VwGH 2012/21/0178

VwGH2012/21/017819.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des OE in G, vertreten durch Mag. Elke Weidinger, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/VIII, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 11. Juli 2012, Zl. UVS 26.14-2/2012-15, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer, einem ägyptischen Staatsangehörigen, waren beginnend mit 21. Oktober 2004 wiederholt Aufenthaltstitel zum Zweck eines Studiums an der Karl-Franzens-Universität in Graz erteilt worden. Am 28. November 2007 beantragte er fristgerecht die Verlängerung der letzten Aufenthaltsbewilligung. Erhebungen an der genannten Universität brachten jedoch zu Tage, dass der Beschwerdeführer keinen Studienerfolg vorweisen konnte. Im Hinblick darauf wurde sein Antrag mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 11. Mai 2009, bestätigt mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 19. Juli 2010, gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen. Dieser Bescheid ist vor dem Verwaltungsgerichtshof unbekämpft geblieben.

Am 1. Dezember 2007 hatte der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin B. geheiratet und - darauf gestützt - am 29. Jänner 2008 die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 NAG beantragt. Behördliche Erhebungen erbrachten Anhaltspunkte dafür, dass die genannte Ehe nur zum Schein abgeschlossen worden war. B. hatte - nach leugnender Verantwortung bei einer Einvernahme am 20. März 2008 - am 8. Juli 2008 zugestanden, den Beschwerdeführer gegen Entgelt nur zum Schein geehelicht zu haben. Die Ehe sei nie vollzogen worden. Tatsächlich habe sie ständig gemeinsam mit ihrem Freund S., von dem sie ein Kind erwarte, gewohnt. S. bestätigte bei einer niederschriftlichen Einvernahme diesen Umstand und erklärte, dass das Kind, welches B. erwarte, von ihm stamme. In der Folge anerkannte S. die Vaterschaft zu dem gemeinsamen, am 10. August 2008 geborenen Sohn. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13. Mai 2009 wurde B. auf Grundlage des dargestellten Sachverhaltes wegen des Vergehens des Eingehens einer Aufenthaltsehe nach § 117 Abs. 2 FPG bestraft.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 28. April 2010 wies die Bundesministerin für Inneres den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ab, weil eine Aufenthaltsehe vorliege. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. September 2010, B 775/10-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser wies sie mit Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2010/21/0417, dem die Einzelheiten dieses Verfahrens entnommen werden können, als unbegründet ab. Die genannte Ehe wurde über Klage des Beschwerdeführers (rechtskräftig mit 31. Mai 2012) geschieden.

Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. Juli 2012 erließ die belangte Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, gestützt auf die festgestellte Scheinehe mit B., eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot für die Dauer von 18 Monaten.

In ihrer Begründung bejahte sie die Voraussetzungen einer mit B. abgeschlossenen Scheinehe und stellte fest, der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 2007 "mit kurzen Unterbrechungen unterschiedlichen Arbeiten … zuletzt als Zeitungszusteller mit einem Verdienst zwischen EUR 900,00 und EUR 1.300,00" nachgegangen. Im Juli 2011 habe er (die österreichische Staatsbürgerin) T. kennengelernt und sei mit ihr eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Sie lebten seit Ende April 2012 in einer kleinen Wohnung in Graz. T. sei vom Beschwerdeführer, der sie zu heiraten beabsichtige, schwanger; der errechnete Geburtstermin sei der 22. November 2012.

Rechtlich folge aus dem verpönten Eingehen einer Scheinehe die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG und eines auf § 53 Abs. 2 Z 8 FPG gestützten Einreiseverbotes, das unter Berücksichtigung des Grades der erlangten Integration, insbesondere des aktuellen Familienlebens mit seiner schwangeren Lebensgefährtin, auf das vorgesehene Mindestausmaß beschränkt werden könne.

Im Rahmen der nach den Grundsätzen des § 61 FPG vorgenommenen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der 32jährige Beschwerdeführer keine strafrechtlichen Verurteilungen aufweise und seit rund acht Jahren in Österreich lebe, wobei der Aufenthalt bis Juli 2010 rechtmäßig gewesen sei. Jedoch sei der angegebene Zweck des Aufenthalts (Studium), der ihm in den ersten Jahren eine Aufenthaltsberechtigung gesichert habe, nicht ernsthaft verfolgt worden, was darauf hindeute, dass diese Zweckangabe von vornherein nur dazu gedient habe, ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erwirken. Nachdem dieser Aufenthaltsgrund (mangels Studienerfolges) nicht länger tragfähig gewesen sei, habe er den - letztlich gescheiterten - Versuch unternommen, seinen rechtmäßigen Aufenthalt durch eine Eheschließung ohne beabsichtigtes Familienleben zu prolongieren. Diese Umstände und seine nicht der Aufenthaltsdauer entsprechenden unzureichenden Deutschkenntnisse schmälerten den Integrationsgrad in Österreich deutlich. Demgegenüber bestünden zu Teilen seiner Familie im Heimatstaat noch intakte Verbindungen. Die nunmehrige Beziehung zu T. sei zwar als Familienleben zu werten, bestehe jedoch erst seit relativ kurzer Zeit und sei zu einem Zeitpunkt entstanden, als der Beschwerdeführer nicht mehr über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügt habe. Diese Beziehung könne daher nicht den Ausschlag dafür geben, keine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Gleiches gelte für das in Österreich entfaltete Privatleben, das sich - soweit erkennbar - auf die Familie seines Halbbruders und auf Bekanntschaften bzw. Freundschaften im Umfeld der beruflichen Tätigkeit beschränke. Bei einer Rückkehr nach Ägypten finde er Familienangehörige vor, die ihn unterstützen könnten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. November 2012, B 1017/12-4, ablehnte.

Über die vorliegende, parallel dazu erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Interessenabwägung der belangten Behörde und verweist dabei - unter anderem - auf die Beziehung zu seiner nunmehrigen Lebensgefährtin T., die von ihm ein Kind erwarte. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg:

Das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben ist nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch faktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Auch angesichts der konkret erwarteten Geburt eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft ist von einem mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen gravierenden Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen.

Die belangte Behörde hätte daher die Intensität dieses Familienlebens und insbesondere die Lebenssituation der (nach einer Ausreise des Beschwerdeführers in Österreich verbleibenden) Familie einer näheren Prüfung unterziehen müssen. Die Auseinandersetzung mit den aktuellen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers und seiner Familie an seinem Verbleib in Österreich erübrigt sich auch nicht dadurch, dass der Beschwerdeführer - bereits 2007 - eine Scheinehe eingegangen ist (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 15. September 2010, Zl. 2007/18/0592, insbesondere Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die gesondert verzeichnete Umsatzsteuer bereits durch die in der genannten Verordnung vorgenommene Pauschalierung abgegolten ist.

Wien, am 19. März 2013

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