Normen
BAO §119 Abs1;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
UStG 1994 §11 Abs12;
BAO §119 Abs1;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
UStG 1994 §11 Abs12;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit schriftlicher Eingabe vom 17. Dezember 2010 beantragte TS die Nachsicht von Umsatzsteuer der Jahre 2003 bis 2005 im Gesamtbetrag von 137.691,12 EUR. TS habe - so der nunmehrige steuerliche Vertreter - Rechnungen für Lieferungen an private Abnehmer in Deutschland mit österreichischer Umsatzsteuer ausgestellt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass in diesem Fall der Leistungsort nach Deutschland wechsle, weil er auf die Expertise seines damaligen Steuerberaters vertraut habe. Nach einer Selbstanzeige habe TS die Umsätze in Deutschland erklärt und insgesamt 110.153,12 EUR zuzüglich Säumniszuschläge in Deutschland entrichtet. Eine Korrektur der in Österreich gemeldeten und abgeführten Umsatzsteuer sei bisher nicht erfolgt. Grund dafür sei ein anhängiges Gerichtsverfahren, in dem die Frage der Zumutbarkeit der Rechnungskorrektur ein wesentlicher Streitpunkt sei. Nach den Umsatzsteuerrichtlinien müssten die korrigierten Rechnungen den Kunden nachweislich zugehen. Da es im Beschwerdefall um ca. 7.000 bis 10.000 zu berichtigende Rechnungen mit einem Gesamtrechnungsbetrag von netto rund 690.000 EUR gehe, wären rund 25.000 EUR bis 34.000 EUR an Portokosten zu veranschlagen. Dieser Betrag erscheine in Relation zu den Rechnungsbeträgen sehr hoch. Zusätzlich seien der Aufwand für die Erstellung der korrigierten Rechnungen und der drohende Imageverlust zu berücksichtigen, weil TS erotische Artikel vertreibe und in dieser Branche Diskretion für die Kunden besonders wichtig sei.
2 Am 13. Februar 2011 verstarb TS, über dessen Verlassenschaft am 4. November 2011 der Konkurs eröffnet wurde.
3 Mit einem bereits an den Masseverwalter gerichteten Bescheid vom 23. Jänner 2012 wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen mit der Begründung ab, dass das Vorliegen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Abgabeneinhebung mit dem Hinweis auf hohe Kosten der Rechnungsberichtigungen nicht dargetan worden sei.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Masseverwalter (der nunmehrige Beschwerdeführer) Berufung. Er führte aus, dass TS infolge einer fehlerhaften Beratung seines damaligen Steuerberaters zu Unrecht österreichische Mehrwertsteuer ausgewiesen und abgeführt habe. Das OLG Wien habe TS darauf hingewiesen, dass er "als Ausfluss seiner Schadensminderungspflicht zur Rückforderung einer irrtümlich bezahlten Abgabe den behördlichen Weg zu gehen habe". Der im zivilgerichtlichen Verfahren tätig gewordene Sachverständige habe auf die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 236 BAO verwiesen. Diesem Hinweis sei TS mit dem vorliegenden Antrag nachgekommen. Die persönliche Unbilligkeit ergebe sich gegenständlich aus der wirtschaftlichen Situation des Nachsichtswerbers, die auf Grund der nachfolgenden Konkurseröffnung evident sei. Eine Rechnungsberichtigung sei wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich, weil "damit zu rechnen ist, dass in Folge der gegenständlichen Branche (Erotikbranche) und des damit einhergehenden Diskretionsanspruches der Kunden sowie des Umstandes, dass sich bei einer Vielzahl von Kunden die Melde- bzw. Zustelldaten geändert haben, eine Zustellung nicht möglich sein wird bzw. eine Rückmeldung der Kunden unterbleiben wird". Damit trete ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis der doppelten Abgabenentrichtung in Deutschland und Österreich ein.
5 Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Zur Frage der persönlichen Unbilligkeit wurde auf die zwischenzeitlich veränderten Verhältnisse verwiesen. Allfälligen Erben stünde es frei, eine bedingte Erbserklärung abzugeben und dadurch keine wie immer gearteten Schulden des Antragstellers übernehmen zu müssen. Aber auch das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit sei zu verneinen. Weder habe die Abgabenbehörde eine unrichtige Auskunft erteilt noch liege ein im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis vor. Dass über das Vermögen des Rechnungsausstellers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, stehe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH vom 26. April 2006, 2004/14/0076) einer Rechnungsberichtigung nicht entgegen. Der Beschwerdefall liege nicht anders als eine Vielzahl anderer Fälle, in denen auf Grund korrigierter Rechnungen die ursprüngliche österreichische Umsatzsteuer im Wege der Rechnungsberichtigung wieder "rückabgewickelt" würde. Die doppelte Steuerentrichtung in Österreich und Deutschland sei allein auf ein Fehlverhalten des damaligen steuerlichen Vertreters zurückzuführen. Das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des früheren Steuerberaters sei bereits im rechtskräftigen Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 6. Juli 2006, 41 Cg 87/05k-7, festgestellt worden. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19. Mai 2010, 2 R 87/19v, sei die Rechtssache zur Verfahrensergänzung (hinsichtlich der Kosten der Rechnungsberichtigung) und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen worden. Die nun unter dem Blickwinkel einer Unbilligkeit dargestellten "Schäden" seien somit ohnehin im gerichtlichen Zivilverfahren geltend gemacht worden. Eine sachliche Unbilligkeit sei nicht gegeben, sodass für eine Ermessensentscheidung kein Raum bliebe.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
6 Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach Abs. 2 leg. cit. findet diese Bestimmung auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
7 Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein (§ 1 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005). Vor dem Verwaltungsgerichtshof steht ausschließlich das Vorliegen sachlicher Unbilligkeit in Streit.
8 Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der genannten Verordnung beispielsweise aufgezählten und hier nicht in Betracht kommenden Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH vom 20. Mai 2010, 2006/15/0337) anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist.
9 Der Beschwerdeführer verweist auf die im Beschwerdefall eingetretene Doppelbelastung mit österreichischer und deutscher Umsatzsteuer. Damit liege im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 17. September 1990, 90/15/0118, ein "klassischer Anwendungsfall" für § 236 BAO vor.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine abgabenrechtliche Auswirkung, die ausschließlich Folge eines als generelle Norm mit umfassendem persönlichen Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, nicht im Einzelfall als Unbilligkeit gewertet und durch Nachsicht behoben werden.
§ 236 BAO soll die Unbilligkeit des Einzelfalles beseitigen. Eine tatbestandsmäßige Unbilligkeit des Einhebungseinzelfalles ist dann nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, durch die alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise berührt werden (vgl. VwGH vom 23. Oktober 1997, 96/15/0154).
11 Nach § 11 Abs. 12 UStG 1994 schuldet der Unternehmer den in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag, den er nach diesem Gesetz für diesen Umsatz nicht schuldet, auf Grund der Rechnung, wenn er sie nicht gegenüber dem Abnehmer der Lieferung (dem Empfänger der sonstigen Leistung) entsprechend berichtigt.
12 Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH vom 3. Juli 2003, 2002/15/0155).
13 Im Verwaltungsverfahren wurde mit bloßen Mutmaßungen über mögliche Änderungen bei den Zustelldaten der Kunden nicht dargelegt, dass die Vornahme von Rechnungsberichtigungen im Beschwerdefall faktisch undurchführbar sei und insoweit eine Besonderheit des Einzelfalles vorliegen könnte. Dass das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren der Berichtigung des Steuerausweises samt Geltendmachung der Steuergutschrift im Abgabenfestsetzungsverfahren mit Aufwand verbunden ist, stellt keine Besonderheit des Einzelfalles dar (zum Vorrang des Abgabenfestsetzungsverfahrens vgl. VwGH vom 20. September 2007, 2002/14/0138).
14 Im Zusammenhang mit der behaupteten Unzumutbarkeit der Rechnungsberichtigungen hat die belangte Behörde zu Recht auch auf das vom Beschwerdeführer vorgelegte Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19. Mai 2010 verwiesen. In diesem Urteil wird festgehalten, dass das Oberlandesgericht die Ansicht des Handelsgerichtes, wonach eine derartige Rechnungsberichtigung "aufgrund der Anzahl der Rechnungen und der in diesem Geschäftszweig erforderlichen Diskretion weder möglich noch dem Kläger zumutbar sei", nicht teile. Die rechtliche Möglichkeit und tatsächliche Durchführbarkeit einer Rechnungsberichtigung sei nämlich zum einen völlig unabhängig von der Zahl der Rechnungen. Insbesondere habe der Kläger (der verstorbene Antragsteller) selbst zugestanden, dass alle ursprünglichen Rechnungen im EDV-Weg abrufbar seien. Zum anderen bewirke die Übermittlung von Rechnungskorrekturen keinen Eingriff in die Privatsphäre der Käufer erotischer Artikel, der dem Kläger als "Indiskretion" angelastet werden könnte. Ob und in welchem Umfang dem Kläger eine Verletzung der Schadensminderungspflicht zur Last falle, hänge allein von den mit der Rechnungsberichtigung verbundenen Kosten ab. In weiterer Folge führte das OLG Wien aus, dass das Angebot des seinerzeitigen Steuerberaters, diese Arbeiten unentgeltlich zu verrichten, zwar nicht zielführend sei, weil es dem Kläger nicht zugemutet werden könne, mit dem früheren Steuerberater in eine neuerliche rechtsgeschäftliche Beziehung zu treten. Doch bestünde die Möglichkeit, diese Rechnungskorrekturen entweder selbst durchzuführen oder einen Dritten (insbesondere eine der Verschwiegenheitspflicht nach § 91 WTBG unterliegende Person) damit zu betrauen, wobei diese Berichtigungskosten (deren Höhe im fortgesetzten Verfahren zu klären wäre) vom Schädiger zu ersetzen wären.
15 Aus dem angeführten Urteil des Oberlandesgerichtes ergibt sich daher, dass die üblicherweise mit Rechnungsberichtigungen verbundenen Kosten gegenständlich vom Beschwerdeführer gar nicht zu tragen sind und solcherart erst recht nicht eine Abgabennachsicht begründen können.
16 Eine den Einzelfall betreffende besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschrift, die der Gesetzgeber bei Vorhersehbarkeit vermieden hätte, liegt somit nicht vor.
17 Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
18 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
19 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 25. Mai 2016
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