Normen
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z9 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z9 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste gemäß seinen Angaben am 9. November 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte hier in der Folge am 10. November 2000 die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und sprach gemäß § 8 Asylgesetz 1997 aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die dagegen erhobene Berufung (später Beschwerde) wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2008 als unbegründet ab. Der dann angerufene Verfassungsgerichtshof erkannte der Beschwerde zunächst mit Beschluss vom 19. Jänner 2009 die aufschiebende Wirkung zu, mit Beschluss vom 30. Jänner 2009 lehnte er deren Behandlung jedoch ab.
In der Folge erließ die Bundespolizeidirektion Graz mit Bescheid vom 28. Dezember 2011 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Rückkehrentscheidung. Diese verband sie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG mit einem 18-monatigen Einreiseverbot. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte sie gemäß § 55 Abs. 1 FPG mit 14 Tagen fest.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Mit Bescheid vom 22. Februar 2012 gab der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) dieser Berufung - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - keine Folge.
Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer keine Familie oder sonstige Angehörige in Österreich habe. In Nigeria, wo er als Automechaniker gearbeitet habe, lebten hingegen sieben Geschwister, zu denen allerdings kein Kontakt mehr bestehe.
Der Beschwerdeführer verstehe kaum Deutsch und könne, wie die mündliche Verhandlung gezeigt habe, sich in deutscher Sprache nicht verständlich machen. Gemäß einer Kursbesuchsbestätigung habe er (aber) 2009 einen "Intensivdeutschkurs Niveau A 1.1." über sechs Wochen mit 20 Unterrichtseinheiten pro Woche besucht. In der mündlichen Verhandlung habe er angegeben, "in der kommenden Woche" einen (weiteren) einwöchigen Deutschkurs zu absolvieren. Gemäß einer Bestätigung der Caritas habe er sich für eine Deutschprüfung im März 2012 verbindlich angemeldet.
Seit 2009 sei der Beschwerdeführer als Auftragnehmer für eine näher genannte KG tätig, wobei er monatlich zwischen EUR 160,-- und EUR 560,-- ins Verdienen bringe; daneben erledige er bisweilen diverse Gelegenheitsarbeiten, die ihm EUR 40,-- bis EUR 400,-- zusätzlich einbrächten. Außerdem liege für den Beschwerdeführer eine Patenschaftserklärung vor; von dem Paten erhalte der Beschwerdeführer monatlich zwischen EUR 50,-- und EUR 500,--. Er sei außerdem kranken- und pensionsversichert und Mitglied der "God Fellow Church", bei der er dreimal wöchentlich an Gottesdiensten und gemeinsamen Bibellesungen teilnehme.
Im vorliegenden Fall lägen - so die belangte Behörde weiter - die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, das gemäß § 53 Abs. 2 FPG mit mindestens 18 Monaten zu bemessen sei, vor. § 61 FPG, so die belangte Behörde der Sache nach, stehe der Erlassung dieser Maßnahmen nicht entgegen. Zwar halte sich der - strafgerichtlich unbescholtene - Beschwerdeführer seit über elf Jahren im Bundesgebiet auf, wobei dieser Aufenthalt acht Jahre hindurch, bis zum Abschluss des Asylverfahrens, rechtmäßig gewesen sei. Ein schutzwürdiges Privatleben des Beschwerdeführers sei überdies jedenfalls darin zu erblicken, dass er seit 2009 als Aufsteller von Zeitungsentnahmeständern tätig und außerdem Angehöriger einer Kirchengemeinde sei, an deren Veranstaltungen er regelmäßig teilnehme. Ein Familienleben in Österreich bestehe jedoch nicht, hingegen bestünden noch Bindungen zu Nigeria. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer insgesamt nicht selbsterhaltungsfähig sei. Vor allem aber falle ins Gewicht, dass er die deutsche Sprache nicht einmal ansatzweise beherrsche. Somit sei im Ergebnis eine ausreichende Integration des Beschwerdeführers nicht erkennbar.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hält sich unstrittig unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Grundsätzlich ist daher gegen ihn nach § 52 Abs. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, die gemäß § 53 Abs. 1 FPG mit einem Einreiseverbot zu verbinden ist. Gemäß § 53 Abs. 2 FPG ist ein solches Einreiseverbot mit einer Mindestdauer von 18 Monaten festzusetzen (vgl. aber auch die Ausführungen unter Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe im hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2011/21/0237, wonach bei einer nur geringfügigen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens kein Einreiseverbot zu verhängen ist; vgl. daran anknüpfend auch das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2012, Zlen. 2012/18/0029 und 2012/18/0036).
Die Erlassung von Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot steht aber unter dem Vorbehalt des § 61 FPG. Wird durch diese Maßnahmen in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen eingegriffen, so ist ihre Erlassung demnach (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 61 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 61 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. Punkt 3. der Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses vom 15. Dezember 2011).
Der Beschwerdeführer wendet sich im Ergebnis der Sache nach gegen die behördliche Beurteilung nach § 61 FPG. Damit ist er im Recht.
Es trifft zwar zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausweisungen nach § 53 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2011 bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden derartige Ausweisungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mit umfassender Judikaturdarstellung). Diese Rechtsprechung hat unverändert bei Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 1 FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) Relevanz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2012, Zl. 2012/18/0027).
Die Abwägung nach § 61 FPG könnte daher angesichts des knapp elfeinhalbjährigen - davon mehr als acht Jahre rechtmäßigen - Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich fallbezogen nur dann zu seinen Lasten ausfallen, wenn keinerlei Integrationsschritte erkennbar wären. Das kann aber schon angesichts der Bescheidfeststellungen nicht gesagt werden. So ist der Beschwerdeführer - offenbar selbständig - seit 2009 als Aufsteller von Zeitungsentnahmeständern tätig und kranken- und pensionsversichert. Darüber hinaus geht er diversen Gelegenheitsarbeiten nach, sodass jedenfalls derzeit (Gegenteiliges wurde nicht festgestellt) in Verbindung mit Zuwendungen von einer Privatperson sein Unterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel sichergestellt ist. Außerdem ist der Beschwerdeführer aktives Mitglied einer Kirchengemeinde.
Dass der Beschwerdeführer demgegenüber "kaum Deutsch versteht" bzw. - so die belangte Behörde an anderer Stelle des bekämpften Bescheides - "die deutsche Sprache nach seinem nunmehr über 11 Jahre dauernden Aufenthalt nicht einmal ansatzweise beherrscht", ist zwar zweifelsohne Beleg dafür, dass die sprachliche Integration des Beschwerdeführers noch nicht gelungen ist. Auch unter diesem Aspekt ist dem Beschwerdeführer aber immerhin zuzubilligen, dass er Schritte zum Erlernen der deutschen Sprache - wenn auch bisher weitgehend erfolglos - unternommen hat.
Zu der erwähnten - wenn auch insgesamt noch bescheidenen - Integration des Beschwerdeführers tritt hinzu, dass die überlange Dauer seines Asylverfahrens offenbar nicht von ihm selbst zu verantworten war. Das ist im Sinn des § 61 Abs. 2 Z 9 FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.
Insgesamt ist damit am Boden der eingangs dargestellten hg. Rechtsprechung den privaten Interessen des - unbescholtenen - Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich der Vorrang zu geben. Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 2. Oktober 2012
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