VwGH 2013/21/0169

VwGH2013/21/016920.2.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sulzbacher und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der B O in W, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Möllwaldplatz 5/Mezz. 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. Jänner 2013, Zl. UVS- 03/F/31/6499/2012-22, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §120 Abs1a idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §31;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art8;
VStG §6;
FrPolG 2005 §120 Abs1a idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §31;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art8;
VStG §6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 18. Juni 2003 nach Österreich eingereiste Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte einen Asylantrag, der letztlich erfolglos blieb. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte nämlich die Behandlung der gegen den Berufungsbescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. März 2006 erhobenen Beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 ab.

Wegen ihres anschließend unrechtmäßigen Aufenthalts im Zeitraum 9. Jänner 2010 bis 28. Februar 2011 wurde die Beschwerdeführerin sodann mit Straferkenntnis vom 21. Juli 2011 gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF vor dem FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) mit einer Geldstrafe von 200 EUR rechtskräftig bestraft.

Mittlerweile war gegen die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 24. Februar 2011 gemäß § 53 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) auch eine Ausweisung ergangen. Die dagegen erhobene Berufung wurde letztlich vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien mit Bescheid vom 15. November 2011 als verspätet zurückgewiesen. Ein als Reaktion auf den Verspätungsvorhalt gestellter Wiedereinsetzungsantrag wurde von der Bundespolizeidirektion Wien am 13. Jänner 2012 abgewiesen; der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat mit Bescheid vom 6. März 2012 keine Folge.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. März 2012 wurde der Beschwerdeführerin sodann zur Last gelegt, sie habe sich vom 27. Juli 2011 bis 20. Februar 2012 an einer näher genannten Adresse in Wien nach Erlassung einer durchsetzbaren Ausweisung nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, weil sie nicht unverzüglich nach Eintritt der Durchsetzbarkeit dieser Ausweisung Anfang März 2011 aus dem Bundesgebiet ausgereist sei. Über die Beschwerdeführerin wurde deshalb gemäß § 120 Abs. 1a FPG (idF des FrÄG 2011) eine Geldstrafe von 2.500 EUR (Ersatzfreiheitsstrafe: 10 Tage) verhängt.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (der belangte UVS) nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Jänner 2013 keine Folge und er bestätigte das angefochtene Straferkenntnis (u.a.) mit der Maßgabe, dass die Strafsanktionsnorm mit § 120 Abs. 1a zweiter Satz FPG konkretisiert werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, am 9. September 2013 eingelangte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Der für den vorliegenden Fall maßgebliche § 120 Abs. 1a FPG (in der im Tatzeitraum und auch noch bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung des FrÄG 2011) lautete:

"Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt

§ 120. (1) …

(1a) Wer als Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2.500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2.500 Euro bis zu 7.500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist."

Über die Beschwerdeführerin wurde wegen ihres unrechtmäßigen Aufenthalts im angeführten Tatzeitraum im Hinblick auf die schon einmal erfolgte rechtskräftige Bestrafung wegen desselben Deliktes nach dem zweiten Satz der zitierten Bestimmung die dort angeführte Mindestgeldstrafe verhängt.

Dazu wird in der Beschwerde der Standpunkt vertreten, es stelle sich die Frage, ob die zitierte Strafnorm nicht entgegen ihrem Wortlaut nicht auf die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts abstelle, sondern nur auf die Durchsetzbarkeit der Ausweisungsentscheidung. Es scheine geboten, § 120 Abs. 1a FPG "im Lichte der Vorgabe des Art. 8 EMRK für sich genommen, aber auch in Zusammenschau mit Art. 13 EMRK" verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Bestrafung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer "durchsetz- bzw. durchführbaren Ausweisungsentscheidung" voraussetze. Der Beschwerdeführerin sei aber erst mit der am 30. November 2011 vorgenommenen Zustellung des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. November 2011, mit dem die Berufung gegen die Ausweisung als verspätet zurückgewiesen wurde, bekannt geworden, dass tatsächlich eine durchsetzbare Ausweisung vorgelegen sei. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung hätte aber dann von Amts wegen aufschiebende Wirkung zuerkannt werden müssen. Es wäre daher eine Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen unrechtmäßigen Aufenthalts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag (im März 2012) nicht zulässig gewesen.

Für die in der Beschwerde angedachte, dem eindeutigen Wortlaut des § 120 Abs. 1a FPG widersprechende Auslegung besteht kein Anlass. Demnach ist der objektive Tatbestand der genannten Strafnorm bereits dann erfüllt, wenn sich der Fremde im Bundesgebiet unrechtmäßig aufhält. Das war bei der Beschwerdeführerin bereits mit der Beendigung des Asylverfahrens und dem Erlöschen der vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsberechtigung im Jänner 2011 (Zustellung des VwGH-Beschlusses vom 16. Dezember 2009) der Fall. Seit dieser Zeit hält sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und sie erfüllt den objektiven Tatbestand des "rechtswidrigen Aufenthalts" nach § 120 FPG.

Anders als die Beschwerde meint, trifft den Fremden - als zwingende Folge der Unzulässigkeit eines nicht iSd § 31 FPG rechtmäßigen Aufenthalts - grundsätzlich die Pflicht, seinen rechtswidrigen Aufenthalt durch Ausreise zu beenden. Es besteht kein generelles, den Verschuldensvorwurf in jedem Fall ausschließendes Recht, die Entscheidung über die Ausweisung (Rückkehrentscheidung) im Inland abzuwarten. Dem in der Beschwerde angesprochenen Umstand einer (allfälligen) Unzumutbarkeit der Ausreise bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit einer Ausweisung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ist in einem Strafverfahren wegen unrechtmäßigen Aufenthalts auf andere Weise Rechnung zu tragen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich für den Fall, dass im maßgeblichen Tatzeitraum noch keine - nach Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - rechtskräftige Ausweisung ergangen war, von der Strafbehörde im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der (hypothetischen) Zulässigkeit einer Ausweisung vorzunehmen. Ergibt sich dabei, dass eine (hypothetische) Ausweisung des Fremden im Tatzeitraum nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so wirkt sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs. 1a FPG aus. Denn wären auch Fremde, die derart intensive private (und familiäre) Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. Es müsse daher das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Weg steht (vgl. des Näheren das Erkenntnis vom 18. April 2013, Zl. 2011/21/0249, mwN).

Der belangte UVS hat sich im angefochtenen Bescheid nicht nur auf die im fremdenpolizeilichen Verfahren gegen die Beschwerdeführerin erlassene Ausweisung bezogen, sondern im dargestellten Sinn auch selbst eine - unter Einbeziehung des diesbezüglichen Berufungsvorbringens ausführlich begründete - Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK vorgenommen. Er ist danach zu dem Ergebnis gelangt, eine Ausweisung (Rückkehrentscheidung) hätte während des Tatzeitraumes zwar einen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin dargestellt, dieser wäre jedoch zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens verhältnismäßig und (dringend) erforderlich gewesen. Eine Ausreise wäre der Beschwerdeführerin auch "im Lichte" ihrer nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Interessen zumutbar gewesen.

Dem tritt die Beschwerde nicht argumentativ entgegen. Davon ausgehend liegt daher unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK weder ein Strafausschließungsgrund vor, noch kann sich die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen auf mangelndes Verschulden berufen.

Schließlich ist der in der Beschwerde noch vorgetragenen Anregung, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "von 2.500 Euro" im zweiten Satz des § 120 Abs. 1a FPG zu stellen, nicht näher zu treten. Der Gesetzgeber hat den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10 ua., VfSlg. 19.351, durch die Änderung des § 120 FPG mit dem FrÄG 2011 Rechnung getragen und eine Differenzierung unterschiedlicher Sachverhalte vorgenommen (vgl. den AB 1160 BlgNR 24. GP 10). Dass die Festsetzung einer Mindeststrafe, insbesondere bei wiederholter Bestrafung, generell unzulässig wäre, lässt sich dem genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, auf das in der Beschwerde rekurriert wird, aber nicht entnehmen.

Die Beschwerde, die sonst keine weiteren Argumente enthält, war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Februar 2014

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