweist hinsichtlich der ihm im Rahmen der Interessenabwägung zu Gute zu haltenden Umstände auf die Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, seine Lebensgemeinschaft mit einer zum Aufenthalt berechtigten philippinischen Staatsangehörigen, seine berufliche Integration, die er als Zeitungszusteller für das Unternehmen M - mit Unterbrechungen seit 2007 - unter Beweis gestellt habe, sowie auf Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A2.

Es ist aber - worauf auch die belangte Behörde abgestellt hat - festzuhalten, dass sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auf einen unberechtigten Asylantrag gegründet hat. Er hat durch seinen Verbleib in Österreich trotz Abweisung seines Asylbegehrens und trotz Erlassung einer Ausweisung den geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen zuwidergehandelt. Sein Verhalten stellt somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, Zl. 2013/22/0033, mwN).

Das sich nach dem Gesagten ergebende öffentliche Interesse hatte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles gegen die gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers abzuwägen.

Zwar hat die belangte Behörde bei der Interessenabwägung der Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers nicht das ihr grundsätzlich beizumessende Gewicht zuerkannt. Allerdings sind die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände - schon auf Basis des Beschwerdevorbringens - insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltstitel hätte erteilt und akzeptiert werden müssen, dass er mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich hat die belangte Behörde im Sinn des § 11 Abs. 3 Z 8 NAG zu Recht berücksichtigt, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich bleiben können. Dies gilt umso mehr für die Zeit ab Rechtskraft der gegen ihn erlassenen Ausweisung.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere zum Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgemeinschaft darauf hinzuweisen, dass er nicht in der gebotenen Weise substantiiert darlegt, weshalb das Bestehen derselben fallbezogen dazu führen müsste, ihm einen aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zuzugestehen. Er macht weder geltend, dass es ihm oder seiner Lebensgefährtin unmöglich oder unzumutbar wäre, das Familienleben in seinem Heimatland oder im Heimatland seiner Lebensgefährtin zu führen. So wird auch in keiner Weise dargelegt, dass und aus welchen Gründen seine (nach den Feststellungen über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügende) Lebensgefährtin - allenfalls mit Blick auf den von ihr verfolgten Aufenthaltszweck und ihren Aufenthaltsstatus - in Österreich bereits in einem Ausmaß verwurzelt wäre, wonach ihr das Verlassen des Bundesgebietes unüberwindliche Hindernisse bereiten würde. Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Lebensgemeinschaft zu einem Zeitpunkt eingegangen wurde, in dem die Partner infolge des unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers nicht darauf vertrauen durften, dieser werde dauernd in Österreich bleiben können; dies gilt auch für die gesamte weitere Zeit ab deren Begründung.

Vor dem Hintergrund, dass in der Beschwerde auch nicht behauptet wird, es wäre dazu bereits im Verwaltungsverfahren ein entsprechend konkretes Vorbringen erstattet worden, mit dem sich die belangte Behörde hätte befassen müssen, kann nicht gesehen werden, dass dem Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltstitel hätte erteilt werden müssen.

Sohin liegt im Ergebnis die behauptete Rechtsverletzung nicht vor. Da dies bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, war sie ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 9. September 2013

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