VwGH 2013/15/0165

VwGH2013/15/016530.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs in 3300 Amstetten, Graben 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 12. März 2013, Zl. RV/1752- W/12, betreffend u.a. Einkommensteuer 2009 und 2010 (mitbeteiligte Partei: B K in W, vertreten durch Herwig Panowitz, Steuerberater in 3300 Amstetten, Hauptplatz 30), zu Recht erkannt:

Normen

EStG §20 Abs1 Z2 litd;
EStG §34 Abs7;
EStG §20 Abs1 Z2 litd;
EStG §34 Abs7;

 

Spruch:

Der Bescheid wird im angefochtenen Umfang, somit hinsichtlich Einkommensteuer 2009 und 2010, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte machte in ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2009 und 2010 u.a. Kosten für ein Arbeitszimmer in X geltend.

Das Finanzamt berücksichtigte in den Bescheiden, mit denen es die Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 festsetzte, diese Kosten für ein Arbeitszimmer in X nicht. Die Mitbeteiligte erhob gegen diese Bescheide Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen u.a. betreffend die Kosten für das Arbeitszimmer in X Folge.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte sei Kommanditistin der W KG sowie Prokuristin und Gesellschafterin der W GmbH. Sitz beider Gesellschaften sei in relativer Nähe zum (nunmehrigen) Familienwohnsitz in X. Diese Tätigkeit erfordere ein monatliches, etwa zweistündiges Treffen mit allen Gesellschaftern im Raum X.

Bis zum Schuleintritt ihres Sohnes habe sich der Hauptwohnsitz der Mitbeteiligten in S befunden. Von 31. August 2006 bis 13. August 2008 habe sich ihr Hauptwohnsitz in Wien befunden, seit 13. August 2008 bestehe an dieser Adresse in Wien ein Nebenwohnsitz, der Hauptwohnsitz befinde sich nunmehr in X.

Die Mitbeteiligte habe vor ihrer jetzigen Beschäftigung bei einem wissenschaftlichen Institut in Wien gearbeitet. Bei dieser Tätigkeit seien kaum Dienstreisen angefallen. Da diese Tätigkeit projektbezogen gewesen sei, sei die Mitbeteiligte an einer dauerhaften Anstellung interessiert gewesen.

Die Mitbeteiligte sei alleinerziehende Mutter. Der im Jahr 2000 geborene Sohn habe zunächst eine in der Nähe der Wiener Wohnung gelegene Privatschule mit Hort besucht. Während der wenigen Dienstreisen habe die Großmutter ihren Enkel betreut, diese sei hiefür jeweils nach Wien gereist.

Seit September 2008 sei die Mitbeteiligte bei einer österreichischen Non-Government-Organization (NGO) tätig. Im Rahmen ihres Berufes betreue die Mitbeteiligte Projekte in Afrika und Asien. Sie entwickle das Programmdesign der Projekte und kläre dieses vor Ort ab, wobei die Umsetzung vor Ort den dortigen Teams obliege. Die Mitbeteiligte erstelle im Vorfeld der Projekte Analysen, ihr obliege auch die Qualitätskontrolle. Die Steuerung der Projekte erfolge von Österreich aus. Die Mitbeteiligte arbeite hiebei in erster Linie am Computer. Alle zwei bis drei Monate sei sie auf einer vierzehntägigen Dienstreise im Ausland, im Übrigen erfolge die Kommunikation vor allem über Internet. Für Besprechungen und ähnliches müsse die Mitbeteiligte auch regelmäßig im Büro des Arbeitgebers in Wien sein. Die Mitbeteiligte arbeite in der Regel an zwei Tagen in der Woche im Büro des Arbeitgebers in Wien und an drei Tagen in der Woche in ihrem Arbeitszimmer in ihrem Haus in X. An der Arbeitsstätte in Wien stehe der Mitbeteiligten ein Arbeitsplatz zur Verfügung, der, wenn sie nicht anwesend sei, von anderem Personal genutzt werde. Die Mitbeteiligte pendle in der Regel einmal in der Woche mit dem Auto nach Wien, arbeite zwei Tage in Wien und übernachte in ihrer Wiener Wohnung.

Auf Grund der langen Dienstreisen sei eine Betreuung des Sohnes der Mitbeteiligten in Wien nicht mehr gewährleistet gewesen, da die Angehörigen nicht jeweils für 14 Tage nach Wien hätten fahren können und ein tägliches Pendeln aus dem Raum X für den Sohn im Fall eines Schulbesuches in Wien ebenfalls nicht möglich gewesen wäre. Die Mitbeteiligte habe daher ihren Familienwohnsitz im August 2008 vom Beschäftigungsort Wien nach X verlegt. In X bestehe die Möglichkeit, dass der Sohn der Mitbeteiligten an Tagen, an denen die Mitbeteiligte in Wien arbeite oder auf Dienstreise sei, vom Vater ihres Kindes, den Großeltern ihres Kindes oder weiteren Verwandten betreut werde. Alle diese Verwandten wohnten in X oder in dessen unmittelbarer Umgebung. Der Vater ihres Sohnes arbeite in X; in einem Mediationsabkommen mit der Mitbeteiligten habe er die Verpflichtung übernommen (und sich ausbedungen), seinen Sohn während der Auslandsreisen der Mitbeteiligten zu betreuen.

Es wäre der Mitbeteiligten nicht möglich gewesen, ihre mit mehreren längeren Dienstreisen verbundene Tätigkeit bei der NGO aufzunehmen, hätte sie nicht ihren Familienwohnsitz in die Nähe der Wohnsitze der Angehörigen ihres Kindes verlegt.

Die Wegverlegung des Familienwohnortes nach X sei im vorliegenden Fall nicht aus allgemeinen privaten Gründen erfolgt, sondern sei notwendig gewesen, um der alleinerziehenden Mitbeteiligten die Betreuung ihres im Jahr 2000 geborenen Sohnes zu ermöglichen. Ohne diese Betreuung wäre es der Mitbeteiligten nicht möglich gewesen, einer Vollzeitbeschäftigung mit Dienstreiseerfordernis in Wien nachzugehen. Dass ein Pendeln zwischen Wien und X an jedem einzelnen Arbeitstag angesichts der Entfernung (in einer Richtung mehr als 150 km) unzumutbar sei, sei unstrittig.

Aufwendungen für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer seien nur dann als Werbungskosten anzuerkennen, wenn dieses den Tätigkeitsmittelpunkt darstelle und das Arbeitszimmer nach der Art der Tätigkeit des Steuerpflichtigen notwendig sei, der zum Arbeitszimmer bestimmte Raum tatsächlich ausschließlich oder nahezu ausschließlich beruflich genutzt und auch entsprechend eingerichtet sei.

Die nahezu ausschließliche berufliche Nutzung und zweckentsprechende Einrichtung des Arbeitszimmers sei nicht strittig. Von einer "freiwilligen" Nutzung des Arbeitszimmers könne nicht gesprochen werden. Die Nutzung des Arbeitszimmers sei bei der alleinerziehenden Mitbeteiligten aus beachtlichen objektiven Gründen geboten. Es könne daher nicht gesagt werden, dass das Arbeitszimmer nicht notwendig sei.

Bei einer alleinerziehenden Mutter sei ein häusliches Arbeitszimmer notwendig, wenn dadurch die beruflich bedingten Abwesenheiten (und Nächtigungen außerhalb des Familienwohnsitzes) verringert werden könnten und dadurch die Mutter die tatsächliche Obsorge für ihr Kind bestmöglich ausüben könne. Auch wenn der Mitbeteiligten bei ihrem Arbeitgeber in Wien an Wien-Arbeitstagen ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden sei, so habe sie diesen nur in eingeschränktem Umfang nutzen können, da andernfalls die regelmäßige Betreuung des Sohnes durch seine Mutter nicht sichergestellt gewesen wäre.

Die Beurteilung, ob ein Arbeitszimmer den Tätigkeitsmittelpunkt darstelle, habe einkunftsquellenbezogen nach dem Maßstab der Verkehrsauffassung, sohin nach dem typischen Berufsbild zu erfolgen. Dies könne beim festgestellten Berufsbild nicht eindeutig beantwortet werden: Die Tätigkeit der Mitbeteiligten erfordere alle zwei bis drei Monate vierzehntägige Auslandsdienstreisen. Inhalt der Tätigkeit sei die Planung und Umsetzung bestimmter Projekte in der Entwicklungshilfe. Andererseits erfolge der Großteil der Tätigkeit im Innendienst, sei es im häuslichen Arbeitszimmer, sei es im Büro ihres Arbeitgebers. In erster Linie arbeite die Mitbeteiligte am Computer.

Im Zweifel komme es darauf an, ob das Arbeitszimmer in zeitlicher Hinsicht für mehr als die Hälfte der Tätigkeit im Rahmen der konkreten Einkunftsquelle benützt werde. Da das Arbeitszimmer am Familienwohnsitz in der Regel an drei Tagen in der Woche, jenes an der Arbeitsstätte beim Arbeitgeber an zwei Tagen in der Woche verwendet werde, überwiege die Arbeit im Arbeitszimmer. Der Außendienst sei gegenüber dem Innendienst - ob im Arbeitszimmer zu Hause oder im Büro an der Arbeitsstätte - in zeitlicher Hinsicht von untergeordneter Bedeutung. Die - näher angeführten - Kosten für das Arbeitszimmer seien daher als Werbungskosten (in den Jahren 2009 und 2010) abzugsfähig.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Einbringung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

Das Finanzamt erklärt, den Bescheid insoweit anzufechten, als die Kosten für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer in den Jahren 2009 und 2010 als Werbungskosten anerkannt worden seien. Damit wendet sich die Beschwerde - entgegen dem zu weit gefassten Aufhebungsantrag - nicht gegen den angefochtenen Bescheid, soweit mit diesem über Einkommensteuer 2008 abgesprochen wurde.

Nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. d EStG 1988 dürfen Aufwendungen oder Ausgaben für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer und dessen Einrichtung sowie für Einrichtungsgegenstände der Wohnung bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Bildet ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, sind die darauf entfallenden Aufwendungen und Ausgaben einschließlich der Kosten seiner Einrichtung abzugsfähig.

Für die Bestimmung des Mittelpunktes einer Tätigkeit ist ihr materieller Schwerpunkt maßgebend; in Zweifelsfällen ist darauf abzustellen, ob das Arbeitszimmer in zeitlicher Hinsicht für mehr als die Hälfte der Tätigkeit im Rahmen der konkreten Einkunftsquelle benützt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, 2008/15/0236, mwN).

Die Aufwendungen für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer, ein sogenanntes häusliches Arbeitszimmer, sind - zusätzlich zu den in § 20 Abs. 1 Z 2 lit. d EStG 1988 normierten Voraussetzungen - nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien weiters nur dann anzuerkennen, wenn ein Arbeitszimmer nach der Art der Tätigkeit des Steuerpflichtigen notwendig ist, der zum Arbeitszimmer bestimmte Raum tatsächlich ausschließlich oder nahezu ausschließlich beruflich genutzt und auch entsprechend eingerichtet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2013, 2010/15/0124, mwN).

Die Möglichkeit der Benutzung eines jederzeit zugänglichen Arbeitszimmers beim Arbeitgeber steht der Notwendigkeit eines häuslichen Arbeitszimmers entgegen (vgl. Hofstätter/Reichel, EStG 1988, § 20 Tz 6.1; Doralt/Kofler, EStG11, § 20 Tz 104/9; Krafft in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG 12. GL § 20 Anm 37; Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 20 Tz 42; sowie das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2003, 2001/15/0197, VwSlg 7890/F). Anderes könnte sich in einem solchen Fall allenfalls dann ergeben, wenn ein Abgabepflichtiger aufgrund seiner Krankheit bzw. Behinderung die Arbeit zum Großteil von zu Hause aus erledigen muss (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2011/15/0104).

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass bei einer alleinerziehenden Mutter ein häusliches Arbeitszimmer notwendig sei, wenn es dazu beiträgt, dass die beruflich bedingten Abwesenheiten (und Nächtigungen) außerhalb des Familienwohnsitzes verringert werden und die Mutter dadurch die tatsächliche Obsorge für ihr Kind bestmöglich ausüben könne. Es ist unstrittig, dass der Mitbeteiligten bei ihrem Arbeitgeber ein entsprechender Raum zur Verfügung gestanden ist. Sie habe diesen aber nur in eingeschränktem Umfang nutzen können, weil andernfalls die regelmäßige Betreuung des Sohnes durch seine Mutter nicht sichergestellt gewesen wäre.

Mit dieser Auffassung verkennt die belangte Behörde die Rechtslage. Nach der ständigen Rechtsprechung setzt die steuerliche Anerkennung eines häuslichen Arbeitszimmers voraus, dass dieses sowohl aufgrund der Art der beruflichen/betrieblichen Tätigkeit als auch auslastungsbedingt notwendig ist. Die Mitbeteiligte hat nicht einmal behauptet, dass sich die Notwendigkeit des Arbeitszimmers aus der Art der von ihr ausgeübten Tätigkeit ergibt. Folgt man den Angaben der Mitbeteiligten, ist das häusliche Arbeitszimmer vielmehr erforderlich, um den gegenüber ihrem Sohn bestehenden Betreuungspflichten bestmöglich nachkommen zu können. Damit stehen die Aufwendungen für das Arbeitszimmer mit den Unterhaltsleistungen (Kinderbetreuungskosten) für den im Haushalt der Mitbeteiligten lebenden Sohn in Zusammenhang.

Unterhaltsleistungen für Kinder sind grundsätzlich durch die Familienbeihilfe und die im Einkommensteuergesetz dafür vorgesehenen Absetzbeträge abgegolten (vgl. § 34 Abs. 7 EStG 1988).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Abspruch betreffend Einkommensteuer 2009 und 2010 gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 30. Juni 2015

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