VwGH 2012/16/0162

VwGH2012/16/016229.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, in der Beschwerdesache des B in D, vertreten durch Dr. Robert Schneider, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Goethestraße 5, gegen das Finanzamt Feldkirch als Finanzstrafbehörde erster Instanz, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit der Akteneinsicht im Zusammenhang mit einer Finanzstrafsache, den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art132;
FinStrG §79 Abs1;
FinStrG §79;
VwGG §27 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2012160162.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Vorladung vom 14. Juni 2011 wurde der Beschwerdeführer vom Finanzamt Feldkirch für den 8. Juli 2011 vorgeladen, in der Angelegenheit "Betriebsprüfung 2007 - 2009, Nachschauzeitraum 2010 bis 2011" als Beschuldigter vorzusprechen.

Das Finanzamt Feldkirch erließ gegen den Beschwerdeführer einen "Bescheid über einen Prüfungsauftrag" vom 4. Juli 2011. Der Beschwerdeführer habe eine Außenprüfung gemäß § 147 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG zu dulden. Bezüglich der Verdachtslage werde auf ein Schreiben der Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 11. Oktober 2010 verwiesen. Als "Gegenstand der finanzstrafbehördlichen Prüfung - Zeiträume" wurden die Einkommen- und Umsatzsteuer für Jänner 2007 bis Dezember 2009 angeführt.

Am 8. Juli 2011 wurde mit dem Beschwerdeführer vom Finanzamt Feldkirch eine Niederschrift als Beschuldigter betreffend "Betriebsprüfung 2004 bis 2009, Nachschauzeitraum 2011 und 2011" aufgenommen. Protokolliert wurden der Satz "Der Steuerpflichtige verweigert die Aussage", eine vom Beschwerdeführer angegebene Adresse und der Satz "Der Steuerpflichtige beantragt Akteneinsicht".

Mit Schreiben vom 26. Juli 2011 teilte die Kammer der Wirtschaftstreuhänder der belangten Behörde mit, dass im Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer ein näher genannter Wirtschaftstreuhänder gemäß § 77 Abs. 4 FinStrG als Verfahrenshilfeverteidiger bestellt worden sei.

In einem Aktenvermerk vom 2. August 2011 hielt die belangte Behörde fest, der Verteidiger habe angerufen und mitgeteilt, dass er zum Verfahrenshelfer in der Sache des Beschwerdeführers bestellt worden sei. Nach telephonischen Auskünften über beim Beschwerdeführer durchgeführte Amtshandlungen und der Mitteilung, dass sich der "zuständige Sachbearbeiter" im Urlaub befinde und "spätestens" am 22. August 2011 wieder erreichbar sei, sei dem Verteidiger zur Frage der Akteneinsicht mitgeteilt worden, dass der erwähnte Sachbearbeiter mit ihm telephonisch Kontakt aufnehmen werde, um diesbezüglich eine Terminvereinbarung zu treffen. Da der Verteidiger selbst vom 18. bis 28. August 2011 im Urlaub sei, bitte dieser darum, dass sich der erwähnte Sachbearbeiter am 30. August 2011 mit ihm in Verbindung setze. Dies sei auf dem Kalender des Sachbearbeiters eingetragen worden.

Schließlich hielt die belangte Behörde in einem Aktenvermerk vom 3. Oktober 2011 fest, der Verteidiger habe in einem Telephongespräch mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer mittlerweile eine neue Adresse habe. Weiters sei der Verteidiger über den Stand des Verfahrens und den weiteren Ablauf informiert worden, es seien allerdings keine inhaltlichen Details besprochen worden. Dem Verteidiger sei mitgeteilt worden, dass gegen kurze telephonische Anmeldung für den Beschwerdeführer jederzeit eine Akteneinsicht möglich sei. Der Verteidiger habe wissen wollen, ob es schon Informationen über den strafbestimmenden Wertbetrag gebe, doch sei ihm mitgeteilt worden, dass dieser zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar sei und vorher die Schlussbesprechung abgewartet werden müsse, weil der Beschwerdeführer ja noch die Möglichkeit habe, gegebenenfalls entlastendes Beweismaterial beizubringen.

Mit der vorliegenden, am 27. August 2012 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Beschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde geltend. Der Beschwerdeführer macht in Ausführung des Beschwerdepunktes (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) geltend, er sei durch die Nichterledigung seines mündlich gestellten und zu Protokoll gegebenen Antrages auf Akteneinsicht vom 8. Juli 2011 durch die belangte Behörde in seinem in § 73 Abs. 1 AVG verankerten Recht auf Entscheidung innerhalb von sechs Monaten verletzt.

Die belangte Behörde legte Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde beantragt.

Beschuldigter ist nach § 75 des Finanzstrafgesetzes (FinStrG) die im Verdacht eines Finanzvergehens stehende Person (Verdächtiger) vom Zeitpunkt der Verständigung über die Einleitung des Strafverfahrens oder der ersten Vernehmung gemäß § 83 Abs. 3 leg. cit. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Die für den Beschuldigten geltenden Bestimmungen sind auch auf den Verdächtigen anzuwenden, wenn gegen ihn schon vor der Einleitung des Strafverfahrens eine Verfolgungshandlung (§ 14 Abs. 3) gerichtet wurde.

Gemäß § 79 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde dem Beschuldigten in jeder Lage des Verfahrens und auch nach dessen Abschluss die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner finanzstrafrechtlichen oder abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung solcher Pflichten erforderlich ist;

sie kann ihm statt dessen auch Abschriften (Ablichtungen) ausfolgen.

Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist gemäß § 79

Abs. 4 FinStrG ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig.

Gemäß § 27 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes (VwGG)

kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im administrativen Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat.

Der Beschwerdeführer trägt vor, er sei am 8. Juli 2011 um 9:00 Uhr persönlich bei der belangten Behörde erschienen und habe seinen Antrag auf Akteneinsicht zu Protokoll gegeben. Bis zum heutigen Tage habe die belangte Behörde über diesen Antrag des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht nicht entschieden, dieser Antrag sei bis heute unerledigt geblieben.

Der Beschwerdeführer stellt in der Säumnisbeschwerde den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof wolle in der Sache selbst erkennen, sohin über den Antrag des Beschwerdeführers vom 8. Juli 2011 entscheiden und die beantragte Akteneinsicht bei der belangten Behörde bewilligen.

Die belangte Behörde stützt ihren Antrag auf Zurückweisung der Säumnisbeschwerde in der Gegenschrift einerseits darauf, dass die beim Beschwerdeführer vorgenommene Außenprüfung auf der Grundlage des § 148 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG vorgenommen worden sei. Solche Prüfungen seien keine finanzstrafbehördlichen Amtshandlungen, sondern solche des Abgabenverfahrens. Daher würden die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO) gelten. Wäre der belangten Behörde eine Untätigkeit in Bezug auf den Antrag auf Akteneinsicht vorzuwerfen, so wäre ein Devolutionsantrag nach § 311 BAO im Beschwerdefall der relevante Rechtsbehelf.

Der belangten Behörde ist entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer am 8. Juli 2011, wie sich aus der mit ihm aufgenommenen Niederschrift ergibt, als Beschuldigter vernommen wurde und in dieser Eigenschaft Akteneinsicht begehrt hat. Dies allein reicht, um die Akteneinsicht auf § 79 FinStrG zu stützen. Dementsprechend stand ihm im Hinblick auf eine dergestalt beantragte Akteneinsicht kein Devolutionsantrag nach § 311 BAO zu.

Der Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass sich im Beschwerdefall das Begehren auf Akteneinsicht nicht auf § 73 AVG, sondern auf § 79 FinStrG stützen lässt.

Die belangte Behörde erwidert dem Beschwerdeführer in der Gegenschrift andererseits, der Antrag auf Akteneinsicht stamme vom 8. Juli 2011. Am 2. August 2011 habe der Verteidiger telefonisch mit der belangten Behörde Kontakt aufgenommen und in diesem Gespräch sei die Frage der Terminvereinbarung für eine Akteneinsicht erörtert worden. Laut Aktenvermerk vom 3. Oktober 2011 sei dem Verteidiger mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführer jederzeit eine Akteneinsicht nehmen könne, eine kurze telefonische Anmeldung sei erforderlich. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer eine Akteneinsicht nicht verweigert, vielmehr habe dieser keinen Gebrauch von dem ihm eingeräumten Recht gemacht.

Den Ausführungen in der Gegenschrift hält der Beschwerdeführer nichts entgegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegen die Voraussetzungen für eine Beschwerdeführung nach Art. 132 B-VG in Verbindung mit § 27 VwGG dann nicht vor, wenn die Verpflichtung der belangten Behörde nicht auf die Erlassung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (eines Bescheides), sondern auf die Ausstellung einer Bescheinigung (Beurkundung) oder auf eine sonstige Leistung, wie etwa die Erteilung einer Auskunft oder die Gewährung von Akteneinsicht gerichtet ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann aus dem Titel der Verletzung der Entscheidungspflicht nur dann angerufen werden, wenn eine Behörde mit einer gegenüber der Partei zu erlassenden Sachentscheidung in Verzug geblieben ist. Ein tatsächliches Verhalten - etwa die Gewährung von Akteneinsicht - könnte vom Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der Säumnisbeschwerde nicht anstelle der belangten Behörde gesetzt werden. Das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges für sich genommen löst keine Verpflichtung der Behörden zur Erlassung einer Sachentscheidung aus, eine solche Verpflichtung tritt erst ein, wenn die Behörde die Akteneinsicht durch konkrete Handlungen oder Unterlassungen real verweigert (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 6. September 2011, 2011/05/0072, mwN, und vom 10. März 2009, 2008/12/0022).

Nach der Bestimmung des § 79 Abs. 1 FinStrG hat die Behörde die Akteneinsicht "zu gestatten". Die Gestattung ist ein Realakt, der nicht einer besonderen Genehmigung bedarf. Wird ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt, der nicht abgewiesen wird, dann liegt es beim Beschuldigten, diese Möglichkeit zu nützen (vgl. das zum insoweit vergleichbaren § 90 BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, 99/16/0081).

Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend - vom Beschwerdeführer nicht bekämpft - aufzeigt, hatte der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ausschließlich die Gewährung von Akteneinsicht begehrt. Dem Antrag vom 8. Juli 2011 auf Gewährung von Akteneinsicht kann noch nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass er damit ein Begehren auf Erlassung eines Bescheides über die Akteneinsicht an die belangte Behörde stelle. Damit bestand für die belangte Behörde keine vom Beschwerdeführer in einer Säumnisbeschwerde ausschließlich geltend gemachte Verpflichtung zur Erlassung eines Bescheides über die Gewährung oder Versagung von Akteneinsicht, sodass eine solche Pflichtverletzung auch nicht im Wege der Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen werden konnte.

Dass die belangte Behörde die begehrte Akteneinsicht real verweigert hätte, behauptet weder der Beschwerdeführer konkret noch ergibt sich dies aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer Akteneinsicht sohin nicht verweigert, sondern vielmehr dem Verteidiger angeboten, gegen telefonische Anmeldung Akteneinsicht zu gewähren.

Da die belangte Behörde mangels einer durch Realakt oder reales Unterlassen verweigerten Akteneinsicht keine Pflicht zur Entscheidung getroffen hat, konnte sie eine solche Pflicht auch nicht verletzen.

Die Säumnisbeschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Ein (nur auf Antrag - § 59 Abs. 1 VwGG) zuzusprechender Aufwandersatz (§§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG) wurde von der belangten Behörde nicht angesprochen und ist daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht zuzuerkennen.

Wien, am 29. April 2013

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