Normen
AVG §10 Abs2
BAO §83 Abs2
RAO 1868 §8 Abs1
VwGG §26 Abs2
ZustG §9
ZustG §9 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2012160011.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach der Aktenlage wurde für die am 5. Oktober 1935 geborene Beschwerdeführerin mit Beschluss des BG Horn vom 23. November 2004 E. als Sachwalterin gemäß § 273 ABGB zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt.
Mit 1. Juli 2007 ist die Sachwalterschaft auf den NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung (in der Folge: Verein) übergegangen (vgl. § 279 Abs. 3 ABGB in der Fassung BGBl. I Nr. 92/2006 iVm §§ 3 und 4 Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretergesetz - VSPBG). Gemäß § 3 Abs. 2 VSPBG hat der Verein dem Gericht die mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft betraute Person (Vereinssachwalter) bekannt zu geben.
Mit einer am 19. November 2007 vom Verein ausgestellten "Urkunde" wurde festgestellt, dass die Bekanntgabe der ursprünglich betrauten Vereinssachwalterin E. widerrufen werde und S. per Adresse des Vereins mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft für die Beschwerdeführerin betraut worden sei.
Mit einer am 3. Juli 2008 vom Verein ausgestellten "Urkunde" wurde festgestellt, dass die Bekanntgabe der Vereinssachwalterin S. widerrufen werde und Mag. P. per Adresse des Vereins mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft für die Beschwerdeführerin betraut worden sei.
Mit einer am 21. November 2008 vom Verein ausgestellten "Urkunde" wurde festgestellt, dass die Bekanntgabe der Vereinssachwalterin Mag. P. widerrufen werde und A. per Adresse des Vereins mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft für die Beschwerdeführerin betraut worden sei.
Zur weiteren Vorgeschichte in diesem Verfahren wird auf das Erkenntnis vom 18. Dezember 2008, Zl. 2007/15/0151, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof den dort angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat, weil das im Verwaltungsverfahren eingeholte ärztliche Gutachten nicht über die verfahrenswesentliche Frage einer bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen voraussichtlich dauernden Unfähigkeit der Beschwerdeführerin, sich selbst den Unterhalt verschaffen zu können, Auskunft gab.
Im fortgesetzten Verfahren hat die belangte Behörde die Einholung eines weiteren Gutachtens veranlasst. Dieses wurde einem Schreiben der belangten Behörde vom 13. März 2009 beigeschlossen, das namentlich an die Beschwerdeführerin "z.H. Frau E.", gefolgt von der Anschrift des Vereins, ohne dass dieser angeführt worden ist, adressiert war.
Mit Schreiben vom 30. März 2009 wurde der belangten Behörde von A. unter Vorlage der oben wieder gegebenen Bestellungsurkunde vom 21. November 2008 mitgeteilt, dass diese zur neuen Vereinssachwalterin hinsichtlich der Beschwerdeführerin bestellt worden sei und sie ersuche, die die Beschwerdeführerin betreffende Korrespondenz an die Vereinssachwalterin unter der Anschrift des Vereins zu richten.
Mit Schriftsatz vom 23. April 2009, eingelangt bei der belangten Behörde am 27. April 2009, gab der nunmehrige Beschwerdevertreter der belangten Behörde bekannt, dass er von der Beschwerdeführerin, diese vertreten durch den Verein, im anhängigen Verfahren vor der belangten Behörde beauftragt und bevollmächtigt sei, wobei er sich auf die erteilte Vollmacht nach § 8 Abs. 1 RAO berufe.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2009, adressiert an die Beschwerdeführerin "z.H. Frau A." mit der Anschrift des Vereins, ohne dass dieser angeführt worden ist, übermittelte die belangte Behörde das im weiteren Verfahren eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 12. März 2009 und räumte die Möglichkeit ein, dazu binnen einem Monat Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass der - jetzt auch - Beschwerdeführervertreter mitgeteilt habe, dass er nunmehr mit der Vertretung der Beschwerdeführerin betraut sei, er habe jedoch nicht bekannt gegeben, dass die erteilte Vollmacht auch die Zustellvollmacht beinhalte. Sollte dies der Fall sein, werde gebeten, dieses Schreiben neben der Beilage an den Beschwerdeführervertreter weiterzuleiten.
In der Folge erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung der Beschwerdeführerin neuerlich als unbegründet abgewiesen hat.
Der angefochtene Bescheid wurde am 14. Juli 2009 einerseits dem erstinstanzlichen Finanzamt zugestellt und andererseits an die Beschwerdeführerin wiederum "z.H. Frau A." mit der Anschrift des Vereins, ohne dass dieser angeführt worden ist, adressiert.
Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2011 teilte der Beschwerdeführervertreter der belangten Behörde mit, dass die ihm von der Beschwerdeführerin erteilte Vollmacht auch die Zustellvollmacht umfasse. Er ersuche um Kenntnisnahme und stelle fest, dass sich das Verfahren nach wie vor im Stadium der unerledigten Berufung befinde.
Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 erstattete die Beschwerdeführerin, vertreten durch den Beschwerdeführervertreter, eine Stellungnahme zum ärztlichen Sachverständigengutachten vom 12. März 2009.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin, zu Handen des Beschwerdeführervertreters, zusammengefasst mit, dass das Gutachten bereits der Vereinssachwalterin A. mit einer Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt worden sei und mangels Reaktion die Berufungsentscheidung erlassen worden sei.
Gegen den genannten Bescheid der belangten Behörde vom 9. Juli 2009 richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung, allenfalls die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung führt die Beschwerdeführerin in der Beschwerde aus, das ärztliche Sachverständigengutachten vom 12. März 2009 sei der Beschwerdeführerin nie wirksam zugestellt worden, was auch auf den angefochtenen Bescheid zutreffe. Dem Beschwerdevorbringen ist weiter zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin erst auf Grund des Schreibens der belangten Behörde vom 6. Dezember 2011, dem Vorbringen zufolge am 9. Dezember 2011 beim Beschwerdeführervertreter eingelangt, vom angefochtenen Bescheid Kenntnis erlangt haben soll.
In Anbetracht dieser Beschwerdeausführungen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bzw. der Beschwerdeführervertreter über den Inhalt des angefochtenen Bescheides in Kenntnis gesetzt worden sind, weshalb vor dem Hintergrund der Behauptung, der Bescheid sei nicht wirksam zugestellt worden, nur eine Beschwerdeerhebung gemäß § 26 Abs. 2 VwGG in Frage kommt. Nach dieser Bestimmung kann nämlich auch Beschwerde erhoben werden, bevor der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt oder verkündet worden ist. Der Bescheid gilt an dem Tag als zugestellt, an dem der Beschwerdeführer von seinem Inhalt Kenntnis erlangt hat.
Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführervertreter dem nicht zweifelhaften Beschwerdevorbringen zufolge frühestens am 9. Dezember 2011 von der Existenz des angefochtenen Bescheides Kenntnis erlangt und konnte ab diesem Zeitpunkt seinen Inhalt in Erfahrung bringen, weshalb die am 19. Jänner 2012 zur Post gegebene Beschwerde rechtzeitig ist.
Als Voraussetzung für eine Beschwerdeerhebung gemäß § 26 Abs. 2 VwGG ist auch die Erlassung des angefochtenen Bescheides anzusehen (vgl. die bei Dolp, Verwaltungsgerichtsbarkeit2, auf Seite 187 f wiedergegebene hg. Judikatur). Nach dem Akteninhalt wurde der angefochtene Bescheid am 14. Juli 2009 an das erstinstanzliche Finanzamt zugestellt, also erlassen.
Soweit in der Beschwerde in diesem Zusammenhang dahin argumentiert wird, dass der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführervertreter nicht zugestellt worden sei, wird damit kein Verfahrensmangel geltend gemacht, weil in der Anfechtung eines nicht zugestellten Bescheides der Verzicht auf die Geltendmachung dieses Verfahrensmangels liegt (vgl. Dolp, aaO, Seite 190).
Begründet ist allerdings der Einwand der Beschwerdeführerin, das fachärztliche Gutachten vom 12. März 2009 sei ihr nicht wirksam zugestellt worden, weshalb das rechtliche Gehör verletzt und ihr die Möglichkeit genommen worden sei, gegen das Gutachten - in der Beschwerde näher angeführte - Argumente vorzutragen.
Gemäß § 9 Abs. 3 Zustellgesetz hat die Behörde, wenn ein Zustellbevollmächtigter bestellt ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.
Eine gemäß § 8 Abs. 1 RAO zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung erteilte Vollmacht erfasst auch eine Zustellvollmacht im Sinn des § 9 Zustellgesetz (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2008/08/0256, und die in Ritz, BAO4, bei Rz 20f zu § 9 Zustellgesetz zitierte Rechtsprechung).
Wird statt an den Zustellungsbevollmächtigten an den von diesem Vertretenen zugestellt, so ist die Zustellung unwirksam (vgl. den Beschluss vom 14. Mai 1992, Zl. 91/16/0025).
Nach der Aktenlage - dazu Gegenteiliges wird weder in der Beschwerde noch in der Gegenschrift vorgebracht - wurde das Gutachten zunächst mit Schreiben vom 13. März 2009 an die Beschwerdeführerin "z.H. Frau E." an die Anschrift des Vereins zugestellt. Diese Zustellung erweist sich insofern als unwirksam, als die Sachwalterschaft mit 1. Juli 2007 auf den Verein übergegangen ist und zum Zeitpunkt der Übersendung diese Schreibens auch nicht mehr E., sondern A. zur Vereinssachwalterin bestellt worden war.
Aber auch die Zustellung des Gutachtens mit Schreiben vom 12. Mai 2009 an die Beschwerdeführerin "z.H. Frau E.", deren Bestellung zu diesem Zeitpunkt aufrecht war, erweist sich als unwirksam, zumal der Beschwerdeführervertreter bereits mit Schriftsatz vom 23. April 2009 der belangten Behörde seine Bevollmächtigung angezeigt und sich gemäß § 8 Abs. 1 RAO auf die ihm erteilte Vollmacht berufen hat. Ab diesem Zeitpunkt wären sämtliche Schriftstücke an den Beschwerdeführervertreter zuzustellen gewesen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, in E 50. zu § 9 Zustellgesetz zitierte Judikatur).
Mangels wirksamer Zustellung des ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 12. März 2009 an die Beschwerdeführerin hatte diese keine Möglichkeit von dessen Inhalt Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hat dadurch Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 24. Jänner 2013
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