VwGH 2013/07/0235

VwGH2013/07/023523.1.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des H N in S, vertreten durch Dr. Lucas Lorenz und Mag. Sebastian Strobl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Adamgasse 9a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 11. September 2013, Zl. U-30.417/9, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung eines Feststellungsbescheides und Verfahrenseinstellung in einer Angelegenheit des AWG 2002, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs7;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs4;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein (BH) vom 26. November 2012 wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe verhängt, weil er in Übertretung des AWG 2002 auf dem Grundstück Nr. 640/1 KG S Bodenaushub ohne die dafür erforderliche abfallrechtliche Bewilligung gelagert hatte.

Gleichzeitig mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung beantragte der Beschwerdeführer die bescheidmäßige Feststellung der Abfalleigenschaft dieser Materialien gemäß § 6 AWG 2002.

Mit Berufungserkenntnis des Unabhängigen Verwaltungsenates Tirol vom 19. Februar 2013 wurde das genannte Straferkenntnis der BH behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt.

In weiterer Folge entschied die BH mit Bescheid vom 7. Mai 2013 über den Antrag des Beschwerdeführers vom 18. Dezember 2012 und stellte gemäß § 6 Abs. 1 AWG 2002 fest, dass es sich bei dem auf Grundstück Nr. 640/1 über das erforderliche Ausmaß hinausgehenden geschütteten Bodenaushubmaterial im Ausmaß von 2.480 m3 um Abfall im Sinne des AWG 2002 handle.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 22. Mai 2013 Berufung; die BH legte die Berufung samt ihrem Akt der belangten Behörde zur Entscheidung vor.

Während des offenen Berufungsverfahrens erklärte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24. Juni 2013 sowohl den verfahrenseinleitenden Antrag als auch den Berufungsantrag zurückzuziehen und beantragte die Einstellung des Verfahrens über die Feststellung der Abfalleigenschaft.

Daraufhin stellte die belangte Behörde mit Aktenvermerk vom 13. August 2013 das Berufungsverfahren ein und teilte dies mit Schreiben vom gleichen Tag dem Beschwerdeführer mit. Sie wies darauf hin, dass mit der Zurückziehung der Berufung der Erstbescheid in formelle Rechtskraft erwachsen sei, ihr komme keine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung mehr zu und es sei ihr ein Abspruch über diese daher verwehrt.

Mit Eingabe vom 19. August 2013 beantragte der Beschwerdeführer, die Berufungsbehörde möge den Erstbescheid ersatzlos aufheben und das Verfahren formlos einstellen. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer damit, dass er ja auch den verfahrenseinleitenden Antrag zurückgezogen habe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei der Erstbescheid nicht in Rechtskraft erwachsen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könnten sowohl der verfahrenseinleitende Antrag als auch der Berufungsantrag bis zur Erlassung des Berufungsbescheides zurückgezogen werden. Im Fall der Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages habe die Berufungsbehörde den Erstbescheid ersatzlos aufzuheben und das Verfahren formlos einzustellen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. September 2013 wurde dieser Antrag als unzulässig zurückgewiesen.

Dies wurde damit begründet, dass der gegenständliche Antrag im Zusammenhang mit dem zwischenzeitlich eingestellten Berufungsverfahren gegen den Feststellungsbescheid der BH vom 7. Mai 2013 stehe. Im Berufungsverfahren gegen solche Feststellungsbescheide bestehe eine Zuständigkeit des Landeshauptmannes, weshalb sich auch zur Erledigung des verfahrensgegenständlichen Antrages eine Zuständigkeit des Landeshauptmannes ergebe. Mit Schreiben vom 24. Juni 2013 habe der Beschwerdeführer ausdrücklich den Berufungsantrag zurückgezogen. Nach Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verständnis von Parteienerklärungen fuhr die belangte Behörde fort, dass nur das von der Partei klar und eindeutig Erklärte, nicht der Wille der Partei, maßgeblich sei. Auf die Absichten, Motive und Beweggründe, welche die Partei zur Zurückziehung veranlasst hätten, komme es nicht an, solange keine Anhaltspunkte vorlägen, dass die Partei dazu von der Behörde durch Druck, Zwang oder Drohung bewogen worden sei. Im vorliegenden Fall sei von einer rechtsgültigen Zurückziehung des Berufungsantrages auszugehen. Diese Zurückziehung sei vom Antragsteller klar und eindeutig erklärt worden. Dieser habe im Schreiben vom 24. Juni 2013 von sich aus ausdrücklich erklärt, den Berufungsantrag zurückzuziehen. Auch im nunmehrigen Schreiben vom 19. August 2013 habe er diese Prozesshandlung insofern bekräftigt, indem er selbst ausführe, mit Schreiben vom 24. Juni 2013 sowohl den verfahrenseinleitenden Antrag als auch den Berufungsantrag zurückgezogen zu haben, sodass im Ergebnis kein Raum für Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Zurückziehung des Berufungsantrages bleibe.

Mit dem Einlagen der Zurückziehung der Berufung bei der Behörde erwachse der Erstbescheid in formelle Rechtskraft; die Berufungsbehörde verliere ihre funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung. Auch die vom Beschwerdeführer ebenfalls mit Schreiben vom 24. Juni 2013 vorgenommene Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages ändere an dieser Rechtsfolge nichts.

Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführe, könne ein unerledigter verfahrenseinleitender Antrag auch noch im Berufungsverfahren zurückgezogen werden. Zuzustimmen sei dem Beschwerdeführer insoweit, als dass der Feststellungsantrag zum Zeitpunkt seiner Zurückziehung noch unerledigt gewesen sei. Dadurch sei für den Standpunkt des Beschwerdeführers jedoch nichts gewonnen. Der verfahrenseinleitende Antrag sowie der Berufungsantrag seien gleichzeitig zurückgezogen worden. Selbst bei der Annahme, dass die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages vor (weil im Satzbau vorangestellt) der Zurückziehung des Berufungsantrages erfolgt sei, sei mit Einlangen der Zurückziehung des Berufungsantrages, welche unstrittig vor Erlassung eines Berufungsbescheides erfolgt sei, die funktionelle Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung, also auch zur allfälligen Aufhebung des Erstbescheides mangels Vorliegens eines verfahrenseinleitenden Antrages wegen Unzuständigkeit der Erstbehörde jedenfalls verloren gegangen.

Abschließend verwies die belangte Behörde darauf, dass nach der ausdrücklichen Anordnung in § 68 Abs. 7 AVG auf die Ausübung des der Behörde gemäß den Abs. 2 bis 4 eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes niemandem ein Anspruch zustehe und auch ein darauf abzielender Antrag daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist der an die belangte Behörde als Berufungsbehörde gerichtete Antrag auf ersatzlose Aufhebung des Erstbescheides, mit dem gemäß § 6 AWG 2002 die Abfalleigenschaft von Bodenaushubmaterial festgestellt worden war.

Der Beschwerdeführer richtete den verfahrensgegenständlichen Antrag ausdrücklich an die belangte Behörde "als Berufungsbehörde." Eine Zuständigkeit der belangten Behörde zur Aufhebung des Erstbescheides "als Berufungsbehörde" setzte aber das Bestehen einer offenen Berufung voraus.

Der Beschwerdeführer vertritt in seiner Beschwerde dazu unter dem Aspekt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes die Ansicht, er habe den Schriftsatz mit der Zurückziehung an die BH als die für den verfahrenseinleitenden Antrag zuständige Behörde gerichtet. Unabhängig davon, dass die Zurückziehung beider Anträge in ein- und demselben Schriftstück angebracht worden sei, sei die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags auf jeden Fall zuerst wirksam geworden, da diese direkt bei der BH eingelangt sei. Die Wirksamkeit der Berufungszurückziehung sei daher später eingetreten. Die belangte Behörde hätte richtigerweise den erstinstanzlichen Bescheid aufheben und das Verfahren formlos einstellen müssen. Dies gälte auch unter der Annahme, dass beide Anträge mit gleichzeitiger Wirkung zurückgezogen worden wären. Die belangte Behörde verkenne, dass sich der Verlust der funktionellen Zuständigkeit und das Erlöschen der Entscheidungspflicht ausschließlich auf die Behandlung des Berufungsantrages bezögen. Die Aufhebung des Erstbescheides infolge der Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages sei zwingende Rechtsfolge des § 13 Abs. 7 AVG, hätte nur deklarative Wirkung und sei nicht mit der Entscheidung der Rechtssache gleichzusetzen.

Damit verkennt der Beschwerdeführer aber die Rechtslage.

Dabei kann dahin stehen, ob von einer gleichzeitigen Zurückziehung beider Anträge auszugehen ist oder ob - wie der Beschwerdeführer meint - der verfahrenseinleitende Antrag zeitlich vor dem Berufungsantrag zurückgezogen wurde. Dem Beschwerdeführer ist zwar dahin zuzustimmen, wenn er von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Zurückziehung sowohl des verfahrenseinleitenden Antrags als auch des Berufungsantrages während des offenen Berufungsverfahrens ausgeht. Allerdings sind die Rechtswirkungen der Zurückziehung eines verfahrenseinleitenden Antrages je nach Verfahrensstadium verschieden.

Erfolgt die Zurückziehung eines Antrags vor Erlassung des Bescheides erster Instanz, hat die Behörde das Verfahren formlos einzustellen. Befindet sich das Verfahren hingegen infolge einer Berufung gegen den den Antrag erledigenden Erstbescheid bereits auf der Ebene der Berufungsbehörde, so bewirkt die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Erstbescheides und damit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wird ein solcher rechtswidrig gewordener Bescheid aber nicht durch die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages quasi unter einem beseitigt, er muss vielmehr durch die Berufungsbehörde aufgehoben werden. Um allerdings den rechtswidrig gewordenen Erstbescheid als Berufungsbehörde aufheben zu können, bedarf es einer unverändert offenen Berufung, die der Berufungsbehörde die Zuständigkeit zu einem solchen Vorgehen verschafft.

Gerade diese Zuständigkeit hat der Beschwerdeführer der Berufungsbehörde durch die Zurückziehung der Berufung aber entzogen. Selbst wenn die Zurückziehung der Berufung erst später wirksam gewesen sein sollte als die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages, so erfolgte sie doch zweifelsfrei vor der Erlassung eines aufhebenden Berufungsbescheides. Zur Erlassung dieses Bescheides fehlte der belangten Behörde aber ab der Berufungszurückziehung die Zuständigkeit. Der Erstbescheid erwuchs daher durch die wirksame Berufungsrückziehung in formelle Rechtskraft.

Für den verfahrensgegenständlichen Antrag, die belangte Behörde "als Berufungsbehörde" möge den Erstbescheid aufheben, gilt das Obgesagte. Es fehlte ihr mangels offener Berufung an der vom Beschwerdeführer begehrten Möglichkeit der "ersatzlosen Aufhebung des Erstbescheides."

Denkbar wäre zwar auch, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag vom 19. August 2013 ein Einschreiten der belangten Behörde auf der Rechtsgrundlage des § 68 Abs. 4 Z 4 AVG (als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde) begehrte. Mit diesem möglichen Verständnis hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch inhaltlich näher auseinandergesetzt.

Gegen die diesbezügliche zutreffende Argumentation im angefochtenen Bescheid finden sich aber keinerlei Ausführungen in der Beschwerde.

Eine weitere Möglichkeit der Aufhebung eines rechtskräftig gewordenen Feststellungsbescheides (durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde) böte § 6 Abs. 4 AWG 2002. Dass der verfahrensgegenständliche Antrag, der ausdrücklich an die belangte Behörde "als Berufungsbehörde" gerichtet war, darauf zielte, ist aber weder dem Antrag selbst noch der Beschwerde zu entnehmen.

Die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers vom 19. August 2013 auf ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Feststellungsbescheides durch die belangte Behörde als Berufungsbehörde verletzte daher keine Rechte des Beschwerdeführers.

Unter dem Aspekt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass der angefochtene Bescheid "Für die Landesregierung" gefertigt worden sei; nach objektiven Gesichtspunkten sei nicht erkennbar, welcher Behörde der Bescheid zuzurechnen sei, zumal im Spruch des Bescheides vom "Landeshauptmann von Tirol" die Rede sei.

Damit zeigt der Beschwerdeführer aber keinen Fehler des angefochtenen Bescheides auf, der zur absoluten Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides führt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Bescheid als von der zuständigen Behörde erlassen anzusehen, wenn aus der Einleitung eines Bescheides erkennbar ist, welche Behörde als Berufungsbehörde (zB "der Landeshauptmann") über eine eingebrachte Berufung entschieden hat und wenn diese Behörde auf Grund des zur Anwendung kommenden Gesetzes auch zuständig zur Entscheidung ist, mag auch am Schluss des Bescheides in der Fertigungsklausel eine damit nicht im Einklang stehende Bezeichnung einer anderen Behörde (zB "Landesregierung") aufscheinen (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1994, 93/05/0019, mwN).

Diese Überlegung gilt auch im vorliegenden Fall. Im Spruch des angefochtenen Bescheides wird ausdrücklich der "Landeshauptmann von Tirol" als entscheidende Behörde angeführt und in der Bescheidbegründung darauf ausdrücklich Bezug genommen.

Der Tiroler Landesregierung kommen im Bereich des AWG 2002 hingegen keinerlei Kompetenzen zu. Angesichts des Gesamteindruckes des angefochtenen Bescheides handelt es sich bei der Anführung der Landesregierung in der Fertigungsklausel eindeutig um ein offenkundiges Versehen, welches von der Behörde jederzeit von Amts wegen berichtigt werden könnte. Auch ohne Berichtigung ist ein einen berichtigungsfähigen Mangel aufweisender Bescheid im berichtigten Sinn zu lesen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2007,  2004/05/0218).

Die Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen Antrages verletzte den Beschwerdeführer daher nicht in Rechten.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014 iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr 455.

Wien, am 23. Jänner 2014

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